Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur steuerlichen Behandlung von Personen, die durch Alkoholmißbrauch so schwere gesundheitliche Schäden erlitten haben, daß ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.
Normenkette
EStG §§ 33, 33a/6; EStDV § 65
Tatbestand
Die steuerpflichtigen Eheleute haben gegen die nach ihren Angaben vorgenommene Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1962 Einspruch eingelegt und wegen der Erkrankung des damals 37jährigen Ehemannes einen Pauschbetrag nach § 65 EStDV 1961 beantragt und eine amtsärztliche Bescheinigung vom 4. Juni 1964 vorgelegt, die folgenden Wortlaut hat:
"Der Obengenannte (Ehemann) leidet an einem Zustand nach chronischem Alkoholismus mit deutlicher Persönlichkeitsabwertung. Daneben besteht eine Alkoholneuritis und ein hochgradiger, nervöser Erschöpfungszustand. Er ist zur Zeit krank und erwerbsunfähig. Die Erwerbsminderung beträgt z. Zt. 70 %. Sie beruht nicht auf Altersgebrechlichkeit".
In einer Bescheinigung vom 9. Oktober 1961 hatte der Amtsarzt bereits bestätigt, daß der Ehemann wegen der Folgen eines längeren Alkoholmißbrauchs, insbesondere einer Polyneuritis und psychischen Abartigkeit zur Zeit arbeitsunfähig sei, was noch längere Zeit dauern werde.
Der Einspruch wurde vom FA als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung der Stpfl. hatte dagegen Erfolg. Das FG gewährte einen Pauschbetrag nach § 65 EStDV 1961, da durch die Bescheinigung des Staatlichen Gesundheitsamts vom 4. Juni 1964 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 v. H. nachgewiesen sei. Auf eine weitere, vom FG veranlaßte amtsärztliche Stellungnahme, in der auf Grund einer neuen Untersuchung am 25. November 1965 bestätigt worden sei, daß der Ehemann eine im Krieg erlittene Schußverletzung am rechten Oberschenkel mit einer Körperbehinderung unter 10 % habe, komme es nicht an.
Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des Bundesrechts und unzureichende Sachaufklärung. Es führt aus, das FG habe § 33 a Abs. 6 EStG 1961 und § 65 EStDV 1961 dadurch verletzt, daß es den Begriff "Körperbehinderung" mit "Krankheit" gleichgesetzt habe. Der Amtsarzt habe keine Körperbehinderung im Sinne dieser Vorschriften bescheinigt und trotz der Anfrage des FG nicht dazu Stellung genommen, ob die Erkrankung des Ehemannes eine Körperbehinderung im Sinne des § 65 EStDV sei. Auch habe das FG nicht geprüft, ob eine dauernde oder eine nur vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege, zumal der Wortlaut der Bescheinigungen eher auf einen vorübergehenden Zustand schließen lasse. Es sei auch nicht untersucht worden, ob die Belastung des Stpfl. zwangsläufig im Sinne von § 33 a EStG sei; denn wenn der Stpfl. eine Erkrankung durch ständigen übermäßigen Alkoholgenuß selbst verschulde, widerspreche es dem sozialen Zweck des § 33 a Abs. 6 EStG, eine außergewöhnliche Belastung anzuerkennen und eine Steuerermäßigung zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Der Senat hat in dem Urteil VI 313/64 vom 30. November 1966 (BFH 88, 407) zur Gewährung von Pauschbeträgen wegen der durch eine Körperbehinderung eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit Stellung genommen. Er hat dabei die Rechtsgültigkeit des § 65 Abs. 3 EStDV bejaht. "Körperbehindert" im Sinne dieser Vorschrift sind außer den durch äußere Einflüsse beschädigten Personen auch solche, die durch innere Leiden erwerbsbehindert oder unheilbar krank und im Endstadium ihrer Krankheit pflegebedürftig sind, sofern die Erkrankung nicht überwiegend auf Alterserscheinungen beruht. Ob jemand, der keinen amtlichen Ausweis als Schwerkriegsbeschädigter, Schwerbeschädigter oder Schwererwerbsbeschränkter hat, oder der keinen wegen seiner Körperbeschädigung erteilten Rentenbescheid und auch keine entsprechende andere Urkunde besitzt, zu den Personen gehört, die nach § 33 a EStG in Verbindung mit § 65 EStDV Anspruch auf Zubilligung eines Pauschbetrags haben, kann nur nach den Bescheinigungen beurteilt werden, die von den nach Landesrecht zuständigen Gesundheitsbehörden ausgestellt werden. Der Senat hat in dem Urteil VI 313/64 (a. a. O.) entschieden, daß die Steuerverwaltungsbehörden an die Feststellungen der Gesundheits- oder Versorgungsbehörden hinsichtlich des Grades sowie des Beginns und der Beendigung der Minderung der Erwerbsfähigkeit gebunden sind. Das gilt auch für die Steuergerichte. Die Behörden der Finanzverwaltungen und die Steuergerichte haben demnach gegenüber den von den Amtsärzten ausgestellten Bescheinigungen über die Erwerbsminderung kein eigenes Nachprüfungsrecht; sie müssen vielmehr den Inhalt der von den Amtsärzten erteilten Bescheinigungen ihrer Beurteilung zugrunde legen.
Im Streitfall stellte der Amtsarzt in der Bescheinigung vom 4. Juni 1964 fest, daß der Ehemann "zur Zeit krank und erwerbsunfähig" sei und daß seine Erwerbsminderung "zur Zeit 70 %" betrage. Diese Bescheinigung erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pauschbetrags nach § 65 EStDV. Sie bezieht sich nur auf den Zeitpunkt der Untersuchung im Jahre 1964. Wenn auch, wie in dem Urteil VI 313/64 (a. a. O.) ausgeführt wurde, die Erteilung einer amtsärztlichen Bescheinigung für zurückliegende Zeiträume möglich ist, so muß aus der Bescheinigung doch ersichtlich sein, für welchen Zeitraum der Amtsarzt die Erwerbsminderung festgestellt hat. Diesem Erfordernis entsprechen weder die Bescheinigungen vom 9. Oktober 1961 noch die vom 4. Juni 1964. Die auf Veranlassung des FG erteilte Bescheinigung vom 25. November 1965 enthält überhaupt nichts über die Erkrankung des Stpfl., obwohl das FG in seinem Anschreiben an das Gesundheitsamt in erster Linie danach gefragt hatte.
Im übrigen wird ein Pauschbetrag nach § 65 EStDV nur bei einer "dauernden" Erwerbsminderung gewährt. Der Pauschbetrag kann zwar auch gewährt werden, wenn der Grad der Erwerbsminderung sich im Laufe der Zeit ändert (Urteil des Senats VI 296/61 vom 9. März 1962, Der Betrieb 1962 S. 589). Aber bei einer nur vorübergehenden, wenn auch längerfristigen Erwerbsminderung infolge einer Körperbeschädigung kann ein Pauschbetrag nicht gewährt werden. Etwaige Mehraufwendungen muß der Stpfl. in diesen Fällen nach § 33 EStG einzeln geltend machen.
Allen vorgelegten Bescheinigungen ist im Streitfall nicht zu entnehmen, daß der Ehemann "dauernd" in der Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Der wiederholten Wendung, daß sie "zur Zeit" besteht, ist sogar zu entnehmen, daß sie nicht dauernd war oder daß dies jedenfalls vom ärztlichen Standpunkt nicht mit einiger Sicherheit bestätigt werden konnte. Für die Gewährung eines Pauschbetrags wegen der durch den übermäßigen Alkoholgenuß eingetretenen Gesundheitsschäden des Ehemannes liegen daher die Voraussetzungen des § 65 EStDV nicht vor.
Eine endgültige Erwerbsminderung ist bei dem Ehemann nur hinsichtlich der Schußverletzung mit 10 % festgestellt worden. Diese geringe Erwerbsminderung wird jedoch nicht nach § 65 EStDV berücksichtigt.
Da das FG den Sachverhalt anders beurteilt hat, war seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit die Stpfl. Gelegenheit haben, etwaige für die Heilbehandlung des Ehemannes im Streitjahr aufgewendeten Beträge als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG geltend zu machen; denn bei Ausgaben zur Heilung gesundheitlicher Schäden kann immer eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG in Betracht kommen. Die Auffassung des FA, bei einer durch Alkoholmißbrauch selbst verschuldeten Krankheit könnten die Heilungskosten nicht nach § 33 EStG berücksichtigt werden, entspricht nicht der Rechtsprechung des Senats. Ausgaben zur Heilung einer Krankheit sind immer zwangsläufig, weil der Steuerpflichtige sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 EStG). Eigenes Verschulden des Steuerpflichtigen kann zwar bei der Prüfung der Zwangsläufigkeit aus rechtlichen oder sittlichen Gründen wesentlich sein. Es muß aber außer Betracht bleiben, wenn eine finanzielle Belastung durch eine Erkrankung eingetreten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 412379 |
BStBl III 1967, 459 |
BFHE 1967, 491 |
BFHE 88, 491 |