Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Verfassungsrechtssatz, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, ist nicht allein schon dadurch verletzt, daß der Kammer eines Finanzgerichts mehr Berufsrichter zugeteilt werden, als bei der Entscheidung im Einzelfall gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 MRVO Nr. 175 mitzuwirken haben.

Für die Gültigkeit der Ausfertigung eines schriftlich zu erteilenden Bescheids ist es nicht erforderlich, daß dieser mit der Unterschrift eines zuständigen Beamten versehen, beglaubigt oder unterstempelt ist. Es genügt, wenn die Ausfertigung einwandfrei erkennen läßt, daß sie die Kundmachung des von der Behörde rechtsgültig bewirkten Hoheitsaktes darstellt.

Ein bloßer Vorbehalt bei der Zahlung einer Steuer ist keine Rechtsmittelerklärung.

GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2; MRVO Nr. 175 §§ 3 Abs. 1, 5; AO §§ 210 b Abs. 1 Satz 1, 211 Abs. 2 Ziff.

 

Normenkette

AO § 210b Abs. 1, § 211 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1, § 218 Abs. 1, § 246/3, § 237/2, § 249 Abs. 2, § 231

 

Tatbestand

Streitig ist, ob

die erkennende Kammer des Finanzgerichts ordnungsmäßig besetzt war,

der Bescheid betreffend die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung 1951 bis 1955 wirksam bekanntgegeben worden ist,

der genannte Bescheid eine richtige Rechtsmittelbelehrung enthält und ob

rechtzeitig Einspruch eingelegt wurde. Auf Grund einer Betriebsprüfung bei der Gebrüder X KG, deren persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der Bf. ist, berichtigte das Finanzamt die Gewinnfeststellungsbescheide für 1951 bis 1955. Der Feststellungsbescheid, der sich ebenso wie der Berechnungsbogen auf sämtliche Veranlagungszeiträume bezieht, wurde laut Vermerk auf dem Berechnungsbogen am 5. August 1957 ausgefertigt; am gleichen Tage wurde der Bescheid zur Post gegeben. Die Vordrucke für den Berechnungsbogen und die Ausfertigung des Feststellungsbescheides sind im Vervielfältigungsverfahren mit Maschinenschrift auf saugpostähnlichem Papier hergestellt. Der Berechnungsbogen ist an den hierfür vorgesehenen Stellen mit den Namenszeichen des Sachgebietsleiters und des Sachbearbeiters versehen. Die Ausfertigung des Feststellungsbescheides enthält auf der Vorderseite als Briefkopf die Angabe "Finanzamt ..., Steuer-Nr. x/y"; als Datum ist der 5. August 1957 angegeben. Außer dem Hinweis darauf, daß die (ursprünglichen) Gewinnfeststellungsbescheide für 1951 bis 1955 auf Grund des Betriebsprüfungsberichts vom 26. Februar 1957 gemäß § 222 AO, wie auf der Rückseite angegeben, geändert worden seien, ist auf der Vorderseite des Bescheides die noch §§ 211 Abs. 2 Ziff. 1, 218 Abs. 1 AO vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung aufgeführt. Auf der Rückseite der Ausfertigung des Bescheides sind die den einzelnen Gesellschaftern zugerechneten Gewinnanteile sowie der Gesamtgewinn entsprechend den Feststellungen im Berechnungsbogen handschriftlich wiedergegeben. Die Ausfertigung ist weder unterstempelt, noch unterzeichnet, noch mit dem Namenszeichen des ausfertigenden Beamten versehen.

Am 8. Juli 1957 - vor Ergehen der Gewinnfeststellungsbescheide - teilte die KG dem Finanzamt (Finanzkasse) mit, sie habe Abschlagszahlungen auf die noch festzusetzende Steuerschuld entrichtet; diese Zahlung erfolge "unter dem Vorbehalt des Anerkenntnisses der Betriebsprüfung". Aus Anlaß einer weiteren Abschlagszahlung richtete die KG ein entsprechendes Schreiben am 9. August 1957 an das Finanzamt - Eingang 10. August 1957 -, das den gleichen Vermerk enthielt. In der Folgezeit vertrat der Bf. die Ansicht, das Schreiben vom 9. August 1957 sei als Einspruch aufzufassen.

Das Finanzamt verwarf den Einspruch als unzulässig. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der hiergegen gerichteten Rb. rügt der geschäftsführende Gesellschafter fehlerhafte Rechtsanwendung; er macht erstmals geltend, der umstrittene Gewinnfeststellungsbescheid habe eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung enthalten. Ferner rügt er, die entscheidende Kammer des Finanzgerichts sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen; seine Berufung sei dem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -) entzogen worden. Beamtete Mitglieder der Kammer seien ein Finanzgerichtsdirektor als Vorsitzender und drei Berufsrichter gewesen. Der Vorsitzende verteile die eingehenden Berufungen nach Anhörung der beamteten Beisetzer aus eigener Machtvollkommenheit auf diese. Eine schriftliche Grundlage für die Verteilung der Geschäfte in der Kammer liege nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

I. -

Der Bf. hat die Rüge, das erkennende Gericht sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, unstreitig nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist (§§ 289 Abs. 2 Satz 1, 290 Abs. 1 AO) erhoben. Er ist der Ansicht, es handle sich im Streitfall um einen nicht rügebedürftigen Rechtsfehler im Sinne des § 288 Ziff. 1 AO und nicht um einen rügebedürftigen Verfahrensmangel nach § 288 Ziff. 2 AO, den der Senat nach § 296 Abs. 2 AO nur dann berücksichtigen könne, wenn er innerhalb der Frist des § 289 Abs. 2 und 3 AO in der durch § 290 Abs. 1 AO vorgeschriebenen Form geltend gemacht wurde.

Da der Senat die Rüge für unbegründet hält, kann dahingestellt bleiben, ob die Ansicht des Bf. zutrifft, daß die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des erkennenden Gerichts eine - nicht innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist rügebedürftige - Verfahrensvoraussetzung im Sinne des Urteils des Reichsfinanzhofs Gr.S. 6/21 vom 12. Dezember 1921, Slg. Bd. 7 S. 314 (vgl. auch Becker, Die Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 267 Anm. 2; Riewald, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Teil II, § 288 Anm. 1 und 3) darstelle. Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß die Frage im Zivilprozeß umstritten ist (vgl. statt vieler einerseits Wieczorek, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 551 B Ia 2, und andererseits Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., § 140 III 3 C a, und Heussner, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1961 S. 1189 f. mit Nachweisen). Das Bundesarbeitsgericht ist im Urteil 2 AZR 32/60 vom 28. September 1961, NJW 1962 S. 318, der Ansicht, die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Gerichts sei nur auf Rüge zu prüfen.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der auf den Streitfall anzuwendenden Verordnung der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet, - MRVO - Nr. 175 (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 385, Steuer- und Zollblatt - StuZBl - 1948 S. 291) verhandeln und entscheiden die Finanzgerichte in Kammern, die mit zwei beamteten Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden, und drei ehrenamtlichen Mitgliedern besetzt sind. Gemäß § 5 MRVO Nr. 175 bestimmt der Präsident des Finanzgerichts im allgemeinen für die Dauer des Geschäftsjahres u. a. außer der Geschäftsverteilung zwischen den Kammern die Verteilung der Vorsitzenden und der beamteten Beisitzer sowie ihrer ständigen Vertreter auf die einzelnen Kammern. Dies ist im Streitfall geschehen. Als beamtete Beisitzer sind drei Finanzgerichtsräte bestellt worden, wie sich aus dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts ergibt. Die MRVO Nr. 175 enthält keine Bestimmung darüber, wie viele Berufsrichter einer Kammer höchstens zugeteilt werden dürfen.

§ 69 GVG gilt entsprechend für das Verfahren vor den Finanzgerichten in der ehemals britischen Zone (ß 5 Abs. 3 MRVO Nr. 175). Nach dieser Vorschrift verteilt der Vorsitzende die Geschäfte auf die Mitglieder. Sie ist bis zum Erlaß der MRVO Nr. 175 von der Rechtsprechung auch in den Fällen angewandt worden, in denen einer Kammer mehr richterliche Mitglieder angehörten als zur Entscheidung im Einzelfall erforderlich war (Urteil des Reichsgerichts 2 D 1022/28 vom 16. Mai 1929, Juristische Wochenschrift - JW - 1930 S. 69, Beschluß des Reichsgerichts IV B 10/31 vom 18. Mai 1931, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen - RGZ - 133 S. 29; vgl. auch Kern, Der gesetzliche Richter, S. 177 f.; öffentlich-rechtliche Abhandlungen, 8. Heft, herausgegeben von Triepel-Kaufmann-Smend). Den im vorliegenden Verfahren erhobenen Einwand, bei überbesetzter Kammer lägen in Wahrheit mehrere Kammern vor, die nur einen gemeinsamen Vorsitzenden hätten, hat bereits das Reichsgericht verworfen (RGZ 133 S. 29 ff.).

Es ist davon auszugehen, daß die gleiche Rechtsauffassung der MRVO Nr. 175 zugrunde liegt, die dem § 69 GVG durch die Bezugnahme in § 5 Abs. 3 dieser Verordnung für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit innerhalb ihres Geltungsbereichs den Rang von Besatzungsrecht verliehen hat. Dafür spricht auch, daß die MRVO keine Bestimmung enthält, nach der die Zuteilung von mehr als zwei beamteten Mitgliedern unzulässig ist.

Träfe die Ansicht des Bf. über den Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu, müßte der Senat prüfen, ob er befugt ist, Vorschriften der MRVO Nr. 175 für verfassungswidrig zu erklären.

Die MRVO Nr. 175 und, soweit § 5 Abs. 3 dieser Verordnung auf Vorschriften des GVG verweist, auch diese als Bestandteil der Verordnung, sind Besatzungsrecht geblieben. Art. 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (BGBl 1955 II S. 405) haben daran nichts geändert (vgl. Maier, Juristenzeitung - JZ - 1956 S. 397; Picht-Hemken und Wohlfahrt, Bundesanzeiger 1956, Beilage zu Nr. 3 S. 4; Tischbein, NJW 1955 S. 1180; anscheinend anderer Meinung Maier Tobler in "Das deutsche Bundesrecht", I N 50, S. 13). Es ist zweifelhaft, ob der Senat zuständig wäre, Besatzungsrecht, das nach Art. 1 Satz 1 des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen der Disposition des deutschen Gesetzgebers unterliegt, wegen Unvereinbarkeit mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für rechtsunwirksam zu erklären (bejahend Maier, a. a. O., Maier-Tobler, a. a. O., Tischbein, a. a. O., vgl. auch Ditges, NJW 1957 S. 170; Picht-Hemken und Wohlfahrt, a. a. O., wollen Besatzungsrecht nur dann der Normenkontrolle unterworfen wissen, wenn es unverzichtbare Grundprinzipien der Verfassung, insbesondere die Grundrechte in ihrem Wesensgehalt verletze). Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die im Einklang mit der Regelung der MRVO Nr. 175 stehende Vorentscheidung nach Ansicht des Senats nicht auf einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beruht. Es braucht daher auch nicht geprüft zu werden, ob das Verfahren wegen eines Verstoßes besatzungsrechtlicher Vorschriften gegen das GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht auf Grund Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Ziff. 11, 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden kann.

Es verstößt nicht gegen den Grundsatz, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, wenn der Kammer eines Finanzgerichts unter dem Geltungsbereich der MRVO Nr. 175 neben dem Vorsitzenden mehr beamtete Mitglieder angehören als bei der Entscheidung im Einzelfall auf Grund § 3 Abs. 1 Satz 1 MRVO Nr. 175 mitzuwirken haben. Die im Schrifttum geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Meyer, Deutsche Richterzeitung - DRiZ - 1951 S. 86; Berger, NJW 1955 S. 1138; Arndt, DRiZ 1959 S. 171; Schorn, Die Präsidialverfassung der Gerichte aller Rechtswege, S. 85; Bettermann in Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Band III/2 S. 556) vermag der Senat im Streitfall nicht zu teilen. Er tritt vielmehr der eingehend begründeten Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urteile IV ZR 86/55 vom 12. Mai 1956, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen - BGHZ - 20 S. 355; IV ZR 257/56 vom 27. Februar 1957, Lindenmaier-Möhring, Nr. 11 zu § 551 Ziff. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) und des Bundessozialgerichts (Beschluß 2 RU 25/56 vom 25. Juli 1958, Entscheidungen des Bundessozialgerichts 8 S. 22 mit weiteren Nachweisen) bei, wonach eine Kollegialinstanz nicht schon dann vorschriftswidrig besetzt ist, wenn ihr mehr Berufsrichter als Beisitzer zugeteilt sind, als bei der Entscheidung im Einzelfall mitzuwirken haben (ebenso Kern, DRiZ 1959, S. 142; Schräder, DRiZ 1959, S. 321; vgl. auch Schäfer in Löwe-Rosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 20. Aufl., § 16 Anm. 3 c, § 63 Anm. 5 b; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., § 8). Gesetzlicher Richter im Sinn des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht der einzelne, in einem Kollegialgericht mitwirkende Richter, auch nicht das Richterkollegium in einer bestimmten Zusammensetzung bei der Entscheidung, sondern das Richterkollegium als solches, mithin die Kammer, der Senat. Voraussetzung ist natürlich, daß die Kammer, der Senat, entsprechend dem Geschäftsplan am Tage der Sitzung ordnungsmäßig besetzt ist. Für die mit Laienrichtern besetzten Kammern der Finanzgerichte läßt sich ein anderer Standpunkt schon deshalb nicht vertreten, weil eine feste Rangordnung der Mitwirkung der Laienrichter dergestalt, daß der Steuerpflichtige bei Anbringung seiner Berufung bereits weiß, in welcher Zusammensetzung die Kammer über seinen Fall entscheiden wird, nicht aufgestellt werden kann. Selbst bei Besetzung einer Kammer des Finanzgerichts mit nur zwei Berufsrichtern, die stets auch bei der Entscheidung mitwirken, wäre die Forderung der von vornherein festgelegten Zusammensetzung der entscheidenden Kammer für den Einzelfall im Hinblick auf die Unmöglichkeit, die mitentscheidenden Laienrichter vorher zu bestimmen, schon deshalb nicht erfüllbar, weil der Tag, an dem der Streitfall entschieden wird, nicht feststeht.

Der Senat geht - auch insoweit in übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof (BGHZ 20 S. 359 ff.) - davon aus, daß es für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung eines Gerichts begriffswesentlich, aber auch ausreichend ist, daß der Vorsitzende in der Lage ist, vermöge seines Könnens und seiner Erfahrung einen richtungweisenden Einfluß auf die Rechtsprechung der von ihm geleiteten Kammer auszuüben. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Es erscheint nicht bedenklich, einer Kammer, die in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, einem berufsrichterlichen und drei ehrenamtlichen Beisitzern entscheidet, drei Berufsrichter zuzuteilen. Bei diesen Verhältnissen ist ein Kammervorsitzender, der nicht in erheblichem Umfange durch Angelegenheiten gerichtsverwaltender Art zusätzlich belastet ist, im allgemeinen in der Lage, in dem Umfange an der Spruchtätigkeit der Kammer mitzuwirken, der seiner Aufgabe als dem ersten Richter der Kammer entspricht.

Die im Schrifttum (vgl. E. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil III, § 69 Randziffer 3) gegen die überbesetzte Kammer unter dem Gesichtspunkt der Heranziehung der einzelnen berufsrichterlichen Beisitzer zum Sitzungsdienst erhobenen Bedenken haben für den Streitfall keine wesentliche Bedeutung. Die Bestellung des Berichterstatters nach § 69 GVG (ß 5 Abs. 3 MRVO Nr. 175) bewirkte, daß als Berufsrichter der Vorsitzende und der zum Berichterstatter bestellte beamtete Beisitzer an der Sitzung teilzunehmen hatten.

II. - Der Bf. rügt weiter, der Gewinnfeststellungsbescheid vom 5. August 1957 sei nicht rechtswirksam, weil er entgegen § 18 der Buchungsordnung für die Finanzämter und § 16 Abs. 7 der Geschäftsordnung für die Finanzämter (FAGO) weder unterschrieben noch mit dem Abdruck eines Dienststempels versehen sei.

Die Rüge ist unbegründet. Der umstrittene Gewinnfeststellungsbescheid, der nach §§ 210 b Abs. 1, 218 Abs. 1 AO schriftlich zu ergehen hat, ist als Verwaltungsakt gültig entstanden. Er beruht auf dem Willensentschluß des hierzu berufenen Beamten (Urteile des Reichsfinanzhofs VI a A 12/22 vom 31. Januar 1923, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1923 Nr. 372; VI A 942/28 vom 20. Dezember 1928, RStBl 1929 S. 224; VI A 663/35 vom 14. September 1935, RStBl 1935 S. 1300) und ist ausweislich der in den Akten befindlichen Urschrift (dem Berechnungsbogen) von dem dazu befugten Sachgebietsleiter (ß 9 Abs. 2 FAGO) gezeichnet (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 111/26 vom 20. Juli 1926, Slg. Bd. 19 S. 213). Vom gültigen Entstehen des Bescheides ist dessen Wirksamkeit zu trennen, die durch Bekanntgabe (ß 91 Abs. 1 AO) eintritt (Urteil des Reichsfinanzhofs I A 158/34 vom 13. Februar 1935, RStBl 1935 S. 437).

Entgegen der Auffassung des Bf. ist der Gewinnfeststellungsbescheid wirksam geworden. Die dem Bf. zugestellte Ausfertigung des Bescheides ist rechtsgültig, obwohl sie weder unterstempelt noch mit einer Unterschrift oder einem Beglaubigungsvermerk versehen ist. Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs liegt eine ordnungsmäßige Bekanntgabe im Sinne des § 91 Abs. 1 AO vor, wenn sich die zugestellte Ausfertigung des Bescheides äußerlich als Kundmachung des von der Behörde erlassenen Hoheitsaktes darstellt (Urteil des Reichsfinanzhofs VI a A 12/22, a. a. O.; V A 216/25 vom 16. Oktober 1925 und II A 352/26 vom 28. Juli 1926, StuW 1926 Nr. 1 und 452; Urteil des Bundesfinanzhofs I 108/54 U vom 14. Februar 1956, BStBl 1956 III S. 97, Slg. Bd. 62 S. 263). Die gleiche Meinung vertritt auch das Bundessozialgericht (Urteil 7 RKg 3/58 vom 26. Januar 1961, NJW 1961 S. 702, Leitsatz) für einen Beitragsbescheid der Familienausgleichskasse. Dieser Rechtsauffassung entspricht die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, nach der eine Rechtsmittelschrift nicht unterzeichnet sein muß, obwohl § 249 Abs. 1 AO - vom Fall der Protokollierung abgesehen - Schriftform verlangt; es genügt auch hier, daß das Schreiben von dem Rechtsmittelführer ausgeht und dies erkennen läßt (Urteile des Reichsfinanzhofs V A 437/22 vom 9. März 1923, StuW 1923 Ap. 558 Nr. 521; III A 363/30 vom 30. Mai 1930, StuW 1930 Nr. 1045).

Das von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis ist im Streitfall erfüllt. Hierauf hat es keinen Einfluß, daß der Vordruck für die Ausfertigung des Bescheides im Vervielfältigungsverfahren mit Schreibmaschinenschrift auf saugpostähnlichem Papier hergestellt wurde. Für den Bf. konnte vernünftigerweise kein Zweifel daran bestehen, daß das ihm zugestellte Schriftstück die auf den Ermittlungen des Betriebsprüfers beruhende, für ihn und die anderen Mitunternehmer verbindliche (§§ 215, 219 Abs. 1 AO) einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb darstellte. Der Bescheid weist als Absender das Finanzamt aus und enthält die Steuernummer, unter der die Unternehmergemeinschaft beim Finanzamt geführt wird. Auf der Vorderseite ist der Hinweis enthalten, daß es sich um die auf den Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht vom 26. Februar 1957 beruhende Berichtigung der Gewinnfeststellungsbescheide 1951 bis 1955 gemäß § 222 AO handle; ferner ist dort die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung wiedergegeben. Schließlich wird auf Textziffer 33 des Betriebsprüfungsberichts verwiesen; diese Textziffer enthält die auf die einzelnen Gesellschafter entfallenden Gewinnanteile, die mit den auf der Rückseite des Gewinnfeststellungsbescheides angegebenen Gewinnanteilen übereinstimmen. Eine Abschrift des Betriebsprüfungsberichts war dem Bf. rund 1/4 Jahr vor Zustellung des Berichtigungsbescheides übermittelt worden. Der Bf. selbst hatte keinen Zweifel daran, daß die umstrittene Ausfertigung die Kundmachung eines Hoheitsaktes war. Anders kann sein Verlangen nicht erklärt werden, den bei den Abschlagszahlungen an die Finanzkasse gemachten Vorbehalt als Rechtsmittelerklärung zu deuten. Erst in dem rund ein Jahr nach Einlegung der Berufung eingereichten Schriftsatz vom 11. Dezember 1959 machte er geltend, der Gewinnfeststellungsbescheid sei nicht wirksam geworden. Da eine rechtsgültige Ausfertigung vorliegt, braucht nicht geprüft zu werden, ob die Berufung auf einen Formmangel im Streitfall als gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen werden müßte.

Die vom Bf. gerügten Radierungen berühren im Streitfall die Ordnungsmäßigkeit des Bescheides nicht. Sie betreffen für das Jahr 1953 festgestellte Verlustanteile. Aus der dem Senat vom Bf. vorgelegten Ausfertigung des Bescheides ergibt sich ohne weiteres, daß der die Ausfertigung herstellende Bedienstete die Zahlen zunächst in blauen Schriftzeichen eintrug. Dadurch wäre im Widerspruch zum Betriebsprüfungsbericht zum Ausdruck gekommen, daß den betreffenden Mitunternehmern positive Einkünfte zugerechnet würden. In Wirklichkeit mußten rote Zahlen eingetragen werden, um der Rechtslage entsprechend darzutun, daß Verlustanteile vorlagen. Nach Feststellung seines Irrtums versuchte der Bedienstete, die blauen Zahlen durch Radieren zu entfernen und übermalte sie mit Rotstift. Die mit Rotstift dargestellten Zahlenwerte stimmen mit den durch Radieren nur teilweise entfernten Zahlen überein.

III. - Der Bf. meint schließlich, der im Schreiben vom 9. August 1957 enthaltene Satz "Die Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt des Anerkenntnisses des Ergebnisses der Betriebsprüfung" sei als Einspruch zu werten. Dem kann nicht gefolgt werden.

Nach § 249 Abs. 2 AO gilt bei schriftlichen äußerungen ein Rechtsmittel als eingelegt, wenn aus dem Schriftstück hervorgeht, daß sich der Erklärende durch die Entscheidung beschwert fühlt und Nachprüfung begehrt. Das Schreiben vom 9. August 1957 erfüllt die beiden Voraussetzungen des § 249 Abs. 2 AO nicht. Ein bloßer Vorbehalt bei der Zahlung der Steuer ist keine Rechtsmittelerklärung (Urteil des Reichsfinanzhofs I A a 18/29 vom 19. Februar 1929, Mrozek-Kartei, Reichsabgabenordnung 1919 § 234 Abs. 2, Rechtsspruch 13; Urteil des Bundesfinanzhofs V 36/59 vom 29. September 1960, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 19). § 249 Abs. 2 AO verlangt, daß der Erklärende die Entscheidung erkennbar macht, durch die er beschwert zu sein glaubt und die er nachgeprüft wissen will; der Wille, eine bestimmte Entscheidung anzugreifen, muß aus der Erklärung klar und eindeutig ersichtlich sein (Urteil des Bundesfinanzhofs I 237/60 S vom 9. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 445, Slg. Bd. 73 S. 491). Das Finanzgericht hat die Erklärung des Bf. entsprechend dem eindeutigen Wortlaut zutreffend dahin ausgelegt, daß sich der Bf. trotz der erfolgten Steuerzahlung durch die KG die Prüfung vorbehalte, ob er die Feststellungen des Betriebsprüfers anerkennen oder gegen den Gewinnfeststellungsbescheid Rechtsmittel einlegen werde. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Zahlung nicht etwa als Anerkennung der gegen ihn festgesetzten Mehrsteuern angesehen werden solle. Die genannte äußerung besagt nicht, daß sich der Bf. durch den Feststellungsbescheid, auf den er in keiner Weise Bezug nahm, beschwert fühle und daß er dessen Nachprüfung begehre. Dieser Ansicht scheint auch der Bf. zu sein; er will diesem Schreiben vorangehende Umstände, die sich vor Erlaß des Gewinnfeststellungsbescheides zugetragen haben, bei der Würdigung des oben genannten Satzes berücksichtigt wissen. Dies ist indessen nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes unzulässig. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 342/57 U vom 10. Januar 1958 (BStBl 1958 III S. 119, Slg. Bd. 66 S. 310) können keine dem Bf. günstigen Schlüsse gezogen werden. In diesem Urteil ist ausgeführt, die schriftliche Ankündigung, ein Rechtsmittel einlegen zu wollen, könne unter Umständen als Rechtsmittel aufgefaßt werden, wenn das Schreiben den - im Streitfall nicht vorliegenden - Voraussetzungen des § 249 Abs. 2 AO genüge (vgl. auch Urteile des Reichsfinanzhofs III A 372/29 vom 6. Februar 1930, Mrozek-Kartei, Reichsabgabenordnung 1919 § 234 Abs. 2, Rechtsspruch 14, ferner III A 1029/30 vom 27. November 1930, Mrozek-Kartei, a. a. O., Rechtsspruch 15).

IV. - Der Streitwert wird für die Rb. auf 90.000 DM - 30 v. H. des streitigen Gewinns in Höhe von rund 300.000 DM - festgestellt (Urteile des Bundesfinanzhofs I 207/55 U vom 9. Oktober 1956, BStBl 1956 III S. 382, Slg. Bd. 63 S. 484; I 10/58 S vom 16. Februar 1960, BStBl 1960 III S. 145, Slg. Bd. 70 S. 388 unter III). Es wird davon abgesehen, die Wertfeststellungen der Vorinstanzen zum Nachteil des Bf. zu ändern.

 

Fundstellen

BStBl III 1962, 422

BFHE 1963, 425

BFHE 75, 425

StRK, AO:210b R 4

NJW 1962, 2369

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