Leitsatz (amtlich)

Die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW 1962 ist nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar auf den Erwerb eines Grundstücks, das der Erwerber als Ersatz für ein freihändig - wenn auch möglicherweise zur Abwendung einer Enteignung gemäß §§ 85 ff. BBauG - an eine Stadtgemeinde veräußertes Grundstück mit deren Unterstützung von einem Dritten kauft.

 

Normenkette

BBauG § 85 ff., §§ 100, 104 ff.

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte nach dem vom FG in Bezug genommenen Straßen-Abtretungsvertrag ihr Grundstück (Grundstück I) an eine Stadtgemeinde verkauft, da dieses nach dem auf Grund des Bundesbaugesetzes (BBauG) festgestellten Durchführungsplan teils in eine Straße, teils in eine Grünfläche fiel. Die Stadtgemeinde hatte sich in dem Vertrag verpflichtet, der Klägerin als Ersatzobjekt ein anderes Grundstück (Grundstück II) zu beschaffen. Dieses Grundstück erwarb die Klägerin - vertreten durch die Stadtgemeinde - von privater Hand.

Gegen die Grunderwerbsteuerfestsetzung wandte die Klägerin ein, auf ihren Erwerb müsse § 1 Abs. 1 Nr. 10 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Grunderwerb nach dem Bundesbaugesetz vom 25. Juni 1962 - GrEStBBauG-NW - (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 347 - GVBl 347 -) zumindest entsprechend angewendet werden. Die Stadtgemeinde habe ihr aus eigenem Besitz kein geeignetes Ersatzgrundstück zur Verfügung stellen können und habe sich deshalb verpflichtet, zur Abwendung einer Enteignung das Grundstück II als Ersatzgrundstück zu beschaffen. Aus Kostengründen sei das Grundstück II unmittelbar von dem Dritten an sie, die Klägerin, veräußert worden.

Nach erfolglosem Einspruch machte die Klägerin mit der Berufung noch geltend, § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW müsse nach seinem Sinn und Zweck auch auf den freihändigen Grundstückserwerb angewendet werden, wenn hierdurch die Enteignung vermieden werde.

Das FG Düsseldorf wies die Berufung durch Urteil VI 14/63 GrErw vom 27. Februar 1964 aus den in den Entscheidungen der FG 1964 S. 499 dargelegten Gründen zurück.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Rechtsbeschwerde - jetzt Revision - ist nicht begründet.

Nach der hier in Betracht zu ziehenden zweiten Alternative des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW ist der Erwerb eines Grundstücks durch einen Entschädigungsberechtigten als Entschädigung in Land nach § 100 BBauG von der Besteuerung nach dem GrEStG ausgenommen. Diese Befreiungsvorschrift ist also eng und unmittelbar mit § 100 BBauG gekoppelt. Sie setzt deshalb nach ihrem eindeutigen Wortlaut die Durchführung eines Enteignungsverfahrens gemäß §§ 85 ff., 104 ff. BBauG voraus. Sie setzt ferner voraus, daß zugunsten des Enteignungsbetroffenen eine Entschädigung (§§ 93 ff. BBauG) nicht in Geld (§ 99 BBauG), sondern in geeignetem Ersatzland festzusetzen ist (§ 100 Abs. 1 und 2 BBauG) oder festgesetzt werden kann (§ 100 Abs. 3 BBauG), und zwar nur unter den in § 100 Abs. 1 bis 3 BBauG genannten, genau bestimmten Voraussetzungen. Danach muß der Enteignungsbetroffene zur Sicherung seiner Berufs- oder Erwerbstätigkeit oder zur Erfüllung der ihm wesensgemäß obliegenden Aufgaben auf Ersatzland angewiesen oder das zu enteignende Grundstück muß mit einem Eigenheim oder einer Kleinsiedlung bebaut sein (Abs. 1, 2 a. a. O.) oder es muß diese Art der Entschädigung nach den in Abs. 3 (a. a. O.) näher umschriebenen Gesichtspunkten billig sein. Außerdem müssen bei dem Enteignungsbegünstigten die in § 100 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 genannten Voraussetzungen vorliegen.

Nach den unstreitigen, mit einer Verfahrensrüge nicht angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ist ein förmliches Enteignungsverfahren nicht durchgeführt und dementsprechend eine Entschädigung in Ersatzland zugunsten der Klägerin nicht festgesetzt worden. Demgemäß ist auch nicht in der hier allein maßgeblichen Verfahrensform (§§ 104 ff. BBauG) geprüft und entschieden worden und kann sich aus den Feststellungen des FG nicht ergeben, ob die hier in Betracht kommenden sachlichen Voraussetzungen des § 100 Abs. 1 bis 3 BBauG für eine Entschädigung in Ersatzland bei dem Enteignungsbetroffenen und dem Enteignungsbegünstigten vorlagen.

Die Klägerin räumt selber ein, daß der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW ihren Fall nicht erfaßt. Ihre Meinung, diese Vorschrift müsse nach ihrem Sinn und Zweck auf einen freihändigen Erwerb entsprechend angewendet werden, wenn hierdurch eine Enteignung vermieden werde, trifft nicht zu. Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß die Stadtgemeinde das Grundstück I hätte enteignen lassen können. Und es kann offenbleiben, ob die Stadtgemeinde geeignetes Ersatzland in gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 2 BBauG zumutbarer Weise - im Sinne der Voraussetzung, daß der Klägerin ein gesetzlicher Anspruch auf Entschädigung in Land zustand - hätte beschaffen können. Auch der Umstand, daß ein Enteignungsberechtigter sich in zumutbarer Weise um einen freihändigen Erwerb unter Angebot geeigneten anderen Landes aus eigenem Vermögen bemühen muß (§§ 87, 88 BBauG), ändert an der in § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW vorgesehenen begrenzten Befreiungsmöglichkeit nichts.

In Fällen solcher Art ist zwar, aber auch nur der Erwerb eines Grundstücks im Wege oder - hier ausdrücklich - auch zur Vermeidung der Enteignung steuerbefreit, jedoch nur der Erwerb zur Verwendung im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 1, 2 BBauG durch die Gemeinde selbst, nicht aber der Erwerb des Ersatzgrundstücks durch den Enteignungsbetroffenen, der sein Grundstück - wenn auch zur Vermeidung einer Enteignung - an die Gemeinde überträgt (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 GrEStBBauG-NW). Die Fälle, in denen Grundstückserwerbe zur Vermeidung eines bestimmten förmlichen Verfahrens gleichfalls von der Besteuerung auszunehmen sind, sind in GrEStBBauG-NW mehrfach ausdrücklich abgrenzend aufgeführt, so - außer zugunsten nur der Gemeinden zur Vermeidung einer Enteignung - zur Vermeidung einer Umlegung oder einer Grenzregelung (§ 1 Abs. 1 Nrn. 5, 6 GrEStBBauG-NW). Die Grundsätze der für diese Verfahrensarten getroffenen Befreiungsvorschriften und die hierzu ergangenen - die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit ohnehin nicht bindenden - Verwaltungserlasse, also auch der von der Klägerin zitierte Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 1964 zu § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStBBauG-NW (Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - MinBl NW 1964 S. 818 - Steuererlasse in Karteiform/Grunderwerbsteuer/Nordrhein-Westfalen Nr. 6) können deshalb auf die genau umschriebenen anderen Befreiungsvorschriften dieses Gesetzes nicht übertragen werden. Insbesondere genügt es bei der Bezugnahme des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW auf § 100 BBauG nicht, daß der Grundstückswechsel sich gegebenenfalls "zur Vermeidung einer Enteignung" vollzieht (vgl. bereits zu der inhaltsgleichen Vorschrift des Niedersächsischen GrEStBBauG 1962, Urteil des Senats II 121-122/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 406, 409, BStBl II 1970, 671).

Nun sind zwar Grunderwerbsteuer-Befreiungsvorschriften nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht eng, sondern unter Würdigung des mit der Ausnahmevorschrift verfolgten Zwecks auszulegen; jedoch muß der Befreiungswille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes einen Ausdruck gefunden haben. Jedenfalls sind die Finanzverwaltungsbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit nicht befugt (Art. 20 Abs. 3 GG), einen im Gesetz nicht vorgesehenen Befreiungstatbestand von sich aus zu schaffen bzw. einen gesetzlich genau umrissenen Tatbestand - auch einen Befreiungstatbestand - auf Grund eigener Wertvorstellungen auszuweiten (vgl. zuletzt Urteil des Senats II R 26/67 vom 8. Dezember 1970, BFH 101, 312, BStBl II 1971, 255). Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Kreis der steuerpflichtigen und somit auch den der steuerbegünstigten Tatbestände zu bestimmen (Urteil des Senats II 110/62 vom 28. November 1967, BFH 91, 132, BStBl II 1968, 216).

Umgekehrt wie im Falle des Urteils des Senats II 117/65 vom 10. November 1970 (BFH 101, 133, BStBl II 1971, 251) spricht hier der klare Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW gegen die Klägerin. Nach diesen Grundsätzen verbietet sich auch - als einer Ausweitung des Tatbestandes gleichkommend - eine Gesetzesanalogie mit dem von der Klägerin erstrebten Ziel. Eine solche Analogie kann ohnehin nur in Betracht gezogen werden, wenn eine Rechtsmaterie offensichtlich lückenhaft ist (vgl. Mattern/Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 2605 mit weiteren Nachweisen). Im Streitfall ist nicht nur die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW in sich klar und eindeutig abgrenzend; auch der Blick auf die Vielzahl der anderen Befreiungsvorschriften in § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes und ihr Vergleich untereinander zeigen, daß der Gesetzgeber dieses Rechtsgebiet - gerade auch hinsichtlich des streitigen Sachverhalts und zur Frage "im Wege oder zur Vermeidung einer Enteignung" - variierend genau geregelt hat (z. B. in § 1 Abs. 1 Nr. 10 gegen Nr. 7 dieses Gesetzes).

Deshalb hilft auch die mögliche Erwägung nicht weiter, der materielle Sinn des BBauG verlange eigentlich auch die Befreiung eines "mittelbaren Ersatzerwerbes" bei freihändigen Grundstücksgeschäften, sofern durch sie eine sonst notwendig werdende Enteignung vermieden wird. Es mag ferner als unbefriedigend empfunden werden, daß der Gesetzgeber nur den (unmittelbaren) Ersatzerwerb eines Grundstücks in Durchführung eines förmlichen Enteignungsverfahrens von der Grunderwerbsteuer freigestellt hat, da dem früheren Eigentümer die Zahlung der Grunderwerbsteuer für einen gegen seinen Willen durchgeführten Grundstückswechsel nicht zugemutet werden könne (vgl. die amtliche Gesetzesbegründung, Landtag von Nordrhein-Westfalen 4. Wahlperiode Bd. 5 Drucksache Nr. 688 vom 30. Januar 1962 Teil B zu § 1 Ziff. 10; Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1962, S 4504 - 13 - V C 2, Deutsche Verkehrssteuer-Rundschau 1962 S. 121, 123); dieser Grund gelte letztlich auch für einen freihändigen Ersatzerwerb, durch den ein zeitraubendes und kostspieliges Enteignungsverfahren vermieden werde. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, daß die Enteignung grundsätzlich der Grunderwerbsteuer unterliegt und nur das förmliche Enteignungsverfahren (§§ 104 ff. BBauG) weitgehend garantiert, daß die Geschäfte wirklich dem begünstigten Zweck dienen, daß insbesondere die o. a. genau festgelegten Voraussetzungen für eine - vom Grundsatz der Entschädigung in Geld (§ 99 BBauG) abweichende - Entschädigung in Land bei Enteignungsbegünstigtem und Enteignungsbetroffenem vorliegen. Bei freihändigen Geschäften ist solches ebenso schwer zu beweisen wie zu widerlegen. Die Schwierigkeiten, eine allgemeine klare gesetzliche Grenzziehung zwischen begünstigungswürdigen und nicht mehr zu begünstigenden Geschäften zu finden, war möglicherweise der Anlaß, daß der Gesetzgeber die Grunderwerbsteuerbefreiung nur auf den unmittelbaren Ersatzerwerb im Rahmen und unter den Voraussetzungen des förmlichen Enteignungsverfahrens beschränkt und die Abwicklung von besonders gelagerten Härtefällen wirklich "enteignungsähnlichen" Charakters, in denen es lediglich an der Durchführung eines förmlichen Enteignungsverfahrens fehlt, einer Regelung im Wege des § 131 AO überlassen hat.

Ist aber die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-NW auf den Ersatzerwerb durch Entschädigung in Land im Rahmen eines Enteignungsverfahrens beschränkt, so verbieten die vorstehenden Grundsätze die entsprechende Rechtsanwendung dieser Vorschrift auf Fälle des freihändigen Grundstücksverkehrs gegen Barkaufpreis auch dann, wenn sich - wie hier - die Stadtgemeinde zur Vermeidung einer Enteignung privat-vertraglich verpflichtet, dem Veräußerer ein anderes Grundstück zu beschaffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412960

BStBl II 1972, 35

BFHE 1972, 357

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