Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Ermessensfehlgebrauch liegt nicht vor, wenn das Finanzamt vor der Entscheidung über einen Stundungsantrag zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen die Vorlage eines Vermögensstatus sowie das Angebot einer Sicherheitsleistung fordert. Dies gilt auch dann, wenn der die Stundung beantragende Steuerpflichtige an einer Gesellschaft beteiligt ist und ein anderes Finanzamt, das für die Gesellschaft und für die Mehrzahl der übrigen Gesellschafter zuständig ist, bereits eine Stundungsregelung getroffen hat.

 

Normenkette

AO § 127 Abs. 1

 

Gründe

Steuern können gestundet werden, wenn ihre Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden ist und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Die Stundung soll in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden (§ 127 Abs. 1 AO). Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Steuerstundung zu gewähren ist, ist eine Ermessensentscheidung, wie bereits das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Senat hat lediglich zu prüfen, ob in der Versagung der Stundung bzw. in den sonstigen Anforderungen der Verwaltung ein Ermessensmißbrauch der Finanzverwaltungsbehörden zu erblicken ist (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277 ff.). Entscheidend sind hierbei die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion, im vorliegenden Falle also die Verhältnisse vom 5. September 1957.

Im vorliegenden Fall geht der Streit nicht darum, daß die Verwaltungsbehörden eine Stundung des Steuerbetrages von insgesamt rund 90.000 DM als solche abgelehnt haben. Das ist schon daraus zu erkennen, daß die Verwaltungsbehörden sich wiederholt grundsätzlich zur Stundung bereit erklärt haben. Streitig ist vielmehr nur, ob die Verwaltungsbehörden ihr Ermessen dadurch verletzt haben, daß sie vor der eigentlichen Entscheidung über den Stundungsantrag, nach dem die Steuerrückstände des Bf. in derselben Weise gestundet werden sollten wie bei den übrigen, bei dem Finanzamt B veranlagten Gesellschaftern der Firma X, zunächst die Vorlage eines Vermögensstatus und ein Angebot über eine Sicherheitsleistung gefordert haben.

Der Senat vermag nicht anzuerkennen, daß das Verhalten der Verwaltungsbehörden einen Ermessensfehlgebrauch darstellt. Wenn nach § 127 AO eine Stundung von Steuern gewährt werden kann, sofern ihre Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden ist, so ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, daß die Verhältnisse des Steuerpflichtigen, der die Stundung beantragt, angemessen zu berücksichtigen sind (so auch Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1. bis 4. Aufl., § 127 Anm. II 1). Das setzt aber eine Erforschung und Aufklärung der Verhältnisse des Steuerpflichtigen durch das Finanzamt und außerdem die Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Ermittlung seiner Verhältnisse voraus. Mit Recht hebt deshalb Kühn (Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 6. Aufl., § 127 Anm. 3) hervor, daß Stundungsanträge im Hinblick auf die geforderten Voraussetzungen (erhebliche Härte bei sofortiger Zahlung, keine Gefährdung des Steueranspruchs bei Gewährung von Stundung) von vornherein ausreichend begründet werden sollten. Nach Kühn geschieht das zweckmäßigerweise durch Einreichung eines Liquiditätsstatus, aus dem sich eine Gegenüberstellung der flüssigen bzw. kurzfristig realisierbaren Vermögenswerte und der Rückstände bzw. kurzfristig fälligen Verpflichtungen ergibt, sofern es sich nicht nur um kurze Stundungen von wenigen Tagen, sondern um längere Stundungen bzw. um Teilzahlungsvorschläge handelt, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Kühn empfiehlt außerdem bei Steuerschulden von größerem Umfang die Einreichung einer Vermögensübersicht, verbunden mit Ausführungen darüber, aus welchen Gründen die Verwertung von Vermögensteilen zwecks sofortiger Entrichtung der Steuer nicht zumutbar ist.

Im Streitfall war das Finanzamt hiernach nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Verhältnisse des Bf. zu erforschen, wenn es den Anforderungen des § 127 AO genügen und damit von seinem Ermessen den richtigen Gebrauch machen wollte. Zu diesem Zweck konnte und mußte es bei der Höhe der Steuerschulden und in Anbetracht der beantragten Stundungsdauer die Vorlage eines Vermögensstatus fordern. Diesem Verlangen durfte der Bf., wenn er seiner Mitwirkungspflicht genügen wollte, nicht mit dem Hinweis darauf begegnen, daß sich der Status bereits aus den Akten ergebe. Die Akten der Steuerpflichtigen, die zu den laufenden Steuern veranlagt werden, enthalten zwar durchweg die Steuererklärungen und Bilanzen. Diese beziehen sich aber im Regelfalle auf Zeiträume, die schon einige Zeit zurückliegen. So befand sich auch im vorliegenden Falle in dem Zeitpunkt, in dem der Stundungsantrag gestellt wurde (Mai 1957) lediglich die Einkommensteuererklärung für 1955 in den Akten. Bei der Entscheidung über den Stundungsantrag kommt es aber darauf an, sich ein zeitnahes Bild über die Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu verschaffen. Das erfordert auch das Rechtsschutzinteresse der Steuerpflichtigen. Die Möglichkeit, sich ein zeitnahes Bild über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. lediglich nach dem Akteninhalt zu verschaffen, wäre im vorliegenden Falle nicht gegeben gewesen. Hiervon abgesehen ist zu beachten, daß es bei einem Stundungsantrag, wie schon bemerkt, vor allem auf die Darstellung der flüssigen Vermögenswerte und der kurzfristig fälligen Verpflichtungen ankommt, die sich - wie im Streitfall - im allgemeinen nicht aus den Steuererklärungen, den Bilanzen oder den sonstigen bei den Akten befindlichen Unterlagen ergeben. Wenn der Bf. seiner Mitwirkungspflicht genügen wollte, durfte er die Vorlage des Status auch nicht mit dem Hinweis darauf ablehnen, es liege eine Ungleichheit in der Besteuerung vor, wenn das Finanzamt A seine Steuerschulden nicht in gleicher Weise stunde, wie es das Finanzamt B für die übrigen Gesellschafter der Firma X getan habe. Der erkennende Senat vermag nach dem Akteninhalt nicht mit Sicherheit festzustellen, von welchen Voraussetzungen und Anforderungen das für die Mehrzahl der übrigen Gesellschafter der Firma X zuständige Finanzamt B bei der Prüfung der Stundungsanträge der übrigen Gesellschafter ausgegangen ist. Der Senat hat auch im Streitfall nicht zu entscheiden, ob das Finanzamt B bei seiner Entscheidung die oben zu § 127 AO dargelegten Grundsätze beachtet und außerdem sich innerhalb der hierbei innezuhaltenden Ermessensgrenzen gehalten hat. In jedem Falle stellt es eine Verletzung der Ermessensgrenzen nicht dar, wenn das für den Bf. zuständige Finanzamt unter Beachtung des im § 127 AO zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers sich bemüht hat, zunächst die Verhältnisse des Bf. zu erforschen. Hinzu kommt, daß das Finanzamt A dem Bf. zu verstehen gegeben hat, daß es nicht etwa grundsätzlich eine Stundung in der durch das Finanzamt B ausgesprochenen Form ablehne.

Die Einreichung eines Vermögensstatus ist schließlich einem Steuerpflichtigen auch dann zuzumuten, wenn dieser, wie der Bf., an mehreren Unternehmen beteiligt ist und in dem Status demgemäß die Beteiligungen an diesen mehreren Unternehmen zu berücksichtigen sind.

Bei der Höhe der geschuldeten Steuerforderungen und bei Beachtung von § 127 Abs. 1 AO war das Finanzamt auch berechtigt, ein Angebot über eine Sicherheitsleistung zu fordern, wobei nach Einreichung des Status die Möglichkeiten der Sicherheitsleistung im einzelnen zwischen Finanzamt und Bf. erörtert werden konnten.

Der Senat vermag auch nicht anzuerkennen, daß das Verfahren des Finanzamts, mit dem dieses pflichtgemäß die besonderen Verhältnisse des Bf. berücksichtigen wollte, zu einer Ungleichmäßigkeit in der Besteuerung bzw. zu einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz führen müsse. Bemerkt sei hierzu, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zu Art. 3 des Grundgesetzes hervorgehoben hat, es entspreche der Gerechtigkeit, wenn beim Erlaß laufender Leistungen aus Billigkeitsgründen (nach dem Hypothekensicherungsgesetz vom 2. September 1948) "die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Schuldners unter Berücksichtigung seiner gesamten sozialen Lage mit zu berücksichtigen sind" (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 102/51 vom 24. April 1953, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 2 S. 237, insbesondere S. 264). Nach der Auffassung des erkennenden Senats muß dasselbe gelten, wenn ein Finanzamt über einen Stundungsantrag zu entscheiden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410052

BStBl III 1961, 292

BFHE 1962, 67

BFHE 73, 67

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