Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines Kraftfahrzeugsteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977
Leitsatz (amtlich)
1. Wird die zu einer höheren Kraftfahrzeugsteuer führende richtige Bemessungsgrundlage nachträglich bekannt (hier: das verkehrsrechtlich zulässige Gesamtgewicht eines Nutzfahrzeugs), so ist der unter Zugrundelegung einer anderen Bemessungsgrundlage erlassene Kraftfahrzeugsteuerbescheid gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 zu ändern.
2. Eine Änderung gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ist ausgeschlossen, wenn die richtige Bemessungsgrundlage bei Erlaß des Kraftfahrzeugsteuerbescheids (auch Änderungsbescheid) bekannt war oder sie infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht unbekannt geblieben war. Auf den Eintritt einer Vertrauensfolge kommt es insoweit nicht an.
3. Zu den Voraussetzungen einer Änderungssperre (2.).
Orientierungssatz
Die Finanzbehörde verletzt ihre Ermittlungspflicht --hier nach § 204 AO, § 9 KraftStDV 1961-- nur, wenn sie offenkundigen Zweifelsfragen, Unklarheiten oder Zweifeln die sich bei der Prüfung der Steuererklärung und der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen, nicht nachgeht (vgl. BFH-Urteil vom 13.11.1985 II R 208/82). Allein in diesem Falle ist eine Berufung der Finanzbehörde auf das nachträgliche Bekanntwerden steuererhöhend wirkender Tatsachen oder Beweismittel ausgeschlossen.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d; AO § 204; KraftStG 1979 § 12 Abs. 2, § 8 Nr. 2 S. 1; KraftStDV 1961 §§ 9, 8
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete am 13.Februar 1973 bei der Zulassungsbehörde einen Lastkraftwagen an. In der dem beklagten und revisionsklagenden Finanzamt (FA) von der Zulassungsbehörde zugeleiteten "Anmeldung zur Kraftfahrzeugsteuer" war die Nutzlast des Fahrzeugs mit 8 000 kg, das zulässige Gesamtgewicht mit 15 000 kg angegeben. Am 14.Februar 1973 übersandte die Zulassungsbehörde dem FA eine geänderte Anmeldung, in der das "Gesamtgewicht" mit 6 570 kg angegeben war. Nachdem das FA Kraftfahrzeugsteuer zunächst auf der Grundlage des in der ersten Anmeldung angegebenen Gesamtgewichts festgesetzt hatte, erließ es am 24.April 1973 für die Zeit ab 13.Februar 1973 einen geänderten Kraftfahrzeugsteuerbescheid nach einem Gesamtgewicht von 6 570 kg. 1983 wurde dem FA bekannt, daß das kraftfahrzeugsteuerrechtlich maßgebende Gesamtgewicht 15 000 kg betrug (nur die Nutzlast 6 570 kg). Das FA setzte darauf gegen die Klägerin für die Zeit ab 13.Februar 1984 Kraftfahrzeugsteuer entsprechend höher fest (geänderter Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 6.Oktober 1983).
Die Klage gegen diese durch Einspruchsentscheidung bestätigte Festsetzung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, § 12 Abs.2 Nr.1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1979 sei nicht anwendbar, eine Änderung gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) jedenfalls nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht möglich. Das FA hätte bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht das zutreffende zulässige Gesamtgewicht feststellen können. Es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die weitere Ermittlungen hätten veranlassen müssen (neue Anmeldung mit erheblich abweichenden Daten unmittelbar nach der Erstanmeldung; Zweitanmeldung nur mit "Gesamtgewicht"). Die Klägerin treffe kein Mitverschulden an der Festsetzung einer zu niedrigen Kraftfahrzeugsteuer. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die geänderte Anmeldung vom 14.Februar 1973 von der Klägerin veranlaßt worden sei. Eine sonstige Rechtsgrundlage für die geänderte Festsetzung bestehe nicht. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß das Kraftfahrzeugsteuergesetz 1979 eine Lücke enthalte, die dahin auszufüllen wäre, daß auch bei lediglich besserer Erkenntnis der Finanzbehörde die Änderung eines Kraftfahrzeugsteuerbescheides für die Zukunft möglich sei. § 12 KraftStG 1979 sei als abschließende kraftfahrzeugsteuerrechtliche Regelung für die Neufestsetzung anzusehen. Es erscheine auch nicht zwingend, daß eine Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer für die Zukunft in jedem Falle erfolgen dürfe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, zu deren Begründung ausgeführt wird, aus der Sicht der Empfängerin stamme die geänderte Anmeldung vom 14.Februar 1973 von der Klägerin; die Ermittlungspflicht sei nicht verletzt worden, da auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Erklärung habe vertraut werden dürfen. Unabhängig davon schließe eine Verletzung der Ermittlungspflicht eine Berichtigung gemäß § 173 AO 1977 nur aus, wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen unabänderbar beeinflußt worden sei. Das sei nur möglich bei in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalten. Soweit es sich um die Beurteilung künftiger Besteuerungstatbestände handele, könne der Steuerpflichtige sich auf eine Änderung einstellen. Sein Vertrauen in den Bestand der Steuerfestsetzung sei in diesen Fällen nicht schutzwürdig. Zudem ergebe sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, daß bei einem Steuerbescheid mit Dauerwirkung eine Berichtigung für die Zukunft immer möglich sei. § 12 KraftStG 1979 enthalte insoweit keine Regelung für alle anderen denkbaren Fälle.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dessen Feststellungen vermögen die Vorentscheidung nicht zu rechtfertigen. Spruchreif ist die Sache indessen nicht.
Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß ein Fall der Neufestsetzung i.S. von § 12 Abs.2 KraftStG 1979 (insbesondere Nr.1) nicht vorliegt. Rechtsgrundlage des Kraftfahrzeugsteuerbescheides vom 6.Oktober 1983 ist vielmehr, wie in der Einspruchsentscheidung angegeben, § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 (vgl. auch Art.97 § 9 des Einführungsgesetzes zur AO 1977; Senat, Urteile vom 20.August 1985 VII R 182/82, BFHE 144, 465, 468, BStBl II 1985, 716; vom 16.Dezember 1986 VII R 151/84, BFH/NV 1987, 198, und vom 17.Oktober 1989 VII R 58/87, BFHE 158, 466, 468, BStBl II 1990, 249). Hiervon geht offenbar auch die Vorinstanz aus, obgleich sie in anderem Zusammenhang den abschließenden Charakter der Regelung über kraftfahrzeugsteuerrechtliche Neufestsetzungen hervorhebt. Diese in § 12 Abs.2 KraftStG 1979 getroffene Regelung ist indessen nicht abschließend in dem Sinne, daß auch in den nicht zu Neufestsetzungen führenden Fällen eine Änderung von Kraftfahrzeugsteuerbescheiden wegen nachträglichen Bekanntwerdens steuererhöhend wirkender Tatsachen oder Beweismittel ausgeschlossen wäre. Wird die richtige Bemessungsgrundlage --hier das verkehrsrechtlich zulässige Gesamtgewicht (§ 8 Nr.2 Satz 1 KraftStG 1979)-- nachträglich bekannt, so kommt eine Änderung der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung aufgrund von § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 in Betracht (so für die Festsetzung mit Wirkung für die Zukunft Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer-Kommentar, 3.Aufl. 1981, Abschn.61, b *= S.326; vgl. auch Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 8b, S.288; Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz, 1990, § 12 Anm.1; im Ergebnis ebenso Möllinger, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1980, 90; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, 1976, § 172 Anm.37 a.E.; Siepmann, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1990, 270). Die Frage, ob sich die Änderung eines Steuerbescheides mit Dauerwirkung auf einen ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsatz stützen läßt, stellt sich nicht.
Für die Zulässigkeit der Änderung (§ 172 Abs.1 Nr.2 Buchst.d AO 1977) kommt es darauf an, ob mit dem richtigen zulässigen Gesamtgewicht des Fahrzeugs eine steuererhöhend wirkende Tatsache "nachträglich" bekanntgeworden ist; § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Ist sie nicht erst nachträglich bekanntgeworden, so ist eine Änderung ausgeschlossen. Im Rahmen von § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ausgeschlossen ist auch die Berufung auf Tatsachen, die der Finanzbehörde infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht zunächst unbekannt geblieben sind, sofern der Steuerpflichtige die ihn treffende Mitwirkungspflicht in zumutbarem Umfang erfüllt hat (BFHE 158, 466, 471, m.N.). Diese Einschränkungen ergeben sich aus dem allgemein geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 11.November 1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, 336 f., BStBl II 1988, 115; vom 20.Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, 348, BStBl II 1989, 585, und vom 5.Dezember 1990 I R 21/88, BFH/NV 1991, 785 f.); sie sind mithin auch bei der Änderung eines Kraftfahrzeugsteuerbescheides mit Dauerwirkung zu beachten, selbst wenn dieser lediglich für die Zukunft geändert werden soll (anders ohne nähere Begründung Siepmann, a.a.O.). Entgegen der Ansicht des FA gilt dies unabhängig davon, ob eine Vertrauensfolge eingetreten ist. Auf den Gesichtspunkt des Vertrauens (Vertrauenstatbestand und -folge) kommt es nur bei einer an sich zulässigen Änderung nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 an.
Von diesen Grundsätzen ist ersichtlich auch das FG ausgegangen. Ihm kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit es erkannt hat, im Streitfalle hätte das FA Ermittlungen hinsichtlich des richtigen Gesamtgewichts des Fahrzeuges anstellen müssen.
Die Finanzbehörde verletzt ihre Ermittlungspflicht --hier nach § 204 der Reichsabgabenordnung, § 9 der Kraftfahrzeugsteuer- Durchführungsverordnung (KraftStDV) 1961-- nur, wenn sie offenkundigen Zweifelsfragen, Unklarheiten oder Zweifeln, die sich bei der Prüfung der Steuererklärung und der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen, nicht nachgeht (BFH, Urteil vom 13.November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, 489, BStBl II 1986, 241; BFHE 156, 339, 349). Allein in diesem Falle ist eine Berufung auf das (vom FG unterstellte) nachträgliche Bekanntwerden steuererhöhend wirkender Tatsachen oder Beweismittel ausgeschlossen. Die vom FG berücksichtigten "außergewöhnlichen Umstände" mochten --wie an anderer Stelle der Vorentscheidung ausgeführt-- eine Überprüfung nahelegen, dies jedoch nicht in dem Sinne, daß sich dem FA Zweifel aufdrängen mußten. Die der ersten Steueranmeldung unmittelbar folgende geänderte Anmeldung mit Angabe eines wesentlich abweichenden Gesamtgewichts war in sich nicht widersprüchlich, das zuletzt erklärte Gewicht war möglich. Auch im Hinblick auf die (beanstandungslose) Prüfung der Steueranmeldung durch die Zulassungsbehörde --§ 8 KraftStDV 1961-- konnte das FA, unbeschadet der Abgabe der ersten (dann aber überholten) Anmeldung, von der nunmehr geänderten Angabe ausgehen (vgl. auch BFH/NV 1987, 198 f.). Ob sie von der Klägerin stammte, ist nicht entscheidend. Aus der Sicht des FA, auf die es bei der Beurteilung der Frage, ob ein offenkundiger Zweifel vorlag, allein ankommt, handelte es sich um eine (von der Zulassungsbehörde an das FA weitergeleitete) Steueranmeldung der Klägerin. Weitere Umstände, die trotz Widerspruchsfreiheit dieser Anmeldung, Möglichkeit eines Gesamtgewichts von nur 6 570 kg und Prüfung durch die Zulassungsbehörde die Annahme rechtfertigen könnten, daß sich Zweifel an dem zuletzt angemeldeten Gesamtgewicht hätten aufdrängen müssen, hat das FG nicht festgestellt. Unter diesen Umständen erscheint der Schluß des FG, daß das FA weitere Ermittlungen habe vornehmen müssen, für den Senat nicht nachvollziehbar.
Die Vorentscheidung kann hiernach keinen Bestand haben.
Im zweiten Rechtsgang wird das FG zunächst unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen zu prüfen haben, ob ein offenkundiger Zweifel für das FA gegeben war. Wird dies verneint, so wird zu klären sein, ob die maßgebende steuererhöhende Tatsache dem FA (Kraftfahrzeugsteuerstelle) erst nachträglich bekanntgeworden ist. Da auch ein Steueränderungsbescheid "Steuerbescheid" i.S. von § 173 Abs.1 AO 1977 ist (BFH, Urteil vom 12.Januar 1989 IV R 8/88, BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438), kommt es darauf an, ob das zutreffende Gesamtgewicht nach Erlaß des Änderungsbescheides vom 24.April 1973 festgestellt worden ist. Die frühere Kenntnis des FA aufgrund der ersten Steueranmeldung hatte keine rechtliche Bedeutung mehr, nachdem die zur Änderungsfestsetzung führende Zweitanmeldung mit Angabe eines anderen Gesamtgewichts eingegangen war.
Fundstellen
Haufe-Index 63717 |
BFH/NV 1992, 26 |
BStBl II 1992, 324 |
BFHE 166, 395 |
BFHE 1992, 395 |
BB 1992, 628 (L) |
DStZ 1992, 284 (KT) |
HFR 1992, 223 (LT) |
StE 1992, 183 (K) |