Leitsatz (amtlich)

1. Das Hauptzollamt darf die Höhe der Summe einer Gesamtbürgschaft im gemeinschaftlichen Versandverfahren nach der Formel berechnen: 5 v.H. der voraussichtlichen Abgabenbelastung, berechnet auf der Grundlage von 1/12 des voraussichtlichen Jahreswertes der beförderten Waren und einer pauschalen Eingangsabgabenbelastung von 15 v.H.

2. Grundlage für die Berufung auf den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung kann nur die durch eine Verwaltungsrichtlinie bestimmte tatsächliche Verwaltungsübung sein, nicht aber ein damit nicht im Einklang stehendes Ergebnis der Auslegung dieser Richtlinie.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EWGV 222/77 Art. 27; EWGV 222/77 Art. 30

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein Transportunternehmen, leistete im März 1982 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) eine Sicherheit zur Teilnahme am gemeinschaftlichen Versandverfahren in Höhe von 100 000 DM in Form einer selbstschuldnerischen Bürgschaft eines Sicherungsgebers. Am 16.Januar 1985 teilte die Klägerin dem HZA mit, daß sie im Jahre 1984 Waren im Wert von rd. 260 Mio DM (rd. 220 Mio DM Drittlandsgut und rd. 40 Mio DM Gemeinschaftsgut) zum gemeinschaftlichen Versandverfahren habe abfertigen lassen. Daraufhin forderte das HZA die Klägerin mit Bescheid vom 11.Februar 1985 auf, eine weitere Bürgschaftserklärung über 70 000 DM vorzulegen. Die Höhe der Bürgschaftssumme errechnete das HZA in Anwendung der Regelung in der Dienstanweisung des Bundesministers der Finanzen (BMF) zur Verordnung (EWG) Nr.222/77 (VO Nr.222/77) des Rates über das gemeinschaftliche Versandverfahren vom 13.Dezember 1976 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 38/1). In Absatz 12 dieser Dienstanweisung heißt es: "Die Höhe der Bürgschaftssumme ... ist bei vertrauenswürdigen Personen auf 5 v.H. der durchschnittlich bestehenden Haftungsverbindlichkeiten ... zu bemessen" (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- Z 3510). Aus den Angaben der Klägerin entnahm das HZA als monatlichen Warenwert den Betrag von rd. 21 Mio DM. Als durchschnittliche Eingangsabgabenbelastung legte es die durchschnittliche Umsatzsteuerbelastung innerhalb der Gemeinschaft in Höhe von 15 % zugrunde (*= rd. 3,2 Mio DM) und errechnete daraus unter Ansatz von 5 % dieses Betrages die Höhe der Sicherheit.

Mit ihrer nach erfolgloser Beschwerde erhobenen Klage beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 11.Februar 1985 dahingehend zu ändern, daß die erforderliche Sicherheit auf insgesamt 82 500 DM festgesetzt wird. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, das HZA habe die Höhe der Sicherheit fehlerhaft berechnet; denn diese sei entsprechend der Gestellungsfrist der Waren auf 5 % der durchschnittlichen Haftungsverbindlichkeiten innerhalb eines Zeitraumes von höchstens 14 Tagen festzusetzen (260 Mio DM : 24 = 11 Mio DM; davon 15 % = 1 650 000 DM; davon 5 % als erforderliche Sicherheit = 82 500 DM).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das FG hat ohne Rechtsirrtum entschieden, daß der angefochtene Bescheid mit der Festsetzung der Höhe der erforderlichen Sicherheit die Klägerin in ihren Rechten nicht verletzt.

Nach Art.27 Abs.1 VO Nr.222/77 hat der Hauptverpflichtete (vgl. Art.11 Buchst.a VO Nr.222/77) Sicherheit zu leisten, "damit die Erhebung der Zölle und anderen Abgaben sichergestellt wird, die ein Mitgliedstaat für die Waren beanspruchen könnte, die sein Gebiet beim gemeinschaftlichen Versandverfahren berühren". Die Sicherheit kann für mehrere gemeinschaftliche Versandverfahren als Gesamtbürgschaft geleistet werden (Art.27 Abs.2 VO Nr.222/77). Die Gesamtbürgschaft ist bei einer Zollstelle der Bürgschaftsleistung zu leisten (Art.30 Abs.1 VO Nr.222/77). Die Zollstelle der Bürgschaftsleistung bestimmt die Bürgschaftssumme (Art.30 Abs.2 VO Nr.222/77). Diese Bestimmung ist wegen ihres Regelungscharakters ein Verwaltungsakt (vgl. § 118 der Abgabenordnung --AO 1977--). Art.30 Abs.2 VO Nr.222/77 stellt die Entscheidung über die Höhe der Bürgschaftssumme in das Ermessen der Zollstelle der Bürgschaftsleistung, hier also des HZA. Diesem stand daher bei der Entscheidung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu. Ein solcher Spielraum kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) durch Verwaltungsanweisungen ausgefüllt werden (vgl. z.B. Urteil vom 22.Juli 1987 I R 224/83, BFHE 150, 546, BStBl II 1987, 842, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Eine solche Verwaltungsanweisung besteht auch im vorliegenden Fall in Gestalt von Absatz 12 der Dienstanweisung des VSF Z 3510 und des vom FG in Bezug genommenen BMF-Erlasses vom 22.Januar 1970.

Bei der Beurteilung dieser Ermessensrichtlinien des BMF ist zu berücksichtigen, daß es sich um eine Regelung für die Bemessung der Höhe der Bürgschaftssumme bei einer Gesamtbürgschaft handelt. Diese Bürgschaft gilt zur Sicherstellung des Abgabenrisikos bei einer unbestimmten Vielzahl von Versandverfahren (vgl. Art.27 Abs.1 und 2 VO Nr.222/77). Die Bemessung ist nicht ohne eine Reihe von pauschalen Annahmen und groben Schätzungen möglich. Dem entspricht die Ermessensrichtlinie. Die durch sie festgelegte Berechnungsmethode (5 % der voraussichtlichen Abgabenbelastung, berechnet auf der Grundlage von 1/12 des jährlichen Werts der beförderten Waren und einer pauschalen Eingangsabgabenbelastung von 15 %) muß als ein zusammengehörendes Ganzes gesehen werden, aus dem nicht ein Faktor verändert werden kann, ohne daß die anderen Faktoren in Frage gestellt werden. Unter Ermessensgesichtspunkten ist diese Regelung rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Klägerin beruft sich demgegenüber auf den Wortlaut von Absatz 12 VSF Z 3510, wo von den "durchschnittlich bestehenden Haftungsverbindlichkeiten" die Rede ist. Sie verkennt dabei aber, daß es nicht auf die von ihr vertretene mögliche Auslegung des Wortlautes der Dienstanweisung ankommen kann, sondern allein auf den Sinn, den ihr der BMF erkennbar beigemessen hat. Es kann zumindest nach Ergehen des Erlasses vom 22.Januar 1970 keinem Zweifel unterliegen, daß der BMF unter den Worten "durchschnittlich bestehende Haftungsverbindlichkeiten" etwas anderes verstanden hat als die Klägerin. Denn mit diesem Erlaß hat der BMF die Zolldienststellen angewiesen, "bei der Berechnung der Bürgschaftssumme ... von der voraussichtlichen Eingangsabgabenbelastung eines Monats ... auszugehen" (vgl. jetzt VSF Z 3510 Abs.11 a).

Auf den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (vgl. Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes) kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Da die Ermessenstätigkeit der Verwaltung unter der Herrschaft des Gleichheitssatzes steht, darf diese im Einzelfall nicht ohne triftigen Grund von der durch die Verwaltungsvorschrift bestimmten tatsächlichen Verwaltungsübung abweichen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 4 AO 1977 Anm.38, mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur). Maßgebend ist also die tatsächliche Verwaltungsübung, nicht aber die Auslegung etwaiger Ermessensrichtlinien nach den Grundsätzen, die an die Auslegung von Rechtsnormen anzulegen sind. Die tatsächliche Verwaltungsübung bei den Entscheidungen der Zollverwaltung über die Höhe der Bürgschaftssumme hat sich aber, wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, zumindest seit dem Erlaß vom 22.Januar 1970 nicht geändert. Die Klägerin will eine Änderung dieser Verwaltungsübung ihr gegenüber mit dem Hinweis erreichen, daß die Verwaltung ihre eigene Ermessensrichtlinie bisher falsch ausgelegt hat. Dafür bietet aber der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung keine Rechtsgrundlage.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62696

BFH/NV 1989, 48

BFHE 158, 182

BFHE 1990, 182

BB 1989, 2103-2104 (L1-2)

DStR 1990, 180 (KT)

HFR 1990, 14 (LT)

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