Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Frage der Begründetheit der Klage bei Abweisung der Klage als unzulässig oder wegen eines Verfahrensfehlers bei mangelnder Erfolgsaussicht einer Revision; zur ordnungsgemäßen Divergenzrüge

 

Leitsatz (NV)

1. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend gemacht, die die Begründetheit der Klage betrifft, so kann die Revision nicht zugelassen werden, wenn das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat.

2. Eine ordnungsgemäße Divergenzrüge erfordert eine genaue Angabe des Urteils des BFH, von dem abgewichen sein soll (Aktenzeichen, Datum und gegebenenfalls Fundstelle) sowie die Ableitung eines tragenden Rechtssatzes aus der angegriffenen FG-Entscheidung, der zu einem ebenfalls die Entscheidung des BFH tragenden abstrakten Rechtssatz in Widerspruch stehen kann.

3. Im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen eines geltend gemachten Verfahrensmangels zuzulassen ist, sind die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, Abs. 3 Satz, § 118 Abs. 1, § 126 Abs. 4

 

Tatbestand

Nach erfolglosem Vorverfahren erhoben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1987. Sie beantragten unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung den Einkommensteuerbescheid dahin zu ändern, daß bei der Ermittlung der tariflichen Steuer ein Grundfreibetrag in Höhe der für sie geltenden Sozialhilfesätze berücksichtigt werde.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es begründete seine Entscheidung wörtlich wie folgt: Die Klage ist bereits unzulässig. Denn wenn der gemeinsame Bevollmächtigte der Kläger die ,Sozialhilfesätze, nach denen der begehrte Grundfreibetrag bemessen werden soll, weder beziffert noch - wie in Parallelfällen - als Regelsätze oder als Höchstsätze konkretisiert, versetzt er das Gericht nicht in die Lage, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen.

Das FG hat gegen seine Entscheidung die Revision nicht zugelassen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit welcher sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz sowie Verfahrensmängel geltend machen.

Sie hätten, wie sich aus der Einkommensteuererklärung ergebe, die Einzelbekanntgabe der Steuerbescheide beantragt bzw. sich nicht damit einverstanden erklärt, daß der Steuerbescheid jedem der unterzeichnenden Ehegatten zugleich mit Wirkung für und gegen den anderen bekanntgegeben werde. Trotzdem sei ihnen der Steuerbescheid nicht einzeln bekanntgegeben worden. Die Frage, ob dies rechtmäßig sei, werde vom ... und ...Senat des FG unterschiedlich beantwortet. Die derzeitige Rechtslage sei völlig verworren. Die Beurteilung dieser Frage durch den Bundesfinanzhof (BFH) liege daher aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsentwicklung und der Rechtssicherheit im allgemeinen Interesse.

Das angefochtene Urteil weiche von der Entscheidung des BFH vom 26. März 1985 VIII 225/83 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1985, 445) ab. Danach sei zur Bekanntgabe eines zusammengefaßten Einkommensteuerbescheids jedem Ehegatten eine Urschrift des Steuerbescheids zu übermitteln, wenn die Ehegatten sich nicht gegenseitig zur Empfangnahme von Steuerbescheiden bevollmächtigt hätten. Aufgrund dieser Entscheidung hätte das FG im Streitfall zu der Auffassung kommen müssen, daß die Bekanntgabe des zusammengefaßten Einkommensteuerbescheids in einer Ausfertigung zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe insgesamt geführt habe.

In seiner Entscheidung sei das FG auf den ebenfalls beantragten Kinderfreibetrag und die übrigen Anträge nicht eingegangen. Das Übergehen dieser Klageanträge stelle einen Verfahrensmangel dar, auf dem das Urteil beruhe.

Im übrigen sei der Vorsitzende des FG-Senats seiner Fürsorgepflicht nach § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht nachgekommen. Er hätte darauf hinwirken müssen, daß sachdienliche Anträge gestellt werden. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Das FG habe auch zu Unrecht in der Sache entschieden. Die Streitsache hätte an das FA zur Durchführung eines orndungsgemäßen Vorverfahrens zurückverwiesen werden müssen. Insofern liege ebenfalls ein Verfahrensmangel vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensmangel sind im Streitfall nicht gegeben.

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtssache zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muß klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sein.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Es mangelt an der Klärungsfähigkeit. Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, während die von den Klägern als rechtsgrundsätzlich angesehene Rechtsfrage die Begründetheit der Klage betrifft. In einem solchen Fall ist die Zulassung zu versagen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 10 m.w.N.; BFH-Beschluß vom 7. November 1990 III B 19/90, BFH/NV 1991, 755).

2. Soweit die Kläger Divergenz der Vorentscheidung zum Urteil des BFH vom 26. März 1985 VIII R 225/83 (BFHE 143, 491, BStBl II 1985, 603) rügen, ist die Beschwerde unzulässig.

Wird die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision darauf gestützt, daß das Urteil des FG von einer Entscheidung des BFH abweiche und auf dieser Abweichung beruhe (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), so muß die Entscheidung des BFH, von der nach der Behauptung der Beschwerdeführer das FG abgewichen sein soll, bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dies erfordert eine genaue Angabe des Urteils des BFH mit Aktenzeichen, Datum und gegebenenfalls Fundstelle. Darüber hinaus muß aus der Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz der Entscheidung des BFH in Widerspruch stehen kann (BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Die nach Auffassung der Beschwerdeführer voneinander abweichenden Rechtssätze sind erkennbar oder doch zumindest in nachvollziehbarer Weise gegenüberzustellen.

Diesen Anforderungen wird die Begründung der von den Klägern erhobenen Divergenzrüge nicht gerecht. Die Kläger haben zwar eine Entscheidung des BFH, von der das FG angeblich abgewichen sein soll, benannt. Aus ihrem Vorbringen kann jedoch nicht entnommen werden, welche Rechtssätze das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, die mit der angeführten Rechtsprechung des BFH nicht übereinstimmt.

Im übrigen kommt eine Zulassung wegen Divergenz nur in Betracht, wenn die Abweichung in bezug auf eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage besteht (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115, Anm. 16). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben (siehe unter 1.).

3. Die Zulassung der Revision kann auch nicht auf die von den Klägern erhobene Rüge eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützt werden.

a) Die Kläger machen insoweit zunächst geltend, daß das FG ihren Antrag zum Kinderfreibetrag und sonstige Klageanträge übergangen habe. Daraus läßt sich jedoch kein Verfahrensverstoß i.S. von § 115 Abs. 2 N.3 FGO herleiten.

Es ist schon fraglich, ob die Beschwerdeschrift insoweit den Anforderungen genügt, die § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde stellt. Im Fall einer auf Verfahrensmängel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde müssen in der Beschwerdeschrift die Verfahrensmängel bezeichnet werden. Hierzu sind die Tatsachen einzeln aufzuführen, die den Mangel ergeben sollen. Es ist weiter darzutun, daß das finanzgerichtliche Urteil auf diesem Mangel beruht. Es muß somit die Möglichkeit aufgezeigt werden, daß das FG ohne diesen Verfahrensmangel anders entschieden hätte; dabei ist von der Rechtsauffassung des FG auszugehen.

Ob die Beschwerdebegründung der Kläger diesen Anforderungen gerecht wird, kann offenbleiben. Denn der geltend gemachte Verfahrensmangel ist dem FG nicht unterlaufen. Die Kläger haben im Verfahren vor dem FG weder einen Antrag zum Kinderfreibetrag noch sonstige Klageanträge gestellt. Die Zusatzanträge lt. Schriftsätzen vom 12. und 13. Januar 1990 haben sie mit Schriftsatz vom 30. März 1990 zurückgenommen.

b) Es kann auch offenbleiben, ob ein Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO gegeben ist, wie die Kläger annehmen. Denn die Revision kann selbst dann, wenn ein solcher Verfahrensverstoß vorgelegen haben sollte, nicht zugelassen werden.

Im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen des Vorliegens von Verfahrensverstößen zugelassen werden soll, sind nach Auffassung des Senats in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen. Es liegt im Interesse der Prozeßökonomie, keine Revision wegen Verfahrensverstößen zuzulassen, wenn von vornherein feststeht, daß die Revision im Ergebnis keinen Erfolg haben kann, weil sich das FG-Urteil trotz einer Verletzung des bestehenden Rechts aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 126 Abs. 4 FGO). Da die Erheblichkeit eines Verfahrensmangels anhand der Rechtsauffassung des FG zu berücksichtigen ist und es dabei nicht darauf ankommt, ob der für diese Prüfung maßgebende Rechtsstandpunkt des FG zutreffend ist, kann eine Prüfung angezeigt sein, ob sich das FG-Urteil trotz des Verfahrensmangels aus anderen Gründen als richtig erweist; bei dieser Prüfung ist ausschließlich von der Rechtsauffassung der Revisionsinstanz auszugehen (BFH-Beschluß vom 26. Juni 1992 III B 72/91, BFH/NV 1992, 722).

Im Streitfall könnte eine etwaige Revision schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sich die Entscheidung des FG - unabhängig von der dort vertretenen Rechtsauffassung - im Ergebnis als zutreffend erweist.

Den Klägern steht für das Streitjahr kein höherer Grundfreibetrag zu. Zwar ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91 (Der Betrieb 1992, 2217) der im Einkommensteuertarif enthaltene Grundfreibetrag auch für das Streitjahr verfassungswidrig. Das BVerfG hat jedoch als Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit nicht die Nichtigkeit der Regelung des Grundfreibetrags bestimmt, sondern es bei der Erklärung der Verfassungswidrigkeit belassen. Das bedeutet, daß bis zu der erforderlich gewordenen Neuregelung die für verfassungswidrig erkannte Regelung weiter anwendbar bleibt.

Allerdings könnte der Gesetzgeber auch eine rückwirkende Neuregelung treffen. Nachdem die Bundesregierung eine Übergangsregelung erst ab 1993 getroffen hat, liegt eine solche rückwirkende Neuregelung aber außerhalb aller Wahrscheinlichkeit. Unabhängig davon führt die bloße Möglichkeit einer rückwirkenden Neuregelung nicht zu einer anderen Betrachtungsweise.

Nach § 118 Abs. 1 FGO kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Das ist hier, was den Grundfreibetrag angeht, nicht der Fall. Zwar sind Rechtsänderungen, die rückwirkend in der Zeit zwischen dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung des BFH in Kraft treten und die Rechtslage nach dem Erlaß der FG-Entscheidung ändern, bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 118 FGO, Anm. 11). Unter diesem Gesichtspunkt kann jedoch eine Revisionsentscheidung im Hinblick auf eine Gesetzesänderung allenfalls dann zurückgestellt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine solche Gesetzesänderung bestehen. Das ist hier nicht gegeben.

Im übrigen hat das BVerfG in dem zitierten Beschluß (unter C III. 3. c) deutlich gemacht, daß bei einer freiwilligen rückwirkenden Neuregelung der Gesetzgeber alle betroffenen Steuerpflichtigen in die Neuregelung einbeziehen muß, unabhängig davon, ob die Bescheide bestandskräftig sind oder nicht. Den Klägern könnten somit durch die angefochtene Entscheidung des FG zur Höhe des Grundfreibetrags keine Nachteile entstehen.

c) Die Rüge, das FG habe zu Unrecht wegen des angeblich nicht durchgeführten Vorverfahrens nach § 44 FGO die Sache nicht an das FA zurückverwiesen, läßt keinen Verfahrensfehler erkennen. Zum einen ist tatsächlich ein Vorverfahren durchgeführt worden. Darüber hinaus ist im finanzgerichtlichen Verfahren eine Zurückverweisung nicht vorgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418977

BFH/NV 1994, 713

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge