Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung bei Irrtum über das richtige Rechtsschutzverfahren

 

Leitsatz (NV)

Legt ein Steuerpflichtiger gegen eine Einspruchsentscheidung nicht fristgerecht Klage ein, weil er der Ansicht war, er könne ein gegen frühere Steuerbescheide gerichtetes und bis zur Rechtskraft der Änderungsbescheide ausgesetztes Klageverfahren in der Sache fortführen, so rechtfertigt dieser Irrtum grundsätzlich keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 115 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) legte gegen im Laufe eines finanzgerichtlichen Verfahrens erlassene Änderungsbescheide Einspruch ein. Das Finanzgericht (FG) beschloß daraufhin die Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide. Gegen die Einspruchs entscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) über die Änderungsbescheide erhob die zu diesem Zeitpunkt nicht vertretene Klägerin zunächst keine Klage, da sie der Meinung war, sie könne ihr Begehren durch Fortsetzung des ausgesetzten Verfahrens in der Sache weiter verfolgen. Mit der nach Ablauf der Klagefrist erhobenen Klage begehrte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig. Die Klägerin ist ihrer Darlegungspflicht (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605). Die grundsätzliche Bedeutung muß in der Beschwerdeschrift "dargelegt" werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dazu ist erforderlich, daß der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Hat der BFH über die streitige Rechtsfrage bereits früher entschieden, so muß sich die Beschwerdeschrift auch mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß vom 20. Juni 1994 III B 39/94, BFH/NV 1995, 50; vgl. Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 62).

2. Eine Wiedereinsetzung wegen Fristversäumnis kommt grundsätzlich selbst dann nicht in Betracht, wenn ein in steuerlichen Dingen nicht versierter Steuerpflichtiger trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung eine Frist versäumt hat (vgl. BFH- Beschluß vom 17. Mai 1994 IV R 22/93, BFH/NV 1995, 47, m. w. N.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund eines (unverschuldeten) Rechtsirrtums kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung nur gewährt werden, wenn sich der Irrtum auf die Rechtsbehelfsfrist selbst oder die Form der Einlegung bezog. Irrtümer über das materielle Recht rechtfertigen die Wiedereinsetzung dagegen nicht (Entscheidungen vom 3. Juli 1986 IV R 133/84, BFH/NV 1986, 717, m. w. N., und vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257). Ebensowenig rechtfertigen Irrtümer, die sich auf das Verhältnis mehrerer Verfahren zueinander beziehen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Urteil vom 14. März 1989 VIII R 295/84, BFH/NV 1989, 754 zu einem verspäteten Einspruch gegen einen Grundlagenbescheid aufgrund des Irrtums, es genüge ein Einspruch gegen den Folgebescheid). Eine Ausnahme hat die BFH- Rechtsprechung nur in dem Sonderfall zugelassen, daß die Rechtslage in hohem Maße unsicher war und die Frist versäumt wurde, weil es der Betroffene aufgrund rechtlich vertretbarer Erwägungen unterlassen hat, einen Rechtsbehelf fristgerecht einzulegen (Urteil vom 14. Dezember 1989 III R 116/85, BFH/NV 1990, 530, m. w. N.).

Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Klägerin, deren Irrtum sich nicht auf die Frist, sondern auf die Folgen der Bestandskraft der Änderungsbescheide auf das ausgesetzte Verfahren bezog, nicht auseinander. Worin trotz der zu diesem Problem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung liegen soll, ist weder aus der Beschwerdeschrift ersichtlich noch offensichtlich.

Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421486

BFH/NV 1996, 771

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