Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob das FG im Falle einer nur vom Kläger abgegebenen Erledigungserklärung die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache auch dann aussprechen kann, wenn eine nach § 46 Abs. 1 FGO erhobene Klage von vornherein unzulässig war, oder ob in diesem Falle die Klage gemäß dem Antrag des Beklagten als unzulässig abzuweisen ist.
Normenkette
FGO § 46 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte im August 1966 auf Grund einer Einfuhrgenehmigung der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt-Getr), in der ihr eine Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr bewilligt worden war, eine Sendung Plata-Mais aus Argentinien beim ZA zum freien Verkehr abfertigen lassen. Das ZA ließ die Ware abschöpfungsfrei und erhob nur einen geringfügigen Betrag Ausgleichsteuer. 1967 widerrief die EVSt-Getr ihre Erstattungszusage. Das ZA änderte daraufhin unter dem 15. Dezember 1967 seinen Abgabenbescheid und forderte 232,64 DM Abschöpfung und 3,49 DM Ausgleichsteuer von der Klägerin nach. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, daß der Widerrruf zu Unrecht erfolgt sei und sie die Widerrufsverfügung deshalb bereits angefochten habe. Das veranlaßte den Beklagten und Beschwerdegegner (HZA), sowohl die Vollziehung des Nachforderungsbescheids als auch die Entscheidung über den Einspruch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen den Widerruf der Abschöpfungsfreiheit auszusetzen. Kurz vor Ablauf eines Jahres nach Einlegung des Einspruchs gegen den Nachforderungsbescheid erhob die Klägerin Klage gemäß § 46 Abs. 1 FGO mit dem Antrag, den Steueränderungsbescheid vom 15. Dezember 1967 über insgesamt 236,13 DM Eingangsabgaben aufzuheben. Mit Schreiben vom 12. Juni 1972 teilte die EVSt-Getr dem HZA mit, daß sie den Widerrufsbescheid vom 7. Dezember 1967 am 5. Juni 1972 ersatzlos aufgehoben habe. Das ZA hob daraufhin auch den Nachforderungsbescheid auf. Die Klägerin beantragte nun beim FG, die Hauptsache für erledigt zu erklären und dem HZA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Das HZA hielt an seinem Klageabweisungsantrag fest, weil es der Auffassung war, daß die Klage unzulässig sei und eine Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache daher nicht in Betracht komme.
Das FG wies die Klage ab, weil es die von der Klägerin gemäß § 46 FGO erhobene Untätigkeitsklage nicht für zulässig hielt. Die Verwaltungsbehörde habe der Klägerin einen zureichenden Grund, warum sie über den Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid noch nicht entscheiden könne, mitgeteilt. Die Aussetzung des Einspruchsverfahrens sei gerechtfertigt gewesen, solange über die Rechtmäßigkeit des Erstattungswiderrufs noch nicht entschieden worden sei. Habe die Klägerin dennoch Klage gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben, sei diese Klage unzulässig gewesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde, zu deren Begründung sie vorträgt, in der vorliegenden Sache sei die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob nur eine zulässig erhobene Klage Voraussetzung dafür sei, daß der Kläger eine Erledigungserklärung abgeben könne. In der Literatur und auch in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte sei diese Frage umstritten. Der BFH habe jedenfalls in der Entscheidung vom 22. September 1967 VI B 19/67 (BFHE 90, 274, BStBl II 1968, 61) zum Ausdruck gebracht, daß nach beiderseitiger Erledigungserklärung eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO auch dann ergehen könne, wenn die Klage unzulässig gewesen sei. Hilfsweise werde daher die Beschwerde auch darauf gestützt, daß das Urteil des FG von dieser Entscheidung des BFH abgewichen sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Die vorliegende Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Die Klägerin hatte eine Klage gem. § 46 Abs. 1 FGO (Untätigkeitsklage) gegen einen Bescheid erhoben, mit dem Eingangsabgaben nachgefordert worden waren. Diese Klage war, hiervon geht offenbar auch die Klägerin aus, unzulässig. Nach dem BFH-Beschluß vom 31. August 1971 VII R 36/70 (BFHE 103, 381, BStBl II 1972, 20) ist nämlich in der Mitteilung des HZA, daß es die Entscheidung über den Einspruch gegen den Abschöpfungsnachforderungsbescheid bis zum Abschluß des Verfahrens über den diesem Bescheid zugrunde liegenden. Widerruf der Erstattung in der Gestalt der abschöpfungsfreien Einfuhr aussetze, ein zureichender Grund i. S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO für ein Hinausschieben der Einspruchsentscheidung zu sehen. Solange danach eine Klage nach § 46 Abs. 1 FGO nicht zulässig ist, ist auch die Erhebung einer solchen Klage innerhalb der in § 46 Abs. 2 FGO vorgesehenen Jahresfrist weder geboten noch zulässig.
Ist der Nachforderungsbescheid zurückgenommen worden, und haben beide Verfahrensbeteiligte übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt, ging der BFH in dem angeführten Beschluß VII R 36/70 und in dem weiteren Beschluß vom 13. Dezember 1972 VII B 83/71 (BFHE 108, 89, BStBl II 1973, 262) davon aus, daß sich die Hauptsache erledigt hat und nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden ist. Im Rahmen des in diesem Falle anzuwendenden § 138 Abs. 1 FGO hat der BFH dann die Tatsache der Erhebung einer unzulässigen Untätigkeitsklage in die Würdigung einbezogen, wem nach billigem Ermessen die Verfahrenskosten aufzuerlegen sind.
Im vorliegenden Fall liegt aber nur die Erledigungserklärung der Klägerin vor. Das HZA hat dieser Erklärung ausdrücklich widersprochen und Klageabweisung beantragt. Hinsichtlich der Frage, wie zu verfahren ist, wenn nur eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers vorliegt, hat sich der BFH in dem Urteil vom 19. Januar 1971 VII R 32/69 (BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307) der Auffassung des BVerwG (Urteil vom 27. Februar 1969 VIII C 37 und 38.67, BVerwGE 31, 318) angeschlossen, daß sich dann der Streit auf die Erledigungsfrage beschränkt und der Beklagte in dem Streit unterliegt, wenn die Erledigung festgestellt wird. In den Fällen, in denen der Kläger gegen den Widerspruch des Beklagten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erkläre, trete an die Stelle des durch den ursprünglich gestellten Klageantrag bestimmten Streitgegenstands der Streit über die Behauptung des Klägers, seinem Klagebegehren sei durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen worden. Treffe diese Behauptung zu und sei mithin der Widerspruch des Beklagten unbegründet, sei die Erledigung der Hauptsache durch Urteil festzustellen.
Die Rechtsfrage, ob diese Grundsätze auch gelten, wenn der Kläger im Falle einer von vornherein unzulässigen Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO eine einseitige Erledigungserklärung abgegeben hat, hat der BFH noch nicht entschieden.
Ob die Grundsätze des BFH-Beschlusses vom 26. Januar 1971 VII B 137/69 (BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306) hier übernommen werden konnen, wie das HZA meint, erscheint fraglich. Dort hatte der BFH in Anlehnung an den Beschluß des BGH vom 27. Mai 1968 AnwZ [B] 9/67 (Monatsschrift für Deutsches Recht 1968 S. 755) und an den Beschluß des BVerwG vom 30. Oktober 1969 VIII C 219.67 (BVerwGE 34, 159) ausgesprochen, daß im Falle einer unzulässigen Beschwerde eine Erklärung, daß die Hauptsache erledigt sei, ohne rechtliche Wirkung bleibe. Sei nämlich eine Beschwerde - im Falle der genannten Entscheidung des BVerwG war es sogar eine Revision - unzulässig, sei der Streitgegenstand, auf den sich die Erklärung über die Erledigung der Hauptsache beziehe, nicht an das Gericht gelangt, das über das Rechtsmittel zu entscheiden habe. Erstrecke sich aber das Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht nicht auf den Streitgegenstand, auf den sich die Erledigungserklärung beziehe, so sei diese Erklärung gegenstandslos und für das Verfahren ohne Wirkung.
Stand somit im Falle des genannten BFH-Beschlusses VII B 137/69 die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Vordergrund, so hatte demgegenüber das FG im Falle der Klägerin über ihre einseitige, im Klageverfahren abgegebene Erklärung, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, zu entscheiden. In einem vergleichbaren Fall wie dem vorliegenden ist das BVerwG in der grundlegenden und ausführlich begründeten Entscheidung vom 14. Januar 1965 I C 68.61 (BVerwGE 20, 146) zu dem Ergebnis gelangt, daß der Begriff der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nicht voraussetzt, daß die Klage bis zu dem Ereignis, das sie gegenstandslos gemacht hat, zulässig und begründet gewesen ist. Die in der Erledigungserklärung liegende Behauptung des Klägers, daß seine Klage zulässig sei, werde nicht Bestandteil des Erledigungsausspruchs des Gerichts. Gegenstand des Verfahrens sei nur der Anspruch des Klägers. Er verlange nichts mehr vom Beklagten; der Rechtsstreit solle nicht, wie bei der Klageänderung, mit verändertem Klageziel fortgesetzt werden. Das Gericht solle lediglich feststellen, daß der Rechtsstreit als solcher - nicht ein festgestelltes Recht des Kägers - erloschen sei. Es werde zwar noch um die Kosten des Rechtsstreits gestritten. Aber der Kostenantrag des Klägers könne nicht als modifizierter Klageantrag angesehen werden, der allein schon einen Antrag des Beklagten auf Klageabweisung rechtfertige. Das BVerwG leitet dieses Ergebnis außerdem aus § 113 Abs. 1 Satz 4 der VwGO, der wörtlich dem § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO entspricht, mit folgender Begründung her: Wenn nämlich die Verwaltungsgerichtsordnung im Falle der Erledigung des Prozesses durch Gegenstandsloswerden des Verwaltungsaktes die gerichtliche Feststellung, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei, an einen besonderen Antrag knüpfe und hierfür ein Rechtsschutzinteresse verlange, so deute dies darauf hin, daß die einfache Erklärung des Klägers, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, eben nicht zwangsläufig zur Folge haben würde, daß nunmehr das bisherige Klagebegehren auf seine Zulässigkeit und Begründetheit hin geprüft werden müsse. Nur wenn der Beklagte ein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung der Frage habe, ob die Klage gegen ihn zu Recht erhoben worden sei, dürfe er gegenüber der Erledigungserklärung des Klägers auf dem Klageabweisungsantrag beharren.
Demgegenüber ist der BGH in dem Urteil vom 7. November 1968 VII ZR 72/66 (HFR 1969, 204) der Auffassung, eine wirksame Erledigungserklärung liege nicht vor, wenn die Klage ursprünglich nicht zulässig oder nicht begründet gewesen sei. In diesem Falle müsse die Klage entsprechend dem Antrag des Beklagten abgewiesen werden, ohne daß dieser noch ein besonderes Rechtsschutzinteresse für eine solche Entscheidung dartun müßte.
Bei dem aufgezeigten Stand der Rechtsprechung verschiedener oberster Bundesgerichte, zu der der BFH noch nicht Stellung genommen hat, ist die von der Klägerin aufgeworfene und entscheidungserhebliche Frage für das Verfahren vor den FG von einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung. Der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin war daher wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stattzugeben.
Fundstellen
Haufe-Index 71079 |
BStBl II 1975, 201 |
BFHE 1975, 420 |