Rz. 261

Materiell-rechtliche Grundlage für den Vorsteuerabzug sind die Art. 167 bis 192 MwStSystRL. Nach Art. 167 MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Die Regelung stellt sicher, dass der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer beim leistenden Unternehmer und der Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger übereinstimmen. Damit ist als grundlegendes Prinzip für den Vorsteuerabzug das Sollprinzip festgelegt, das grundsätzlich auch für den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer beim leistenden Unternehmer gilt.[1] Der Vorsteuerabzug nach dem Istprinzip ist nach Art. 167 MwStSystRL nur zulässig, wenn auch der leistende Unternehmer die Istversteuerung anwendet. Trotzdem konnte für diesen Fall Deutschland den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers als Sollprinzip beibehalten (vgl. Protokollerklärung des Rates und der Kommission zu Art. 17 der 6. EWG-Richtlinie).

 

Rz. 262

Der EuGH entscheidet in ständiger Rechtsprechung,[2] dass das Recht auf Vorsteuerabzug als Bestandteil des Mechanismus der MwSt ein grundlegendes Prinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Der Unternehmer kann folglich die MwSt auf Vorbezüge, die er für die Ausübung seiner besteuerten Tätigkeit erworben hat, vollständig als Vorsteuer geltend machen. Ob die Steuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Umsätze geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ist für das Recht des Unternehmers auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung. Für einen Ausschluss des Vorsteuerabzugs bei sonst gegebenen Voraussetzungen muss aufgrund objektiver Umstände feststehen, dass der Unternehmer, dem gegenüber Umsätze erbracht wurden, die einen Vorsteuerabzug auslösen, wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine vom Leistenden oder einem anderen Unternehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen war. Da die Verweigerung des Vorsteuerabzugsrechts eine Ausnahme vom Grundprinzip ist, obliegt es der nationalen Steuerbehörde, die objektiven Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der den Vorsteuerabzug auslösende Umsatz in eine vom Leistenden oder einem anderen Unternehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, rechtlich hinreichend nachzuweisen. Liegen Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vor, kann der Unternehmer zwar nach den Umständen des Einzelfalls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Leistungen beziehen will, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Die Steuerverwaltung kann jedoch von dem Unternehmer nicht generell verlangen, zum einen zu prüfen, ob der Rechnungsaussteller Unternehmer ist, über die Liefergegenstände verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der MwSt nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen, oder zum anderen entsprechende Unterlagen vorzulegen. Es ist grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Unternehmern die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegen den Unternehmer, der diese Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung begangen hat, Sanktionen zu verhängen.[3]

Die MwStSystRL steht einer nationalen Praxis nicht entgegen, nach der einem Steuerpflichtigen, der Waren erworben hat, die Gegenstand einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Umsatzsteuerhinterziehung waren, und der davon wusste oder hätte wissen müssen, das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, obwohl er an dieser Steuerhinterziehung nicht aktiv beteiligt war. Die einzige für die Versagung eines Abzugsrechts in einer solchen Situation entscheidende aktive Handlung besteht in dem Erwerb dieser Gegenstände oder Dienstleistungen. Somit bedarf es, um eine solche Versagung zu begründen, keines Nachweises dafür, dass dieser Steuerpflichtige in irgendeiner Form aktiv an der Steuerhinterziehung beteiligt gewesen ist, und sei es nur, indem er diese aktiv gefördert oder begünstigt hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass er seine Lieferbeziehungen und Lieferer nicht verschleiert hat. Der EuGH folgt nicht der Argumentation, wonach der Begriff "Lieferkette" dahin zu verstehen ist, dass er sich nur auf die Fälle bezieht, in denen die Steuerhinterziehung auf eine besondere Kombination aufeinanderfolgender Umsätze oder auf einen Gesamtplan zurückgeht, nach dem diese Lieferungen Teil einer über mehrere Umsätze erstreckten Steuerhinterziehung sein sollen. Auch ist es für die Beurteilung der Frage, ob der Steuerpflichtige sich an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat, irrelevant, ob er durch diesen Umsatz einen Steuervorteil erlangt hat.[4]

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