Rz. 125

Als Rechtsfolge bestimmt Abs. 3, dass die Steuerfestsetzung in dem Steuerbescheid, in dem die Erfassung des Sachverhalts zu Unrecht unterblieben ist, nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden kann. Der Begriff der "Nachholung" erfasst den erstmaligen Erlass eines Steuerbescheids.[1] § 174 Abs. 3 AO enthält keine Bestimmung darüber, in welcher Reihenfolge der unrichtige Bescheid geändert und die Erfassung des Sachverhalts in dem richtigen Bescheid zu erfolgen hat.[2] Die Erfassung in dem richtigen Bescheid kann daher auch dann schon erfolgen, wenn der Bescheid, in dem der Sachverhalt zu Unrecht erfasst worden ist, noch nicht bestandskräftig geändert worden ist.

 

Rz. 125a

Aus der Verwendung des Wortes "kann", dem Vergleich zu der Formulierung des § 173 AO sowie der des § 174 Abs. 1 AO, wo das Wort "ist" verwendet wird, ist zu schließen, dass die Änderung der Steuerfestsetzung im Ermessen der Verwaltung steht.[3] Bei der Ermessensausübung muss die Behörde berücksichtigen, dass sie zu einem rechtmäßigen Handeln, und damit zu einer rechtmäßigen Steuerfestsetzung, verpflichtet ist. I. d. R. wird eine Ermessensreduzierung auf Null und daher nur die Korrektur der unrichtigen Steuerfestsetzung eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung sein. Nur in Ausnahmefällen kann das Interesse an der Beibehaltung der Bestandskraft und damit die Rechtssicherheit im Rahmen der Ermessensentscheidung schwerer wiegen als die Richtigkeit der Besteuerung. Bedeutung hat die Ermessensentscheidung aber, wenn ein Dritter betroffen ist; hier sind die schutzwürdigen Interessen des Dritten im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen; vgl. Rz. 127.

 

Rz. 126

Soll die Änderung zugunsten des Stpfl. erfolgen, kommt hinzu, dass die Verwaltung nach dem Tatbestand des Abs. 3 zu erkennen gegeben hat, dass der für den Stpfl. günstige Sachverhalt noch berücksichtigt werden soll, wenn auch in einer anderen Steuerfestsetzung. Eine Weigerung seitens der Verwaltung, dies später auch zu tun, wäre daher regelmäßig ermessensfehlerhaft.

 

Rz. 127

Hat die Änderung der unrichtigen Steuerfestsetzung auch Auswirkungen auf einen Dritten, ist bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass nicht unzumutbar in die Rechtsposition eines Dritten eingegriffen werden darf.[4] Die Steuerfestsetzung gegenüber dem Dritten kann nur zu dessen Nachteil geändert werden, wenn die unrichtige Annahme der Finanzbehörde für ihn erkennbar war.

[2] BFH v. 5.11.2009, IV R 99/06, BStBl II 2010, 593, BFH/NV 2010, 970, Rz. 31; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, zu § 174 AO Rz. 37.
[3] Weber-Grellet, StBp 1982, 29; a. A. BFH v. 13.11.1985, II R 208/82, BStBl II 1986, 241, wonach der Verwaltung kein Ermessensspielraum zusteht; BFH v. 21.2.1989, IX R 67/84, BFH/NV 1989, 688; BFH v. 14.3.2012, XI R 2/10, BStBl II 2012, 653, BFH/NV 2012, 1506; v. Wedelstädt, in Gosch, AO/FGO, § 174 AO Rz. 85.
[4] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, zu § 174 AO Rz. 38.

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