Rz. 5

Anders als im Revisionsverfahren[1] ist im Beschwerdeverfahren die angefochtene Entscheidung nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht in vollem Umfang nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Rz. 12) nachzuprüfen.[2] § 118 Abs. 2 FGO gilt hier nicht. Der BFH prüft somit nicht lediglich die sachliche Richtigkeit der Entscheidung des FG, sondern entscheidet in der Sache selbst. Dabei ist auch neues tatsächliches Vorbringen zu berücksichtigen.[3] Ebenso hat bereits das FG im Rahmen der Abhilfeentscheidung[4] neu vorgetragene oder sich ergebende Tatsachen zu berücksichtigen. Gehen noch nach der Nichtabhilfeentscheidung des FG[5] Schriftsätze ein, sind diese nach der Einlegung einer Beschwerde dem BFH zuzuleiten. Geltend gemachte neue Tatsachen sind sodann vom BFH zu berücksichtigen.

Im Beschwerdeverfahren ist der BFH Tatsacheninstanz. Auch wenn die Beteiligten zur Mitwirkung verpflichtet sind, ist auch hier in erster Linie das Gericht zur Sachaufklärung verpflichtet.[6] Als Tatsachengericht hat der BFH grundsätzlich die Befugnis und die Pflicht zur Tatsachenfeststellung.[7] Er kann dazu eigene Ermittlungen anstellen und z. B. auch selbst eine Beweisaufnahme durchführen und den Sachverhalt selbst würdigen, wenn er nicht – was in der Praxis die Regel ist – die Sache zu diesem Zweck an das FG zurückverweist.[8]

Der BFH hat das neue tatsächliche Vorbringen auch dann zu berücksichtigen, wenn es dem FG noch gar nicht bekannt sein konnte und auch wenn es sich um Umstände handelt, die erst nach der Beschlussfassung des FG entstanden sind. Der BFH beschränkt sich somit nicht auf die Prüfung der Richtigkeit des Beschlusses des FG, sondern hat die Beschwerde in vollem Umfang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nach dem Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung durch den BFH zu überprüfen (Rz. 12). Dabei sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vom BFH auch dann zu berücksichtigen, wenn sie bereits vor dem FG hätten vorgebracht werden können.[9]

Im Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren ist dagegen ebenso wie im Revisionsverfahren[10] neuer Tatsachenvortrag, soweit nicht Verfahrensmängel geltend gemacht werden, ausgeschlossen.[11] Denn die Nichtzulassungsbeschwerde dient insoweit lediglich der Eröffnung eines Revisionsverfahrens, das auf die Prüfung der Richtigkeit des FG-Urteils beschränkt ist.

 

Rz. 6

Bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen ist der BFH daher nicht auf die Überprüfung der Ermessensausübung durch das FG beschränkt. Als Beschwerdegericht – und damit auch als Tatsacheninstanz – hat der BFH vielmehr eigenes Ermessen auszuüben.[12] Der BFH prüft daher nicht nur, ob dem FG Ermessensfehler unterlaufen sind, sondern auch, ob Anlass zu einer anderweitigen Ermessensausübung durch den BFH besteht. Auch bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen sind neue Tatsachen zu berücksichtigen, auch wenn sie erstmals vor dem BFH vorgetragen werden oder erst nach der Entscheidung des FG entstanden sind. § 102 FGO, wonach nachträgliche Ermessensergänzungen nur insoweit zulässig sind, wenn die Gründe schon beim Erlass des Bescheids vorlagen, betrifft nur die Überprüfung behördlicher, nicht gerichtlicher Ermessensentscheidungen und gilt hier nicht.[13]

Ergeht erst während des Beschwerdeverfahrens ein Änderungsbescheid, der einen neuen Streitpunkt einführt, liegt eine wesentliche Änderung des Verfahrensgegenstands vor, der nicht Gegenstand des anhängigen Beschwerdeverfahrens wird.[14]

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