1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 393 AO regelt in seinem Abs. 1 das Verhältnis der Rechte und Pflichten von Stpfl. im Besteuerungsverfahren einerseits und im Steuerstrafverfahren andererseits. Diese richten sich nach den Vorschriften des jeweiligen Verfahrens. Dabei sind die strengeren Mitwirkungspflichten des Stpfl. im Besteuerungsverfahren den Rechten eines Beschuldigten im Strafverfahren anzupassen. Abs. 2 bringt das strafbewehrte Offenbarungsgebot steuerlich erheblicher Sachverhalte mit dem Recht des Stpfl., sich nicht selbst wegen einer Straftat belasten zu müssen, in Einklang, indem eine nur begrenzte Verwertbarkeit dieser Daten normiert wird. In Abs. 3 wird dagegen die Verwertbarkeit im Besteuerungsverfahren von Informationen, die rechtmäßig in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erlangt worden sind, geregelt. Damit ist § 393 AO Ausdruck des nemo-tenetur-Grundsatzes, also des Verbots staatlichen Zwangs zur Selbstbelastung.[1]

Die Finanzbehörde hat hinsichtlich der ihr übertragenen Aufgaben eine Doppelfunktion.[2] Sie ist rechtlich zugleich

  • Verwaltungsbehörde, die das Verwaltungsverfahren in Steuersachen, also das Besteuerungsverfahren gegen den einzelnen Stpfl., durchzuführen hat,
  • Strafverfolgungsorgan im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten.

Aus dieser Doppelstellung kann sich theoretisch im Einzelfall die Möglichkeit ergeben, dass bei den Finanzbehörden – eventuell sogar innerhalb derselben Finanzbehörde oder Dienststelle und ggf. bei demselben Amtsträger[3] – gegen dieselbe Person zwei verschiedene Verfahren mit unterschiedlichem Rechtscharakter und divergierenden Verfahrensregelungen nebeneinander geführt werden.

[1] Karstens, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 393 AO Rz. 8.
[2] Klaproth, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Vor §§ 385 – 408 AO Rz. 14; vgl. für die Rechtsstellung der Steuerfahndung Klaproth, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO,§ 208 AO Rz. 1, 8a.

2 Verhältnis von Besteuerungs- und Strafverfahren (Abs. 1)

 

Rz. 1a

§ 393 Abs. 1 AO stellt klar, dass sowohl das Besteuerungs- als auch ein Strafverfahren nebeneinander und voneinander unabhängig geführt werden können.[1] So hindert ein laufendes Steuerstrafverfahren nicht die parallele Fortsetzung des Besteuerungsverfahrens. Selbst die gezogenen steuerlichen Schlussfolgerungen können unterschiedlich ausfallen, was nicht zuletzt aufgrund des unterschiedlichen Beweismaßstabes regelmäßig vorkommt.

2.1 Selbständigkeit der Verfahren (Abs. 1 S. 1)

 

Rz. 2

Nach § 393 Abs. 1 S. 1 AO richten sich die Rechte und Pflichten des beteiligten Stpfl. bzw. Beschuldigten, gegen die sowohl das Besteuerungsverfahren als auch ein Steuerstrafverfahren anhängig sind, und die Rechte und Pflichten der die Verfahren betreibenden Finanzbehörden und nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Beide Verfahren sind rechtlich selbstständig und stehen gleichwertig nebeneinander. Die Vorschrift stellt insoweit den Grundsatz der Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit beider Verfahren klar.[1] Dies hindert jedoch nicht die Möglichkeit einer faktischen Einflussnahme des einen Verfahrens auf das andere. Davon ist im Einzelfall auch dann auszugehen, wenn das FA , oder ggf. ein FG, in einem Einspruchs- oder Klageverfahren, das einen Steuerbescheid betrifft, dessen Grundlagen auch Gegenstand eines Steuerstrafverfahrens sind, eine beantragte Aussetzung der Vollziehung gewährt und damit Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids zum Ausdruck bringt.[2]

Dies kann in der Praxis dazu führen, das diese Zweifel im Strafverfahren zum Anlass genommen werden, auch dieses zu beenden, sei es wegen Zweifeln am Vorliegen des objektiven Tatbestands oder wegen Zweifeln am Vorsatz. Richtigerweise muss differenziert werden, was der Grund für die Aussetzung der Vollziehung war und worin genau etwaige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen.

 

Rz. 2a

Die Strafverfolgungsorgane und die Finanzbehörden haben über alle tatsächlichen und rechtlichen Vorfragen in eigener Verantwortung selbstständig zu entscheiden.[3] Keine Vorfrage für das Besteuerungsverfahren ist die Rechtmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen der Strafverfolgungsorgane. Die Finanzbehörde bzw. die Finanzgerichtsbarkeit sind grundsätzlich nicht befugt, im Besteuerungsverfahren bzw. im finanzgerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob die Ermittlungsmaßnahme, z. B. eine Durchsuchungsanordnung eines Amtsgerichts, rechtswidrig ist.[4]

 

Rz. 2b

Die strafrechtlichen Verfahrensvorschriften haben keinen Vorrang vor den Verfahrensvorschriften im Besteuerungsverfahren.[5] Es ist demgemäß der Finanzbehörde oder dem FG unbenommen, Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteil zu übernehmen, sie sind jedoch nicht zur Übernahme der Feststellungen gezwungen.[6] Sie sind auch nicht an die Beurteilung der Strafverfolgungsorgane oder Strafgerichte gebunden, sondern haben nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu...

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