Leitsatz

1. Eine dem Arbeitgeber erteilte Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) stellt nicht nur eine Wissenserklärung (unverbindliche Rechtsauskunft) des Betriebsstätten-FA darüber dar, wie im einzelnen Fall die Vorschriften über die LSt anzuwenden sind. Sie ist vielmehr feststellender Verwaltungsakt i.S.d. § 118 S. 1 AO, mit dem sich das FA selbst bindet.

2. Die Vorschrift des § 42e EStG gibt dem Arbeitgeber nicht nur ein Recht auf förmliche Bescheidung seines Antrags. Sie berechtigt ihn auch, eine ihm erteilte Anrufungsauskunft erforderlichenfalls im Klagewege inhaltlich überprüfen zu lassen.

Leitsätze 1 und 2: Änderung der Rechtsprechung

 

Normenkette

§ 42e EStG, § 40 Abs. 1 FGO, § 118 S. 1, § 89 Abs. 2, § 204, § 207 Abs. 2 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin lässt in zahlreichen Städten Werbeprospekte und sonstiges Werbematerial an Privathaushalte verteilen und setzt hierzu 300 bis 500 Verteiler, vorwiegend Schüler, Jugendliche, Studenten und Rentner ein. Das ehemals zuständigen FA erteilte am 11.08.2000 die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG), die Verteiler seien selbstständig. Das nach Verlegung des Geschäftssitzes zuständige FA bestätigte am 27.04.2001 auf erneute Anfrage der Klägerin diese Auskunft. Am 18.03.2002 widerrief es die Anrufungsauskunft aber mit sofortiger Wirkung mit Hinweis auf ein ihm bei Auskunftserteilung nicht bekanntes Urteil des Niedersächsischen FG vom 06.05.1999 (11 K 679/97, EFG 1999, 1015), wonach Zusteller regelmäßig Arbeitnehmer seien.

Die Klage gegen den Widerruf der Auskunft war erfolglos (Niedersächsisches FG, Urteil vom 14.10.2005, 11 K 626/02, Haufe-Index 2126737).

 

Entscheidung

Der BFH hob das vorinstanzliche Urteil des FG und den Widerruf der Auskunft des FA aus den unter Praxishinweisen genannten Gründen auf.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil ändert eine langjährige Rechtsprechung des LSt-Senats des BFH. Die vom FA erteilte LSt-Anrufungsauskunft auf Grundlage des § 42e EStG gilt jetzt als Verwaltungsakt. Das hat materiellrechtlich und prozessual Folgen: Die zutreffende Rechtsschutzform ist jetzt nach Einspruch die Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO). Inhaltliche Änderungen der Auskunft müssen den Grundsätzen der Änderung und Aufhebung von Verwaltungsakten entsprechen.

1. Die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) ist nicht mehr nur bloße Wissenserklärung – so die bisherige Rechtsprechung (z.B. BFH, Urteil vom 09.03.1979, VI R 185/76, Haufe-Index 73127, BStBl II 1979, 451) –, sondern feststellender Verwaltungsakt (§ 118 S. 1 AO), eine "Regelung", die verbindlich Rechte und Pflichten feststellt und rechtserhebliche Tatsachen und Eigenschaften zum Gegenstand hat. § 42e EStG gibt dem Arbeitgeber einen Anspruch darauf, seine Anfrage förmlich und inhaltlich richtig zu bescheiden. Der BFH begründet seine neue Rechtsprechung mit zwei Aspekten, nämlich mit den in der AO schon bisher geregelten Auskünften (2.) und dem ganz besonderen Bedürfnis nach Rechtssicherheit beim Arbeitgeber (3.).

2.§ 89 Abs. 2 AO gibt zur Planungs- und Entscheidungssicherheit die verbindliche Auskunft, unbestritten Verwaltungsakt nach § 118 S. 1 AO, und zwar mit allen Konsequenzen für ihre Bekanntgabe (§ 122 AO), Abänderbarkeit (§§ 129 bis 131 AO, § 2 Abs. 3 der Steuer-Auskunftsverordnung) und den Rechtsschutz. Ebenso die verbindliche Zusage nach § 204 AO. Werde Rechtsschutz in Form verbindlicher Auskünfte/Zusagen bereits vor der eigentlichen Steuerfestsetzung gewährt, müsse dies im Bereich des § 42e EStG für Arbeitgeber – Entrichtungspflichtiger und für LSt-Zwecke in Anspruch Genommener – ebenso gelten.

3. Der BFH stützt sich weiter auf den Befund der zunehmenden Inanspruchnahme Dritter für den Steuervollzug, hier des Arbeitgebers. Den trifft eben nicht nur, so die bisherige Rechtsauffassung, ein latentes Zahlungs- und Haftungsrisiko, sondern er ist bereits durch potenzielle LSt-Pflichten und einer damit einhergehenden Pflicht, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, mit einem allgemeinen darüber hinausgehenden Risiko belastet. Der Streitfall bot dafür ein anschauliches Beispiel, ging es doch dort um die Einrichtung einer Lohnbuchhaltung für bis zu 400 Arbeitnehmer. Allein durch Anfechtung der LSt-Anmeldung und der Nachforderungs- und Haftungsbescheide war kein effektiver Rechtsschutz geboten. § 42e EStG soll daher berechtigen, nicht nur die Auffassung des FA zu erfahren, sondern auch Sicherheit über die zutreffende Rechtslage zu erlangen und die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers in einem besonderen Verfahren im Voraus (ggf. gerichtlich) verbindlich feststellen zu lassen.

4. In der Sache war die Klage erfolgreich, weil das FA die in seinem Ermessen stehende Entscheidung, die Auskunft zu widerrufen, getroffen hatte, ohne die für und gegen eine Aufhebung sprechenden Umstände abzuwägen. Sich auf ein bei der Anrufungsauskunft bereits veröffentlichtes Urteil zu berufen, genügte nicht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 30.04.2009 – VI R 54/07

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