Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Festsetzung von Kindergeld – § 66 Abs. 3 EStG als Regelung des Festsetzungsverfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. § 66 Abs. 3 EStG ist dem Festsetzungs und nicht dem Erhebungsverfahren zuzuordnen.
  2. Das folgt aus der Auslegung der Norm unter Heranziehung ihrer Stellung im Gesetz.
 

Normenkette

EStG 2009 § 66 Abs. 3

 

Streitjahr(e)

2015, 2016, 2017

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.02.2020; Aktenzeichen III R 66/18)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Auszahlung von Kindergeld für den Zeitraum August 2015 bis September 2017 streitig.

Am 20. April 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Festsetzung von Kindergeld für das Kind …, geboren am …. Der Kläger gab an, dass die Tochter im Juli 2015 eine Ausbildung abschließen werde und ab September 2015 eine 3-jährige Ausbildung zur Erzieherin begänne. Mit Bescheid vom 3. Juni 2015 setzte die Beklagte Kindergeld für den Zeitraum ab März 2015 fest und hob die Festsetzung mit Bescheid vom 2. Juli 2015 ab August 2015 nach § 70 Abs. 2 EStG auf, da trotz Aufforderung nicht nachgewiesen wurde, dass sich das Kind weiterhin in Ausbildung befand.

Mit Antrag vom 7. Oktober 2017, der erst am 4. März 2018 bei der Beklagten einging, begehrte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum August 2015 bis August 2019. Mit Bescheid vom 9. April 2018 setzte die Beklagte Kindergeld ab dem Monat August 2015 fest, beschränkte jedoch die Auszahlung für den Zeitraum ab Oktober 2017, da der Kindergeldantrag verspätet gestellt worden sei.

Mit Schreiben vom 16. April 2018, welches die Beklagte als Einspruch wertete, begehrte der Kläger die vollständige Auszahlung des Kindergelds, da er aufgrund von Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, seine Verpflichtungen zu erfüllen. Er legte Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass er an einer depressiven Störung bzw. Angststörung sowie dem Burnout-Syndrom litt, nachdem er im April 2016 einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. In den folgenden Monaten unterzog sich der Kläger diversen Behandlungen und Therapien. Ab Januar 2017 führte er eine stufenweise Wiedereingliederung durch und war am dem 13. März 2017 wieder arbeitsfähig.

Mit Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2018 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Nach § 66 Abs. 3 EStG könnten Anträge, die nach dem 31. Dezember 2017 eingingen, nur noch zur Nachzahlung für die letzten 6 Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse führen. Folglich bestünde, da der Antrag des Klägers erst am 4. März 2018 bei der Beklagten eingegangen sei, ein Zahlungsanspruch lediglich ab Oktober 2017.

Dagegen wendet sich der Kläger nunmehr mit seiner Klage und wiederholt seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren. Er sei von der Beklagten falsch beraten worden, da sie ihn in einem Telefonat im letzten Quartal 2017 nicht darauf hingewiesen habe, dass sich die Nachforderungsmöglichkeit von Kindergeld ab dem 1. Januar 2018 von vier Jahren auf sechs Monate verringere. Aufgrund seiner Erkrankung von 12 Monaten sei eine Verschiebung des Beantragungszeitraums gerechtfertigt. Der Antrag aus März 2018 sei so zu werten, als wäre er im März 2017 gestellt worden. Er beruft sich auf Normen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 9. April 2018 dergestalt zu ändern, dass das für das Kind … ab August 2015 festgesetzte Kindergeld für den Zeitraum ab August 2015 bis September 2017 auszuzahlen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung und trägt vor, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegend nicht anwendbar sei. Als der Kläger im September 2017 bei der Beklagten angerufen habe, hätten die Mitarbeiter der Beklagten von der Gesetzesänderung noch keine Kenntnis gehabt. Dies sei erst durch Einzelanweisung vom 25. Oktober 2017 geschehen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist begründet. Der Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Beklagte hat im Abrechnungsbescheid vom 9. April 2018 das ab August 2015 festgesetzte Kindergeld für den Zeitraum August 2015 bis September 2017 zu Unrecht als nicht auszahlbar angesehen.

1. Der Kläger wendet sich mit seiner Anfechtungsklage i.S.d. § 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO gegen den Abrechnungsbescheid vom 9. April 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2018. Der angegriffene Bescheid enthält neben dem Festsetzungsteil auch einen Abrechnungsteil. Unter der Überschrift Nachzahlung wird in dem Bescheid der noch auszuzahlende Betrag ermittelt. Damit traf die Beklagte eine Entscheidung über eine Streitigkeit i.S.d. § 218 Abs. 2 AO. Es ist nicht erforderlich, dass die Beklagte ausdrücklich die Bezeichnung Abrechnungsbescheid verwendet (BFH-Urteil vom 7. August 1990 VII R 120/89, BFH/NV 1991, 569).

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Auszahlung des Kindergelds in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Die B...

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