vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung: Kinderfreibeträge verfassungswidrig zu niedrig?

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung sind die Kinderfreibeträge nicht nur für das Jahr 2014 verfassungswidrig zu niedrig.
  2. Das betrifft zum einen bei der Einkommensteuerfestsetzung diejenigen Steuerpflichtigen, für die der Abzug der steuerlichen Kinderfreibeträge günstiger ist als das Kindergeld.
  3. Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlages betrifft es zum anderen alle Steuerpflichtigen mit Kindern, die Solidaritätszuschlag zahlen.
 

Normenkette

AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 350; EStG § 2 Abs. 6, §§ 31, 32 Abs. 1, 3-6, 6 Sätze 1-2, § 32a Abs. 1 S. 1, § 33a Abs. 1-2, § 63 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 128 Abs. 3, § 69 Abs. 3; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 19a, 19 Abs. 4, Art. 3, 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; RBEG § 8; RBSFV 2014; SGB II; SGB XII § 27a Abs. 2, §§ 28, 8 Nr. 1

 

Streitjahr(e)

2014

 

Tatbestand

Das Verfahren betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Kinderfreibeträge für das Jahr 2014.

Die Antragstellerin ist verwitwet und alleinerziehende Mutter. Ihre zwei Töchter wurden in den Jahren 1993 und 1998 geboren und befanden sich im Streitjahr in Ausbildung. Die Familienkasse zahlte für die Töchter Kindergeld in Höhe von jeweils € 2.208. Die Antragstellerin erzielte im Streitjahr Einkünfte u.a. aus …

Im Bescheid für 2014 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom … 2015 zog das Finanzamt (FA) für die Töchter Freibeträge in der gemäß § 32 Absatz (Abs.) 6 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Streitjahr 2014 geltenden Höhe von zusammen jeweils € 7.008 ab (€ 4.368 für das sächliche Existenzminimum und € 2.640 für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf). Zusätzlich zog das FA für die 1993 geborene Tochter einen Freibetrag zur Abgeltung des Sonderbedarfs wegen auswärtiger Unterbringung in Höhe von € 924 ab (gemäß § 33a Abs. 2 EStG). Der Abzug der steuerlichen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG war für die Antragstellerin günstiger als das Kindergeld. Im Gegenzug erhöhte das FA nach §§ 31, 2 Abs. 6 Satz 3 EStG die sich unter Abzug dieser Freibeträge ermittelte Einkommensteuer um das Kindergeld. Aus der Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages ergab sich eine hohe Nachzahlung. In den Erläuterungen im Bescheid ist aufgeführt, dass die Festsetzungen der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages vorläufig sind gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO u.a. hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG.

Mit Schreiben vom … 2015 legte die Antragstellerin gegen den Einkommensteuer- und Solidaritätszuschlagsbescheid vom … 2015 Einspruch ein. Sie machte unter Hinweis auf den Neunten Existenzminimumbericht (Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2014 in der vom Bundeskabinett am 7. November 2012 beschlossenen Fassung, Bundestags - BT - Drucksache 17/11425) und den Aufsatz im Deutschen Steuerrecht (DStR 2015, 1529) von Haupt/Becker: „Verfassungskonforme Besteuerung von Eltern - Realität oder Trugbild?” u.a. geltend, die Kinderfreibeträge in 2014 seien aus mehreren Gründen verfassungswidrig zu niedrig. Das Einspruchsverfahren ist noch anhängig.

Nach ihrer Berechnung ergäbe sich aus den verfassungsgemäß mindestens anzusetzenden Freibeträgen eine zu hoch festgesetzte Steuer in Höhe von € …Einkommensteuer und € … Solidaritätszuschlag. Die Antragstellerin beantragte, insoweit die Vollziehung des Bescheides für 2014 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag auszusetzen. Das FA zog entsprechend zunächst lediglich die unstreitige Nachzahlung ein und bat die Oberfinanzdirektion Niedersachsen (OFD) um Information, wie der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV-Antrag) zu behandeln sei und ob die Höhe der Kinderfreibeträge einschließlich der Frage der altersunabhängigen Ausgestaltung des Kinderfreibetrages in der Altersgruppe ab 14 Jahren vom aktuellen Vorläufigkeitsvermerk (gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO) abgedeckt sei.

In dem Neunten Existenzminimumbericht wird das sächliche Existenzminimum eines Kindes für das Jahr 2014 mit € 4.440 dargestellt; der steuerliche Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG beträgt € 4.368, ist also € 72 niedriger. Die OFD teilte dem FA mit, auf der letzten Sitzung der AO-Referatsleiter hätten die Teilnehmer die Verfahrensweise in Bezug auf Einspruchsverfahren zur für den Veranlagungszeitraum 2014 geltenden Höhe des Kinderfreibetrags erörtert. Nach dem Neunten Existenzminimumbericht der Bundesregierung hätte es nahe gelegen, den für den Veranlagungszeitraum 2014 geltenden Kinderfreibetrag um € 72 zu erhöhen. Das Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags vom 16. Juli 2015 (BGBl I 2015, S. 1202) enthalte aber keine (rückwirkende) Anhebung des Kinderfreibetrags fü...

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