Rn. 67

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 48b Abs 1 oder Abs 2 EStG gegeben, erlässt das zuständige FA die Freistellungsbescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck. Die Freistellungsbescheinigung kann dabei auf bestimmte Zeit oder auftragsbezogen erteilt werden. Die FinVerw erteilt zeitraumbezogene Freistellungsbescheinigungen für einen Zeitraum von maximal drei Jahren. Bei Neugründungen und bei Leistenden, die dem FA erstmals bekannt werden, sollen vorrangig auftragsbezogene Freistellungsbescheinigungen oder Freistellungsbescheinigungen mit kurzer Laufzeit vergeben werden (Tz 35 BMF BStBl I 2022, 1229; vgl auch OFD Münster v 25.02.2002, S 2303–2-St 13–31, EStG-Kartei NW §§ 4848d EStG Nr 3001, BB 2002, 1469, Abschnitt II). Adressat der Freistellungsbescheinigung ist der Leistende (Einzelunternehmer, PersGes oder KapGes).

 

Rn. 68

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Die Freistellungsbescheinigung ist ein VA, für den die allgemeinen Regeln zur hinreichenden Bestimmtheit (§ 119 Abs 1 AO), Form (§ 119 Abs 2 S 1 AO) und Begründung (§ 121 Abs 1 AO) gelten. Die Freistellungsbescheinigung ist kein Steuerbescheid, so dass die besonderen Formvorschriften des § 157 AO keine Anwendung finden. Gleiches gilt für §§ 164, 165 AO, für die Festsetzungsverjährung (§§ 169ff AO) und für die Änderungsvorschriften in §§ 172ff AO. Die Freistellungsbescheinigung ist ein sog sonstiger VA, für den die Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger VA (§ 130 AO) bzw über den Widerruf rechtmäßiger VA (§ 131 AO) gelten (Schmitt/Seitz, Stbg 2001, 669; Beck/Girra, NJW 2002, 1079).

Da die Freistellungsbescheinigung ein begünstigender VA ist, kann die Bescheinigung nur unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 130 Abs 2, 131 Abs 2 AO aufgehoben werden. Offenbare Unrichtigkeiten können nach § 129 AO berichtigt werden.

 

Rn. 69

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

In den Fällen, in denen fraglich ist, ob aufgrund der zukünftigen Entwicklung die Freistellungsbescheinigung noch aufrecht erhalten bleiben kann, kommt die Erteilung der Freistellungsbescheinigung unter dem Vorbehalt des Widerrufs in Betracht. Zwar ist § 120 Abs 2 AO nicht anwendbar, weil es sich bei der Freistellungsbescheinigung um einen rechtlich gebundenen VA handelt. Doch können (auch begünstigende) VA, auf die ein Anspruch besteht, nach § 120 Abs 1 AO mit einer Nebenbestimmung (hier: Vorbehalt des Widerrufs) versehen werden, wenn dies sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des VA erfüllt werden. Dies dient dazu, bei sog Dauer-VA, um die es sich bei Freistellungsbescheinigungen handelt, zu gewährleisten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen auch zukünftig noch eingehalten werden. Ist das nicht mehr der Fall, kann der VA gemäß § 131 Abs 2 S 1 Nr 1 AO widerrufen werden.

Allerdings hat das FA zu beachten, dass die Beifügung eines Vorbehalts des Widerrufs eine Ermessensentscheidung ist, die mit eigenständigen Ermessenserwägungen begründet werden muss. An der Ausübung des Ermessens fehlt es, wenn ohne jede Differenzierung jede Freistellungsbescheinigung unter dem Vorbehalt des Widerrufs ergeht (ebenso: Ebling, DStR 2001, Beihefter zu Heft 51/52; aA Tz 1.5 Erlass des Senators für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen v 19.11.2001, S 2274–115: Erteilung immer unter dem Vorbehalt des Widerrufs; ebenso: Bruschke, StB 2002, 130).

Unabhängig davon, ob ein Vorbehalt des Widerrufs beigefügt worden ist, kommt bei nachträglich eingetretenen Tatsachen, die eine Versagung der Freistellungsbescheinigung rechtfertigen, die Anwendung des Widerrufsgrunds gemäß § 131 Abs 2 S 1 Nr 3 AO in Betracht (vgl Lieber, DStR 2001, 1470).

 

Rn. 70

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Die Freistellungsbescheinigung wird im Zeitpunkt der Bekanntgabe wirksam (§ 124 Abs 1 S 1 AO). Da die Freistellungsbescheinigung nach dem Regelungskonzept des § 48 Abs 2 S 1 AO (die Freistellungsbescheinigung muss im Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung vorliegen) keine steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (vgl Schmitt/Seitz, Stbg 2001, 669), kann ihre Wirksamkeit nicht durch Eintragung eines anderen Geltungsdatums zurück verlegt werden (ebenso: Ebling in Brandis/Heuermann, § 48b EStG Rz 66f (Mai 2021); Fuhrmann in Korn, § 48b EStG Rz 17 aE (Februar 2018); aA Apitz in H/H/R, § 48b EStG Rz 6 (Juni 2019); Gosch in Kirchhof/Seer, § 48b EStG Rz 8 (21. Aufl): Ausstellung der Bescheinigung ist ein rückwirkendes Ereignis gemäß § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO).

Die hM nimmt etwas abweichend von der hier vertretenen Auffassung (aber ungenau) die Wirksamkeit der Freistellungsbescheinigung ab dem Tag der Ausstellung an (Tz 35 BMF BStBl I 2022, 1229; Fuhrmann, KÖSDI 2001, 13 093; Apitz, FR 2002, 10; Weiland in Frotscher/Geurts, § 48b EStG Rz 9 (Oktober 2021).

 

Rn. 71

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Der Leistende muss die Freistellungsbescheinigung oder eine Kopie derselben dem Leistungsempfänger vorlegen, um ihre Rechtswirkungen zu aktivieren. Zu den Einzelheiten, wie der Leistende...

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