A. Zur Entstehungsgeschichte des § 370 AO

Schrifttum:

Buschmann, Steuerunehrlichkeit als Tatbestandsmerkmal?, NJW 1964, 2140; Henke, Kritische Bemerkungen zur Auslegung des § 396 AO (Steuerhinterziehung), FR 1966, 188; Hübner, Reform des Steuerstrafrechts, JR 1977, 58; Kohlmann, Zur Frage der Vorteilsabsicht bei der Steuerhinterziehung (§ 392 AO), FS Richard Lange, 1976, S. 439; Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung – Anspruch und Wirklichkeit, DStJG 6 (1983), S. 5; Kohlmann/Sandermann, Die strafrechtliche Bekämpfung von Steuerverkürzungen – unlösbare Aufgabe für den Gesetzgeber?, StuW 1974, 221; Kopacek, Steuerstraf- und Bußgeldfreiheit, 2. Aufl. 1970; Kribs-Drees, Sind die zu § 392 AO a.F. bestehenden wichtigsten Streitfragen durch § 370 AO 1977 beseitigt worden?, DB 1978, 181; Leise, Zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der "Steuerunehrlichkeit" bei vorsätzlich bewirkter Steuerverkürzung, ZfZ 1965, 193; Pfaff, Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren, StW 1964, 165; Samson/Horn, Steuerunehrlichkeit und Steuerhinterziehung durch Unterlassen, NJW 1970, 593; Schleeh, Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des steuerunehrlichen Verhaltens, FR 1970, 604; Schleeh, Rechtsgut und Handlungsobjekt beim Tatbestand der Steuerverkürzung, NJW 1971, 739; Schleeh, Der Straftatbestand der Steuerverkürzung de lege ferenda, BB 1972, 532; Schröder, Zur Strafbarkeit der Nichtabgabe von USt-Voranmeldungen, DB 1966, 519; Schulze, Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Abgabe von Steuererklärungen (II), DStR 1964, 416; Welzel, Irrtumsfragen im Steuerstrafrecht, NJW 1953, 486.

 

Rz. 1

[Autor/Stand] Vorläufernorm des § 370 AO war § 359 RAO von 1919[2]. Dort wurde erstmals der Versuch unternommen, die in verschiedenen Einzelgesetzen enthaltenen steuerstrafrechtlichen Bestimmungen zusammenzufassen. Wesentliche Tatbestandselemente der heutigen Vorschrift waren schon damals – zumindest im Ansatz – vorhanden. In der Folgezeit wurde der Straftatbestand – ab 1931 § 396 RAO – wiederholt geändert. Die Änderungen betrafen im Wesentlichen die Strafart und das Strafmaß. Während anfangs die Geldstrafe Regelstrafe war, wurde sie 1949 von der Gefängnisstrafe verdrängt, 1956 jedoch wieder als Regelstrafe eingeführt. Eine grundlegende Änderung bedeutete die Beseitigung der Vermutungstatbestände im Jahre 1939. Damit wurde auch das Steuerstrafrecht zum reinen Schuldstrafrecht.

 

Rz. 2

[Autor/Stand] Wesentliche Änderungen erfuhr § 396 RAO durch Art. 1 Nr. 4 des 2. AOStrafÄndG vom 12.8.1968[4]. In Abs. 1 des nunmehrigen § 392 RAO 1968 wurde die zuvor in ihrer Höhe unbeschränkte Geldstrafe auf 5 Mio. DM begrenzt[5]. Abs. 4 des § 396 RAO wurde mit der Begründung ersatzlos gestrichen, die dort normierte Steuerumgehung stelle nur "eine besondere Erscheinungsform des Grundtatbestandes der vorsätzlichen Steuerverkürzung nach Absatz 1" dar[6]. Im neu eingefügten Abs. 5 wurde erstmals die Strafbarkeit der Hinterziehung von Eingangsabgaben formuliert, die einem EWG-Mitgliedstaat geschuldet werden. § 392 RAO 1968 umfasste vier verschiedene Tatbestände: die Verkürzung von Steuereinnahmen (§ 392 Abs. 1 Alt. 2 RAO), die Erschleichung von ungerechtfertigten Steuervorteilen (§ 392 Abs. 1 Alt. 1 RAO), die Zweckentfremdung von Sachen, für die Steuervergünstigungen gewährt worden waren (§ 392 Abs. 2 RAO) und die Verkürzung von Eingangsabgaben zum Nachteil eines EWG-Mitgliedstaates (§ 392 Abs. 5 RAO). Alle vier Tatbestände waren als Erfolgsdelikte ausgestaltet und verlangten den Eintritt einer Steuerverkürzung[7]. Die Tatbestandsalternative der Verkürzung von Steuereinnahmen wurde überwiegend als der Grundtatbestand betrachtet und von der Rspr. als Auffangtatbestand behandelt[8].

 

Rz. 3

[Autor/Stand] Dieser Grundtatbestand bedrohte denjenigen mit Strafe, der "bewirkt, dass Steuereinnahmen verkürzt werden", und war damit so weit gefasst, dass sich aus dem Gesetz weder die tatbestandsmäßige Handlung noch der Taterfolg deutlich entnehmen ließ[10]. Deshalb versuchte die Rspr., dem Tatbestand größere Bestimmtheit zu verleihen, indem sie in ihn das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Steuerunehrlichkeit hineinlas, was allerdings während der mehr als 50-jährigen Geltungsdauer der Bestimmung mehr Verwirrung als Klarheit schaffte.

Das RG legte das Tatbestandsmerkmal "bewirken", dem üblichen Sprachgebrauch entsprechend, als verursachen aus. Der Tatbestand der Steuerverkürzung umfasste damit jede beliebige Handlung, die eine Verkürzung von Steuereinnahmen verursachte. In der Praxis führte dies zu der wenig überzeugenden Konsequenz, dass jede Handlung, die eine Minderung von Steuereinnahmen herbeiführte, auch als Steuerhinterziehung zu bestrafen war – so z.B. die bloße Nichtzahlung einer der Steuerbehörde bekannten Steuerschuld oder das Verhindern der Beitreibung dieser Schuld durch Drohung und Gewalt. Um solche Handlungen als nicht tatbestandsmäßig auszuscheiden, schuf das RG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Steuerunehrlichkeit, das bei a...

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