Rz. 93

Das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung ist auf der Grundlage der Umstände und der Kenntnisse zu beurteilen, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter in dem für die Vornahme der Maßnahme maßgebenden Zeitpunkt gehabt hätte. Das gilt auch, wenn die Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung selbst erst später eintritt.[1] Maßgebender Zeitpunkt ist dabei derjenige, zu dem der Geschäftsführer seine Entscheidung trifft und die Gesellschaft rechtlich bindet, also der Zeitpunkt des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts, d. h. der Zeitpunkt des Entstehens der zivilrechtlichen Verpflichtung für die Gesellschaft. Ausgangspunkt ist, dass der Geschäftsleiter bis zu diesem Zeitpunkt frei entscheiden kann, ob er das Geschäft abschließen will oder nicht; nach diesem Zeitpunkt ist er zivilrechtlich gebunden und daher nicht mehr frei in seiner Entscheidung. Der Zeitpunkt der dinglichen Erfüllung des Geschäfts, bei einem Grundstücksverkauf der Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten, ist nicht entscheidend.[2] Es ist aus der Sicht dieses Zeitpunkts anhand der im jeweiligen Einzelfall erkennbaren äußeren Merkmale und Verhaltensweisen des Geschäftsleiters zu prüfen, ob die Gesellschaft im eigenen Gewinnerzielungsinteresse oder zur Befriedigung der (privaten) Interessen des Gesellschafters gehandelt hat.[3]

 

Rz. 94

Tritt nach den besonderen Umständen des Einzelfalls eine Bindung der Körperschaft schon vor dem Zeitpunkt des zivilrechtlichen Vertragsschlusses ein, so ist der Zeitpunkt des Eintritts dieser Bindung, nicht der des Abschlusses des Rechtsgeschäfts, maßgebend. Eine solche Bindung vor Abschluss des Rechtsgeschäfts kann sich aus gesetzlichen Vorschriften, aber auch aus wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zwängen ergeben. So kann ein Geschäftsleiter veranlasst sein, ein für die Gesellschaft nachteiliges Geschäft abzuschließen, weil andernfalls Schadensersatzansprüche des Vertragspartners (z. B. aus Verschulden bei Vertragsschluss) zu einem noch höheren Nachteil für die Gesellschaft führen würden. Maßgebender Zeitpunkt ist dann derjenige, zu dem der Geschäftsführer sich letztmalig ohne tatsächliche und wirtschaftliche Zwänge entscheiden konnte. Allerdings wird sich eine solche Situation im Verhältnis zwischen Körperschaft und Gesellschafter nur selten ergeben.Maßgebend ist, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter sich auf seine formale Rechtsposition berufen oder ob er den wirtschaftlichen und tatsächlichen Zwängen nachgeben würde.

 

Rz. 95

Tritt die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung ohne vorherigen Abschluss eines Rechtsgeschäfts ein, ist maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung grundsätzlich der Zeitpunkt des Eintritts der Vermögensminderung bzw. verhinderten Vermögensmehrung. Auch hier kann sich aber aus tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen ein früherer Zeitpunkt für die Beurteilung ergeben, nämlich der der letzten Möglichkeit einer von den Zwängen freien Entscheidung des Geschäftsleiters.

 

Rz. 96

Alle nach dem maßgeblichen Zeitpunkt eintretenden Umstände oder Kenntnisse dürfen nicht mehr berücksichtigt werden.[4] Zu beachten ist, dass ein Geschäftsleiter Risiken eingehen kann. Aus der bloßen für die Gesellschaft ungünstigen Entwicklung kann daher nicht geschlossen werden, dass das Geschäft schon zum maßgebenden Zeitpunkt eine Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung enthielt und daher zu unangemessenen Bedingungen abgeschlossen worden ist. Ein Geschäft, bei dem im maßgebenden Zeitpunkt Chancen und Risiken ausgewogen sind, bleibt auch dann ausgewogen und damit angemessen, wenn erwartete Chancen sich später nicht realisieren oder Risiken eintreten, die im maßgebenden Zeitpunkt nicht vorausgesehen werden mussten.

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