Leitsatz

Eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform einer GbR, die eine mobile Anästhesiepraxis betriebt und nicht über eigene Praxisräume verfügt, verliert ihre Freiberuflichkeit nicht dadurch, dass sie zwar eine angestellte Anästhesistin beschäftigt, die jedoch nur für einfach gelagerte Anästhesien eingeteilt wird.

 

Sachverhalt

Im Streitfall handelte es sich um einen mobilen Anästhesiebetrieb, d. h., die Steuerpflichtige (GbR) verfügte selbst über keine Praxisräume, sondern die Gesellschafter der GbR übten ihre Tätigkeit in den Praxen der die GbR beauftragenden Operateure aus. Wöchentlich wurde im Voraus festgelegt, welcher Arzt bei welchem Operateur tätig werden soll. Die Gesellschafter haben eine Reihe standardisierter Behandlungsmethoden entwickelt. Nach einer von einem Partner durchgeführten Voruntersuchung schlug dieser eine Behandlungsmethode vor. Die eigentliche Anästhesie führte dann ein anderer Arzt durch. Die GbR beschäftigte zeitweise eine angestellte Ärztin, die nur bei den eigentlichen Anästhesien eingesetzt wurde. Dagegen gehörten Voruntersuchungen nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Soweit die GbR die Anästhesie in problematischen Fällen nicht ablehnte, blieb die Anästhesie in derartigen problematischen Fällen einem der Partner vorbehalten. Für die angestellte Ärztin verblieb die Durchführung von einfach gelagerten Anästhesien. Das Finanzamt stufte die Einkünfte der GbR aufgrund der Beschäftigung der angestellten Ärztin als gewerblich ein. Die Gesellschafter der Klägerin seien zwar leitend tätig, die angestellte Ärztin sei aber nach der "Berufsordnung für Ärzte" zur eigenverantwortlichen und weisungsfreien Arbeit verpflichtet. Während einer Operation sei sie "auf sich allein gestellt". Anders als bei einem angestellten Zahnarzt, wo der Praxisinhaber im Nebenzimmer jederzeit erreichbar sei, müsse die angestellte Anästhesistin bei Komplikationen während der Operation selbst entscheiden.

 

Entscheidung

Das FG gab der Klage statt. Denn die freiberufliche Tätigkeit wird nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Angehörige eines freien Berufs der Mithilfe einer fachlich vorgebildeten Arbeitskraft bedient, unter der Voraussetzung, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Auch der Umstand, dass die GbR eine Anästhesistin angestellt hatte, führte nicht zur Beendigung der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit der GbR bzw. ihrer Gesellschafter. Denn die Aufklärungsgespräche, die mitunter länger dauern, als die eigentliche Anästhesie, wurden nur durch die Gesellschafter der GbR geführt. Dabei wurden alle für eine ambulante Anästhesie ungeeigneten Fälle ausgesondert. Am Ende des Aufklärungsgesprächs erhielten die Patienten Unterlagen, die mit dem Logo der Praxis bedruckt sind. Nach Auffassung des FG haben die Gesellschafter der GbR damit nicht nur die wesentliche Leistung der GbR erbracht. Auch durch das Aufklärungsgespräch mit einem Gesellschafter der GbR und der Übergabe der Unterlagen ist nach Auffassung des FG aus der Sicht des Patienten die GbR und nicht der eigentliche Anästhesist der Leistungserbringer. Hinzu kommt, dass schwierige Fälle ausschließlich von den Gesellschaftern der GbR durchgeführt wurden. Für die angestellte Ärztin verblieben danach eher einfach gelagerte Anästhesien, zu denen sie von den Gesellschaftern der GbR eingeteilt wurde. Damit behielten die Partner die wesentliche Leitung des Betriebes in ihren Händen, denn die Gesellschafter der GbR hatten in dem von ihnen ausgearbeiteten Leitfaden zur Durchführung eine Anästhesie im Einzelnen festgelegt, welche Behandlungsschritte wann und wie durchzuführen waren.

 

Hinweis

Die GbR hatte im Streitfall ihre Leistung auch dann eigenverantwortlich erbracht, wenn die angestellte Ärztin die Anästhesie durchführte. Denn die Eigenverantwortlichkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass die GbR der angestellten Ärztin vorgab, welche der von ihr entwickelten Behandlungsmethoden angewendet werden sollte. Müsste dagegen ein Gesellschafter die angestellte Ärztin ständig begleiten, um sie zu kontrollieren und zu überwachen, wäre dies nicht nur wirtschaftlich sinnlos, sondern würde auch § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG widersprechen. Hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit ist eine angestellte Anästhesistin durchaus mit einem angestellten Rechtsanwalt vergleichbar. Dieser muss bei der Wahrnehmung eines Gerichtstermins ebenfalls eigenverantwortlich handeln, ohne dass dies - auch bei einer größeren Rechtsanwaltskanzlei - zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen würde, obwohl auch die Fehlentscheidung eines angestellten Rechtsanwalts schwerwiegende Folgen für den Mandanten nach sich ziehen kann.

 

Link zur Entscheidung

FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.03.2012, 2 K 336/12

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