rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiberuflichkeit einer mobilen Anästhesiepraxis trotz der Beschäftigung einer angestellten Ärztin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform einer GbR, die eine mobile Anästhesiepraxis betreibt und nicht über eigene Praxisräume verfügt, ist auch dann leitend und eigenverantwortlich i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG und damit freiberuflich tätig, wenn sie zwar eine angestellte Anästhesistin beschäftigt, die jedoch nur für einfach gelagerte Anästhesien eingeteilt wird, wogegen ausschließlich die an der GbR beteiligten Ärzte alle schwierigen Fälle, sämtliche Aufklärungsgespräche sowie Voruntersuchungen selbst durchführen, die Behandlungsmethode (auch für die von der angestellten Ärzten behandelten Patienten) festlegen und die Anästhesieunterlagen mit dem Logo der Praxis übergeben (entgegen Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt v. 24.8.2006, 1 K 982/03).

2. Hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit besteht kein Unterschied zwischen einer angestellten Anästhesistin und einem angestellten Rechtsanwalt, der bei der Wahrnehmung eines Gerichtstermins ebenfalls eigenverantwortlich handeln muss, ohne dass dies – auch bei einer größeren Rechtsanwaltskanzlei – zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen würde, obwohl auch die Fehlentscheidung eines angestellten Rechtsanwalts schwerwiegende Folgen für den Mandanten nach sich ziehen kann.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2-3, § 15 Abs. 2; GewStG § 2 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.07.2014; Aktenzeichen VIII R 41/12)

 

Tenor

Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2004 vom 28. Juli 2006 bzw. für 2005 vom 21. Februar 2007 und der zu diesen Bescheiden ergangene Einspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 – geändert durch die Bescheide vom 22. Mai 2009 – werden dahingehend geändert, dass anstatt der Einkünfte aus Gewerbebetrieb solche aus nichtselbständiger Arbeit festgestellt werden.

Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 vom 28. Juli 2006 bzw. für 2005 vom 21. Februar 2007 und der zu diesen Bescheiden ergangene Einspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 – geändert durch die Bescheide vom 22. Mai 2009 – werden ersatzlos aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit infolge der Anstellung und Beschäftigung einer angestellten Anästhesistin in solche aus Gewerbebetrieb umzuqualifizieren sind mit der Folge, dass gegenüber der Klägerin zudem ein Gewerbesteuermessbetrag festzusetzen ist.

Die betreibt eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform der GbR. Dabei handelt es sich um einen mobilen Anästhesiebetrieb, d.h., die Klägerin verfügt selbst über keine Praxisräume. Vielmehr üben die Gesellschafter der Klägerin ihre Tätigkeit in den Praxen der die Klägerin beauftragenden Operateure aus. Nach dem Vortrag der Klägerin wird wöchentlich im Voraus festgelegt, welcher Arzt bei welchem Operateur tätig werden soll. Die Gesellschafter haben eine Reihe standardisierter Behandlungsmethoden entwickelt. Nach einer von einem Partner durchgeführten Voruntersuchung schlug dieser eine Behandlungsmethode vor. Die eigentliche Anästhesie führte dann ein anderer Arzt durch.

Die Klägerin beschäftigte seit dem 1. Januar 2003 eine angestellte Ärztin. Diese sollte nach einer Probezeit als Partnerin aufgenommen werden. Da es einige Jahre später zu Differenzen hinsichtlich der Höhe der Abstandszahlung kam, wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Die angestellte Ärztin wurde nur bei den eigentlichen Anästhesien eingesetzt. Voruntersuchungen gehörten nach dem Vortrag der Klägerin nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Soweit die Klägerin die Anästhesie in problematischen Fällen nicht ablehnte, blieb die Anästhesie in derartigen problematischen Fällen einem der Partner vorbehalten. Für die angestellte Ärztin verblieb die Durchführung von einfach gelagerten Anästhesien. Wegen des erläuternden Vortrages der Gesellschafterin der Klägerin, Frau Dr. H, in der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung.

Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte der Klägerin aufgrund der Beschäftigung der angestellten Ärztin als gewerblich einzustufen seien. Die Gesellschafter der Klägerin seien zwar leitend tätig, die angestellte Ärztin sei aber nach der „Berufsordnung für Ärzte” zur eigenverantwortlichen und weisungsfreien Arbeit verpflichtet. Während einer Operation sei sie „auf sich allein gestellt”. Anders als bei einem angestellten Zahnarzt, wo der Praxisinhabe...

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