Zusammenfassung

 
Überblick

Im Folgenden wird das formelle Haftungsrecht nach der Abgabenordnung (AO) dargestellt. Es wird also die Frage behandelt, wie der Staat bei Bestehen eines Haftungsanspruchs diesen gegenüber dem Verpflichteten, dem Haftenden, durchsetzt.

Der Frage der Durchsetzung muss in der Praxis zwingend die Frage vorausgehen, ob die Voraussetzungen eines materiellen Haftungstatbestands erfüllt sind. Erst anschließend ist zu prüfen, ob und wie der Haftungsanspruch im jeweiligen Einzelfall festzusetzen ist.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Die für das formelle Haftungsrecht maßgeblichen Bestimmungen finden sich in folgenden 2 Vorschriften der AO:

  • § 191 AO (Haftungsbescheid); in dieser Norm finden sich eine Vielzahl von Verweisungen auf andere Bestimmungen der AO; § 191 AO ist damit die zentrale Norm des formellen Haftungsrechts.
  • § 219 AO (Zahlungsaufforderung); diese Norm gehört zum Erhebungsverfahren und regelt, dass ein Haftungsschuldner grundsätzlich erst dann auf Zahlung in Anspruch genommen werden darf, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg erscheint.

1 Der Haftungsbescheid

1.1 Erlass eines Haftungsbescheids

Nach § 191 AO kann ein Haftungsbescheid ergehen, wenn kraft Gesetzes für eine Steuer gehaftet wird. Dabei ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob es sich bei der Haftungsgrundlage um ein Steuergesetz oder um ein zivilrechtliches Gesetz handelt. Wie auch der Steuerbescheid wirkt der Haftungsbescheid nur deklaratorisch. Der Haftungsanspruch entsteht, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen des Haftungstatbestands erfüllt sind.[1] Der Gegenstand des Haftungsbescheids, der gem. § 191 Abs. 1 Satz 3 schriftlich oder elektronisch[2] zu ergehen hat[3], wird durch folgende Elemente bestimmt:

  • Den entstandenen Steueranspruch: Die Festsetzung oder Fälligkeit ist für die Entstehung ohne Bedeutung. Die sogleich darzustellenden Ausnahmen sind die Drittwirkung des Steuerbescheids nach § 166 AO und die Hinzuziehung nach § 360 Abs. 1 AO. Wegen des Grundsatzes der Akzessorietät der Haftungsschuld darf der Haftungsschuldner jedoch nur insoweit in Anspruch genommen werden, als der Steueranspruch im Zeitpunkt der Inanspruchnahme bzw. im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über die Inanspruchnahme noch besteht.[4]
  • Den entstandenen Haftungsanspruch: Dieser ergibt sich aus einem bestimmten Lebenssachverhalt und der anzuwendenden materiellen Haftungsnorm. Der Haftungsanspruch ist wie der Steueranspruch nicht teilbar. Der Haftungsbescheid muss sich daher im Rahmen der materiellen Haftungsnorm auf den gesamten entstandenen Steueranspruch erstrecken und darf nicht nur einen Teilanspruch erfassen. Insoweit steht dem Finanzamt kein Ermessensspielraum zu. Die tatsächliche Inanspruchnahme kann das Finanzamt nur durch die Zahlungsaufforderung steuern.

Über den Wortlaut des § 191 Abs. 1 AO hinaus kann ein Haftungsbescheid nicht nur bei Steuern ergehen, sondern auch bei anderen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis[5], z. B. Säumniszuschlägen oder Verspätungszuschlägen.[6] Voraussetzung ist jedoch stets, dass die Haftungsgrundlage, z. B. § 69 AO, auch diese Beträge umfasst. Der Erlass eines Haftungsbescheids ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung.[7] Nur im Ausnahmefall einer Inanspruchnahme des Haftenden nach § 13c UStG besteht kein Ermessen.[8] Der Haftungsbescheid muss daher i. d. R. begründet werden. Dabei muss entschieden werden,

  • ob eine Inanspruchnahme erfolgen soll, sog. Entschließungsermessen – dabei ist besonders zu beachten, dass der Steuerschuldner Primärschuldner ist.[9] Der Haftende ist nur Sekundärschuldner, der grundsätzlich nur subsidiär herangezogen werden darf. Eine Ausnahme hierzu besteht bei der Haftung für Lohnsteuer, bei der der Arbeitgeber nach § 42d EStG als Primärschuldner behandelt wird;[10]
  • wer bei mehreren Haftungsschuldnern in Anspruch genommen werden soll, sog. Auswahlermessen.[11]

Von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung durch die Tatbestandsverwirklichung in den Fällen der §§ 69, 71 AO in erschwerter Verschuldensform und einer daran anknüpfenden stillschweigenden sachgerechten Ermessensausübung durch das Finanzamt kann nur dann ausgegangen werden, wenn das Finanzamt mindestens das schwere Verschulden im Haftungsbescheid dargestellt hat.[12]

Bei einer vorsätzlichen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist die Inanspruchnahme des Gehilfen als Haftungsschuldner auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen[13]; diese sog. Vorprägung ist nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde, sondern auch der Höhe nach gegeben. Bei lediglich grob fahrlässiger Pflichtverletzung kann hingegen nicht von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung ausgegangen werden.[14] Bei der Haftung nach § 69 AO braucht das Finanzamt im Rahmen seiner Ermessensentscheidung i. d. R. keine Erwägungen darüber anzustellen, ob der Haftungsbetrag dem Verschulden des Haftenden entspricht.[15]

Werden im Haftungsbescheid keine oder nicht ausreichende Ermessenserwägungen angestellt, und...

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