Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO und grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei Erkrankung

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eine Krankheit kann nur dann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen, wenn die Krankheit plötzlich und in einer Schwere auftritt, in der es dem Stpfl. nicht mehr zugemutet werden kann, einen Dritten mit seiner Interessenwahrnehmung zu beauftragen.

2) Grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt vor, wenn der Stpfl. ihm ausdrücklich gestellte Fragen nicht beantwortet, oder wenn er einen Bescheid bestandskräftig werden lässt, obwohl sich die Notwendigkeit weiteren Vortrags innerhalb der Einspruchsfrist hätte aufdrängen müssen. In diesen Fällen entschuldigt eine Krankheit des Stpfl. diesen nur dann, wenn die Krankheit plötzlich und unvorhersehbar eintritt oder so schwerwiegend ist, dass weder die Wahrnehmung der Frist noch die Bestellung eines Vertreters möglich ist.

 

Normenkette

AO §§ 173, 110

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 12.03.2015; Aktenzeichen III R 27/14)

 

Tatbestand

Umstritten ist die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab September 2007 sowie die Rückforderung des Kindergeldes für die Monate September 2007 bis November 2010.

Die Klägerin erhielt für ihren am 26.09.1989 geborenen Sohn D laufend Kindergeld.

D besuchte in der Zeit vom 01.08.2000 bis zum 25.06.2010 durchgängig das – -Gymnasium in H. Insoweit wird auf die Schulbescheinigung vom 25.06.2010 Bezug genommen.

Anschließend leistete er – ausweislich der Dienstzeitbescheinigung des Bundesamts für den Zivildienst vom 08.03.2011 – von Oktober 2010 bis März 2011 Zivildienst.

Da die letzte, der Beklagten vorliegende Schulbescheinigung für den Sohn der Klägerin am 28.08.2007 erstellt und hierin das voraussichtliche Ende der Schulausbildung auf Juli 2010 datiert worden war, forderte die Beklagte die Klägerin mit Anhörungsschreiben vom 28.10.2010 und vom 10.05.2011 auf, Nachweise über das Ende der Schulausbildung sowie eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen ihres Sohnes einzureichen.

Die Klägerin beantwortete die Anhörungsschreiben nicht, so dass die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für D mit Bescheid vom 08.06.2011 gem. § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab September 2007 aufhob und das für die Zeit von September 2007 bis November 2010 bereits ausgezahlte Kindergeld gem. § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) in Höhe von insgesamt 6.556,00 EUR von der Klägerin zurückforderte.

Am 29.09.2011 ging bei der Beklagten ein Kindergeldantrag ein, in dem die Klägerin angab, ihr Sohn D suche seit April 2011 einen Studienplatz. Zugleich waren dem Kindergeldantrag unter anderem ein Kontrollblatt über die Internet-Bewerbung von D an der Ruhr-Universität Bochum vom 24.06.2011, eine Schulbescheinigung des OttoHahn-Gymnasiums vom 25.06.2010 sowie eine Dienstzeitbescheinigung nach § 46 Abs. 1 des Zivildienstgesetzes vom 08.03.2011 beigefügt.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 05.12.2011 daraufhin für die Zeit ab April 2011 Kindergeld für den Sohn der Klägerin, da dieser sich um den Erhalt eines Studienplatzes bemühe.

Nachdem die Klägerin eine Studienbescheinigung der Universität C für das Sommersemester 2012 übersandt hatte, setzte die Beklagte für D auch für die Zeit ab April 2012 Kindergeld fest. Insoweit wird auf den Bescheid vom 14.05.2012 Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 24.10.2012 lehnte die Beklagte den Kindergeldantrag der Klägerin vom 29.09.2011, soweit er die Monate von September 2007 bis zur erneuten Festsetzung ab April 2011 betrifft, unter Hinweis auf die Bestandskraft des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 08.06.2011 ab.

Im November 2012 wandte sich die Klägerin mit anwaltlichen Schreiben vom 02.11.2012 und 05.11.2012 erneut an die Beklagte und trug vor, der Bescheid vom 08.06.2011 sei nicht bestandskräftig geworden, da ihr Sohn in ihrem Auftrag die fehlenden Unterlagen über seine Schulausbildung eingereicht habe. Soweit nicht fristgerecht Einspruch gegen den Bescheid vom 08.06.2011 erhoben worden sei, beantrage sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Beklagte wertete die Eingabe der Klägerin aus November 2012 als Einspruch gegen den Kindergeldaufhebungs- und -rückforderungsbescheid vom 08.06.2011 und verwarf diesen mit Einspruchsentscheidung vom 01.03.2013 als unzulässig.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, der Kindergeldaufhebungs- und -rückforderungsbescheid sei rechtswidrig.

Ihr Sohn habe im gesamten Streitzeitraum die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld erfüllt, da er das – -Gymnasium in H besucht habe.

Sie trägt weiter vor, sie habe sich unmittelbar nach Erhalt des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides fernmündlich an die Beklagte gewandt und auf den durchgängigen Schulbesuch ihres Sohnes hingewiesen. Ihr sei daraufhin nur mitgeteilt worden, sie müsse den Schulbesuch ihres Sohnes durch geeignete Belege nachweisen. Darauf, dass sie zusätzlich noch ein Rechtsmittel gegen den Bescheid einlegen müsse, se...

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