Entscheidungsstichwort (Thema)

97 GetränkStG in Hamburg teilweise verfassungswidrig? – Verstoß gegen EWGV schließt Vorlage an BVerfG nicht aus

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Erhebung einer GetränkSt insoweit gegen Art. 105 Abs. 2 a GG verstößt, als die entgeltliche Abgabe von Bier zum Verzehr an Ort und Stelle einer GetränkSt unterworfen wird.

2. Die Unvereinbarkeit einer nationalen Norm mit EWG-Recht und damit deren Unanwendbarkeit schließt die Einholung einer Entscheidung des BVerfG über deren Verfassungswidrigkeit nicht aus.

 

Normenkette

Hamb. GetränkStG § 1; GG Art. 100 Abs. 1 S. 1, Art. 105 Abs. 2a, Art. 106 Abs. 6 S. 1

 

Gründe

1. Die Gültigkeit des Hamburgischen GetränkStG ist für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Ist das Gesetz gültig, dann ist die Klage abzuweisen. Ist das Gesetz in dem genannten Umfang ungültig, dann ist der Klage teilweise stattzugeben.

Gemeinschaftsrechtliche Probleme schließen die Erheblichkeit der Vorlagefrage nicht aus. Insbsondere verstößt das GetränkStG nicht bereits gegen vorrangiges Recht der EG. Die insoweit in Betracht zu ziehende 6. Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die USt – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388 EWG) – betrifft die von den Mitgliedstaaten erhobene Mehrwertsteuer. In Anknüpfung an traditionelle, formale Merkmale beinhaltende Begriffsbestimmungen unterscheidet das Gemeinschaftsrecht zwischen USt, Verbrauchsabgaben und sonstigen indirekten Steuern (Ar. 99 EWGV). Ob eine GetränkSt Hamburger Art gemeinschaftsrechtlich unter die Verbrauchsabgaben einzuordnen ist, hat letztlich der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständige EGH zu entscheiden. Eine Harmonisierung dieser Steuerarten steht noch aus (vgl. die bei Regul, Steuern und Zölle im Gemeinsamen Markt, unter III F abgedruckten Dokumente über Vorschläge für Richtlinien). Unabhängig von der gemeinschaftsrechtlichen Einordnung der GetränkSt neigt der Senat zu der Ansicht, daß örtliche GetränkSt den Harmonisierungsbestimmungen der EG im Bereich der USt nicht entgegenstehen. Die Ziele des EWG-Vertrages werden im gegenwärtigen Stadium der europäischen Einigung von solchen örtlichen Steuern nicht berührt.

Selbst wenn dies der Fall sein sollte, schließt dies die Erheblichkeit der Vorlage nicht aus. Denn die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes durch das BVerfG hat weiterreichende Folgen als der Ausspruch der Fachgerichte, daß Gesetze wegen eines Verstoßes gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht unanwendbar sind. Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit tritt das Gesetz formell außer Kraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 13 Nr. 11 BVerfGG). Die Feststellung der Unvereinbarkeit eines nationalen Gesetzes mit vorrangigem Gemeinschaftsrecht durch ein Fachgericht unterer Instanz steht unter dem Vorbehalt der abweichenden Entscheidung des letztinstanzlich entscheidenden Fachgerichts und der Änderung der Rechtsprechung der Fachgerichte. Der EGH selbst entscheidet gem. Art. 177 EWGV nur über die Rechtsfrage der Auslegung und der Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts, nicht über die Anwendungsfrage, ob das nationale Recht mit dem Gemeinschaftsrecht in der Auslegung des EGH vereinbar ist.

2. Die Besteuerung von Getränken hat es in Deutschland schon lange gegeben.

a) Eine eigentliche Gemeinde-GetränkSt gibt es erst seit dem FinAusglG vom 23. Juni 1923 (RGBl I 1923, 494). Danach durften die Gemeinden Steuern auf den örtlichen Verbrauch von Wein, weinähnlichen und weinhaltigen Getränken, von Schaumwein und von schaumweinhaltigen Getränken, von Bier und Trinkbranntwein sowie von Mineralwässern und künstlich bereiteten Getränken erheben. Durch das Gesetz über die Änderung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeindem vom 10. August 1925 (RGBl I 1925, 254) wurde bestimmt, daß die Gemeinden Steuern auf den örtlichen Verbrauch von Getränken nur noch bis zum 31. März 1927 erheben durften (Art. III Nr. 6 III). Die VO des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli 1930 (RGBl I 1930, 311) ermöglichte es den Gemeinden, neben der Gemeinde-BierSt, zu deren Erhebung die Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet waren (2. Abschnitt §§ 1 und 6), eine Steuer auf die im FinAusglG vom 23. Juni 1923 genannten Getränke sowie zusätzlich auf Kakao, Kaffee, Tee und andere Auszüge aus pflanzlichen Stoffen zu erheben, sofern der Haushalt einer Gemeinde durch Wohlfahrtslasten in außerordentlichem Umfang belastet war (2. Abschnitt § 3). Aufgrund der genannten Bestimmungen erließ der Reichsstatthalter in Hamburg die GetränkSt-Satzung vom 20. März 1940 (HmbVOBl 1940, 33). Danach unterlag die entgeltliche Abgabe bestimmter Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle der Steuer. Ein weiteres GetränkStG erließ die Freie und Hansestadt Hamburg ...

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