Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nur bei Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen auf Familienleistungen für ein Kind in zwei EU-Mitgliedstaaten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Besteht für das im Inland lebende Kind eines deutschen Staatsangehörigen und dessen schottischer Ehefrau, die in Großbritannien unselbständig erwerbstätig ist, aufgrund des fehlenden Aufenthalts im Vereinigten Königreich kein britischer Kindergeldanspruch (hier: bestätigt durch Bescheid gegenüber der Ehefrau), steht dem Vater Kindergeld im Inland zu.

2. Eine den Bezug inländischen Kindergeldes ausschließende Konkurrenzsituation liegt nicht vor. Art. 67, 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 finden nur bei einem Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu Vermeidung ungerechtfertigter Doppelleistungen Anwendung. Das ist nicht der Fall, wenn lediglich ein Anspruch nach den Rechtsvorschriften Deutschlands festzustellen ist.

 

Normenkette

EStG § 65 Abs. 1 Nr. 2, § 64 Abs. 1-2; EGV 883/2004 Art. 67-68; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1

 

Tenor

Der Bescheid vom 10. April 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2012 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seine Tochter N ab September 2011 zu bewilligen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist mit einer Schottin verheiratet. Die Eheleute haben eine am XX. XX 2011 geborene Tochter N, die im gemeinsamen Haushalt der Eheleute im Inland wohnt. Der Kläger streitet mit der Beklagten darum, ob ihm für N Kindergeld zusteht.

Der Kläger stellte am 28. Oktober 2011 bei der damals zuständigen Familienkasse in X einen Antrag auf Kindergeld für N (KiG, Bl. 1). Er gab in der Folge an, seine Ehefrau sei in England bis einschließlich Januar 2013 unselbständig erwerbstätig (KiG, Bl. 10, 39). Mit Bescheid vom 10. April 2012 (KiG, Bl. 15) lehnte die Familienkasse X den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass infolge der Erwerbstätigkeit der Mutter von N in England (allein) dort ein Kindergeldanspruch bestehe.

Hiergegen legte der Kläger am 14. Mai 2012 Einspruch ein (KiG, Bl. 16). Er legte ein Schreiben der britischen Steuer- und Zollbehörde vom 19. Dezember 2012 vor (KiG, Bl. 45), wonach für N kein Kindergeld bewilligt werden könne, da N sich nicht in Großbritannien aufhalte. Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2012 (Bl. 4) wies die Familienkasse X den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück (Bl. 4 ff.).

Am 14. Januar 2013 hat der Kläger Klage erhoben (Bl. 1).

Der Kläger beantragt sinngemäß (Bl. 1),

den Bescheid vom 10. April 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Kindergeld für seine Tochter N ab September 2011 zu bewilligen.

Der Kläger macht geltend, ihm stehe in Großbritannien nachweislich kein Kindergeld für N zu

Die Beklagte beantragt (Bl. 29),

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, es sei nicht nachgewiesen, dass dem Kläger oder seiner Ehefrau für N im streitigen Zeitraum in England kein Kindergeld zustehe. Es sei versucht worden, seitens der britischen Behörden eine konkrete Auskunft zu erhalten. Dies sei jedoch nicht gelungen. Mithin sei der Kläger gehalten, die entsprechenden Nachweise selbst zu erbringen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Akten der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Dem Kläger steht für den streitigen Zeitraum, in dem seine Ehefrau zusammen mit ihm und ihrer Tochter N im Inland wohnte und in England in einem Arbeitsverhältnis stand, Kindergeld im Inland zu.

1. Die Beklagte ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013) gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 2.2 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit Familienkasse Rheinland-Pfalz/Saarland eingetreten (s. BFH vom 13. Juni 2013 III R 63/11, BFH/NV 2013, 1872).

2.1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. §§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 EStG hat u.a. für ein eigenes Kind mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU – wie im Streitfall Großbritannien – Anspruch auf Kindergeld, wer einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Gemäß § 64 Abs. 1 und 2 EStG wird für jedes Kin...

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