rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtsgericht, dem ein Gerichtsvollzieher dienst- und reisekostenrechtlich zugeordnet ist, als dessen erste Tätigkeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 4 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch wenn ein Gerichtsvollzieher im Bereich des Amtsgerichts, dem er zugeordnet ist, zusammen mit weiteren Gerichtsvollziehern ein angemietetes Gemeinschaftsbüro und daneben in seiner Wohnung ein als weiteres Geschäftszimmer im Sinne des § 30 Abs. 1 Gerichtsvollzieherordnung (GVO) genehmigtes Büro unterhält, ist das Amtsgericht als Amtssitz und zugleich dem Vollzieher zugewiesene Dienststelle/Dienststätte im Sinne des öffentlichen Reisekostenrechts die erste Tätigkeitsstätte des Gerichtsvollziehers im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG, wenn er dort regelmäßig vier- bis fünfmal pro Woche seine Vollstreckungsaufträge und somit die Grundlagen seiner eigentlichen Berufstätigkeit abholt.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nrn. 4, 4a Sätze 1-2, Abs. 4 Sätze 1-3; GVO §§ 1, 2 S. 1, § 25 Abs. 2, § 30 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.12.2020; Aktenzeichen VI R 35/18)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob in Anwendung des ab 2014 geltenden neuen steuerlichen Reisekostenrechts Fahrtkosten eines Gerichtsvollziehers von seinem Wohnort zu seinem Amtssitz als Reisekosten oder nur in Höhe der Entfernungspauschale abziehbar sind.

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt; sie wohnen in X. Der Kläger ist als Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht Y beschäftigt und erzielt hieraus Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.

In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 machte der Kläger als Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit unter anderem Fahrtkosten zum Amtsgericht Y an 205 Tagen i.H.v. 9.594 EUR (205 Tage × 156 km × 0,30 EUR) geltend.

Der Kläger unterhält im Amtsgerichtsbezirk Y ein Gemeinschaftsbüro mit vier Bürozimmern, welches er zusammen mit sieben weiteren Gerichtsvollziehern angemietet hat. Hiervon nutzt der Kläger ein Bürozimmer zu seinen Bürozeiten an zwei Tagen, jeweils dienstags und mittwochs, für ca. 2 Stunden. Daneben betreibt der Kläger in seinem Einfamilienhaus in X ein eigenes Büro, welches als weiteres Geschäftszimmer im Sinne des § 30 Abs. 1 Gerichtsvollzieherordnung (GVO) genehmigt ist (vgl. die Verfügung der Präsidentin des Landgerichts Z vom 09.03.2017, Bl. 38 der Gerichtsakte).

Auf Nachfrage des Beklagten zu einer dienst- oder arbeitsrechtlichen Zuordnungsentscheidung hinsichtlich einer ersten Tätigkeitsstätte teilte die Verwaltungsleiterin des Amtsgerichts Y in einem Schreiben vom 25.07.2016 mit, dass der Kläger beim Amtsgericht Y als Obergerichtsvollzieher beschäftigt sei. Im Gebäude des Amtsgerichts werde ihm kein Büro zur Verfügung gestellt. Er habe an seinem Amtssitz gemäß § 30 GVO ein Büro auf eigene Kosten zu unterhalten. Dieses Büro werde nur zu den Bürozeiten verwendet (2 × 1 Stunde/Woche). Die hauptsächliche Büroarbeit erledige der Gerichtsvollzieher in seinem Heimbüro am Wohnort.

Der Beklagte berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 2015 vom 18.08.2016 die Fahrtkosten als Werbungskosten nur in Höhe der Entfernungspauschale mit 4.182 EUR (205 Tage × 68 km × 0,30 EUR) und legte dabei eine kürzere Fahrtstrecke zu Grunde. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein und wandten sich unter anderem gegen die Berücksichtigung der Fahrtkosten lediglich im Wege der Entfernungspauschale.

Im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 12.06.2017 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung unter dem gleichen Datum und berücksichtigte unter anderem die Entfernungspauschale nunmehr unter Ansatz einer Strecke von 76 km mit 4.674 EUR. Im Übrigen wurde der Einspruch bezüglich der als Reisekosten geltend gemachten Fahrtkosten als unbegründet zurückgewiesen.

Im Einzelnen wird hierzu ausgeführt, dass nach der Neugestaltung des steuerlichen Reisekostenrechts gemäß § 9 Abs. 4 EStG die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegungen durch den Arbeitgeber zu erfolgen habe. Auf die Qualität des Tätigwerdens komme es mittlerweile nicht mehr an. Im Bereich des öffentlichen Dienstes sei die Dienststelle/Dienststätte die Stelle, bei der die Beschäftigten eingestellt oder zu der sie versetzt, abgeordnet, zugeteilt, zugewiesen oder abkommandiert worden seien. Bei Gerichtsvollziehern sei demnach das Amtsgericht wegen der Zuordnung als Dienststelle durch den Arbeitgeber als erste Tätigkeitsstätte anzusehen, auch wenn dort möglicherweise nur Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung durchgeführt würden.

Anstelle der ansonsten maßgeblichen kürzesten Straßenverbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte könne vorliegend die schnellere und verkehrsgünstigere Straßenverbindung mit 76 km zugrunde gelegt werden.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger weiterhin anstelle der Entfernungspauschale den A...

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