Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung von Finanzgerichtsentscheidungen. Erklärungswert der Entscheidung. Neuheit von Tatsachen im Sinne des § 173 AO. Einkommensteuer 1995

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rechtskräftige Urteile binden die Beteiligten, soweit über des Streitgegenstand bereits entschieden worden ist.

2. Bei Sachentscheidungen wird die Bindungswirkung nicht nur durch Klagebegehren und Verböserungsverbot, sondern auch durch den tatsächlich zugrunde gelegten Sachverhalt und die tatsächlich hierzu angestellten rechtlichen Erwägungen auf den Entscheidungsgegenstand begrenzt.

3. Eine Korrektur nach § 173 AO ist möglich, wenn die neuen Tatsachen oder Beweismittel den Beteiligten nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht als Tatsachen neu bekannt geworden sind.

 

Normenkette

FGO § 110 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 173

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.12.2006; Aktenzeichen VI R 63/02)

BFH (Urteil vom 19.12.2006; Aktenzeichen VI R 63/02)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Bei seiner Einkommensteuer(ESt)-Erklärung 1995 machte der Kläger (Kl) die Kosten einer Sprachreise in Höhe von … DM als Werbungskosten (WK) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend.

Der Kl wurde mit Bescheid vom … (Einspruchsentscheidung) zur ESt 1995 veranlagt. Dabei wurden Aufwendungen des Kl im Zusammenhang mit dem Besuch des Sprachkurses mit insgesamt … DM als WK berücksichtigt, weil das FA aufgrund seiner Angaben zu den Inhalten des Sprachkurses davon ausging, daß der Besuch des Sprachkurses so gut wie ausschließlich beruflich veranlaßt gewesen sei. Einer genaueren Überprüfung der Unterrichtsinhalte war der Kl dadurch entgangen, daß er im Einspruchsverfahren behauptete, ihm lägen keine Unterrichtsmaterialien mehr vor (vgl. Schreiben des Kl vom … auf Anfrage des FA vom …).

In dem sich anschließenden Klageverfahren (Az.: 6 K 352/97) legte der Kl dem FG Unterrichtsmaterialien vor, aus denen sich nach den Feststellungen des FG ergab, daß der Unterricht nicht auf die besonderen beruflichen Bedürfnisse des Kl ausgerichtet war, sondern hauptsächlich allgemeine (vertiefende) Sprachkenntnisse vermittelte. Das FG wies die Klage als unbegründet ab.

Im Anschluß an das Klageverfahren änderte das FA den ESt-Bescheid 1995 vom … nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Englischsprachkurs wurden dabei in vollem Umfang den nicht abziehbaren Kosten der privaten Lebensführung zugerechnet und nicht mehr als WK berücksichtigt.

Gegen den nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten ESt-Bescheid 1995 vom … erhob der Kl Einspruch. Er beantragte die Aufhebung des Änderungsbescheids. Zur Begründung trug er im wesentlichen vor, daß die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht vorgelegen hätten. So sei nicht nachvollziehbar, welche neuen Tatsachen dem FA im Rahmen des Verfahrens vor dem FG bekannt geworden sein sollten. Darüberhinaus habe das FA im Einspruchsverfahren seine Ermittlungspflicht verletzt, weshalb es bereits nach den Grundsätzen von Treu und Glauben den ESt-Bescheid 1995 vom … nicht nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO habe ändern dürfen. Gleichzeitig räumte er ein, daß der besuchte Sprachkurs nicht auf die speziellen beruflichen Bedürfnisse abgestimmt gewesen sei. Dieser habe aus dem bestehenden Kursangebot aber das beste für seine beruflichen Belange gemacht.

Durch Einspruchsentscheidung vom … wies das FA den Einspruch als nicht begründet zurück.

Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfülle. Beweismittel im Sinne des § 173 AO sei jedes Erkenntnismittel, das zur Aufklärung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts diene, d. h. geeignet sei, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen.

Neue Tatsachen, die zu einer höheren Steuer führten, dürften dann nicht zu einer Änderung des Steuerbescheids führen, wenn sie das FA bei gehöriger Ermittlung schon vor der Steuerfestsetzung (ggf. im Einspruchsverfahren) hätte feststellen können (vgl. Tipke/Kruse, AO-Kommentar, § 173 AO Tz. 62 m.w.N.).

Im Streitfall müsse aufgrund der erstmals dem FG vorgelegten Unterrichtsmaterialien davon ausgegangen werden, daß der besuchte Kurs kaum berufsbezogene Informationen vermittelt habe, sondern im wesentlichen allgemeinsprachliche Bedürfnisse von Touristen befriedigt habe. Nach diesen Unterrichtsmaterialien könne deshalb nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Befriedigung privater Interessen für den Besuch des Sprachkurses von untergeordneter Bedeutung gewesen sei. Die Aufwendungen für die Sprachreise seien deshalb insgesamt den nichtabziehbaren Kosten der privaten Lebensführung zuzuordnen, auch wenn sie zur Förderung der Tätigkeit des Kl erfolgt seien.

Da der Kl im Einspruchsverfahren gegen den erstmaligen ESt-Bescheid 1995 vom … seiner Mitwirkungspflicht ...

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