Tz. 68

Stand: EL 104 – ET: 12/2021

Die Qualifikation ausl Gesellschaften, die nach dem ZivR eines anderen Staates gegründet wurden und ihre Geschäftsleitung und damit ihren Verwaltungssitz im Inl haben, ist bereits zivilrechtlich nicht unumstritten. Das Internationale Gesellschaftsrecht der B-Rep ist nicht kodifiziert (s Kaligin, Das internationale Gesellschaftsrecht der B-Rep, DB 1985, 1449), was zur Folge hat, dass eine Vielzahl praxisrelevanter Einzelfragen ungeklärt ist.

Einig ist man sich allerdings, dass sich die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft und damit zB auch ihre Rechtsfähigkeit nach ihrem Personalstatut (auch als Gesellschafts- oder Organisationsstatut bezeichnet) richten (sog Einheitstheorie, zB s Urt des BGH v 21.03.1986, BGHZ 1997, 269 mwNachw und s Kaligin, aaO).

Bezüglich der Frage der für die Bestimmung des Personalstatuts einer jur Pers zivilrechtlich maßgeblichen Rechtsordnung stehen indessen nach wie vor mehrere, nachfolgend dargestellte Theorien in der Diskussion (ebenso hierzu s § 12 KStG Tz 107ff).

4.1.1 Gründungstheorie

 

Tz. 69

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Nach der vor allem im anglo-amerikanischen und (früher) sozialistischen Bereich weit verbreiteten Gründungstheorie, die im dt Schrifttum einen eher kleinen Anhängerkreis (zB s Meilicke, RIW 1992, 528) vorweisen kann, untersteht eine Gesellschaft zivilrechtlich grds dem Recht des Staates, in dem sie unter Beachtung der dort geltenden Formvorschriften (rechtswirksam) gegründet wurde. Diese Theorie beruht auf der Expansionsmentalität der betreffenden Staaten, die einhergeht mit dem Wunsch, eigene Rechtspositionen auch nach außen zu missionieren. In Kontinentaleuropa fand man die Gründungstheorie bisher noch zB in den Niederlanden, Spanien, der Schweiz und in Liechtenstein (s Wessel/Ziegenhain, GmbHR 1988, 423).

 

Tz. 70

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Da die einmal erlangte Rechtsfähigkeit nach dieser Theorie zB bei einer Verlegung des Verwaltungssitzes über die Grenze nicht verloren geht, eröffnet die Gründungstheorie die Möglichkeit, durch geschickte Wahl internationaler Unternehmensformen nationale Ordnungsvorschriften zu unterlaufen und die Stellung vor allem der Gesellschaftsgläubiger zu schwächen.

4.1.2 Sitztheorie

 

Tz. 71

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Im Gegensatz zur Gründungstheorie bestimmt die Sitztheorie das Personalstatut und die Rechtsqualität einer Gesellschaft in erster Linie nach dem Recht des Staates, in dem sich ihr Verwaltungssitz befindet und nicht danach, in welchem Land sie gegründet wurde. Verwaltungssitz idS ist der Ort, an dem die für die lfd Geschäftsführung maßgebliche Willensbildung zustande kommt und umgesetzt wird. Ohne Bedeutung ist dabei der Ort, an dem diese Willensbildung letztlich Wirkung entfaltet (s Urt des BGH v 21.03.1986, aaO und OLG Bayern v 07.05.1992, RIW 1992, 674).

 

Tz. 72

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Die Sitztheorie wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in F und D entwickelt und bestimmte seither das bundesdt Gesellschaftsrecht sowie das der meisten westeuropäischen Nachbarländer. Sie hatte sich in der Vergangenheit bei den Gerichten (s Urt des BGH v 21.03.1986, NJW 1986, 2194; v 17.10.1968, BGHZ 51, 27; v 30.01.1970, BGHZ 53, 181; v 05.11.1980, BGHZ 78, 318; s Urt des OLG München v 06.05.1986, DB 1986, 1767; OLG Oldenburg v 04.04.1989 GmbHR 1990, 346 rkr; s Zwischen-Urt des OLG Ffm v 24.04.1990, GmbHR 1990, 353; OLG München v 07.05.1992, GmbHR 1992, 529; und OLG Hamm v 30.04.01997, GmbHR 1997, 848) sowie in der Lit (s Godin/Wilhelmi, Komm zum AktG, Rn 7 zu § 45; Rowedder/Rasner, Komm zum GmbHG, Rn 12 zu § 60; Großfeld in Staudinger, BGB, 12. Aufl Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 29ff; Berg, GmbHR 1997, 1136; und Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16) verfestigt. Zuletzt wurde die Sitztheorie durch BGH (s Urt v 27.10.2008, NJW 2009, 289) im Verhältnis zu Nicht-EG-Staaten ausdrücklich bestätigt.

 

Tz. 73

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Wichtigstes Argument der Befürworter der Sitztheorie war bisher stets, dass diese die Flucht in großzügigere Gesellschaftsstatute und die Einwirkungen ausl Rechtsformen in die inl Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialstruktur verhindert, indem sie ausl Gesellschaften mit inl Verwaltungssitz die zivilrechtliche Anerkennung verweigert. Das BMJ hat in diesem Zusammenhang zwar bereits am 07.01.2008 einen Ges-Entw zum Internationalen Gesellschaftsrecht auf den Weg gebracht, mit dem das Einführungsgesz zum Bürgerlichen Ges-Buch (EGBGB) um Vorschriften mit dem Ziel der Anwendbarkeit des Gründungsrechts auch auf Gesellschaften, Vereine und jur Pers, die nicht der EU oder dem EWR angehören, ergänzt werden sollte. Gegen die damit generelle Geltung der Gründungstheorie wurden aber im politischen Meinungsbildungsprozess Bedenken geäußert, so dass das Vorhaben insoweit bislang nicht umgesetzt ist.

4.1.3 Sonstige Theorien

 

Tz. 74

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Neben der Gründungs- und der Sitztheorie wurden in der Lit noch eine Reihe weiterer Theorien entwickelt, von denen als bekannteste die sog Differenzierungstheorie und die Überlagerungstheorie zu nennen sind. Die Differenzie...

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