Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerberaterhaftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflichten für Widerlegung der Bekanntgabefiktion von Steuerbescheiden. Mithaftung des Mandanten nach Mandatsentzug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein steuerlicher Berater, der für seinen Mandanten einen Steuerbescheid entgegennimmt, muß, wenn der Bescheid ihm später als drei Tage nach dem angeblichen Tag der Aufgabe zur Post (der Ausstellung) zugegangen ist, im Interesse des Mandanten Maßnahmen treffen, die es ihm erlauben, zu dem Tag des Zugangs substantiiert vorzutragen und einem etwa gegenteiligen Standpunkt der Behörde wirksam entgegenzutreten.

2. Bezeichnet die Steuerbehörde unter Hinweis auf den angeblichen Tag der Aufgabe des Steuerbescheides zur Post den von dem steuerlichen Berater eingelegten Einspruch als verspätet, muß jener, wenn er meint, der Bescheid sei von der Behörde später als von ihr angegeben zur Post aufgegeben worden, das Aufgabedatum substantiiert bestreiten, um seinen Pflichten gegenüber dem Mandanten zu genügen.

3. Unterläßt es der steuerliche Berater, die Vorgänge, die die ordnungsgemäße Bearbeitung des übertragenen Mandats belegen, schriftlich festzuhalten, macht er sich allein dadurch nicht schadensersatzpflichtig. Es gehört indessen zur ordnungsgemäßen Bearbeitung eines steuerlichen Mandats, Maßnahmen gegenüber der Steuerbehörde, die zur Rechtswahrung des Mandanten erforderlich sind, beweiskräftig festzuhalten.

4. Entzieht der Mandant dem steuerlichen Berater das Mandat, bevor der Einspruch gegen den Steuerbescheid bestandskräftig als verspätet zurückgewiesen wird, trifft ihn an einem etwaigen Schaden ein Mitverschulden, wenn er nachträglichen Vortrag des früheren Beraters, der für die Rechtzeitigkeit des Einspruches spricht, der Steuerbehörde nicht zur Kenntnis bringt.

 

Normenkette

StBerG § 33; AO § 122 Abs. 2; BGB § 254 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, § 675

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 19.03.1991; Aktenzeichen 12 U 21/90)

LG Stuttgart (Urteil vom 06.12.1989; Aktenzeichen 14 O 445/89)

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten, einen Rechtsanwalt und Steuerberater, der sie im Jahre 1986 steuerlich beraten hat, wegen Verletzung seiner vertraglichen Pflichten auf Schadensersatz in Anspruch.

Mit Schreiben vom 19. August 1986 – beim Finanzamt eingegangen am 20. August 1986 – legte der Beklagte namens der Klägerin gegen die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1982 Einsprüche ein. Beide Bescheide datierten vom 7. Juli 1986. Wann sie dem Beklagten zugegangen waren, ist streitig. Aus den in der Anschrift genannten Praxisräumen war der Beklagte, der sich mit seinem Sozius, dem nunmehr von der Klägerin das Mandat erteilt ist, überworfen hatte, damals bereits ausgezogen. Das Finanzamt wies den Beklagten mit Schreiben vom 28. August 1986 darauf hin, daß seine Einsprüche verfristet seien. Wenig später entzog die Klägerin dem Beklagten das Mandat. Mit Schreiben ihres neuen Steuerberaters vom 19. Dezember 1989 nahm sie – unter gleichzeitiger Stellung eines Änderungsantrages – den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 zurück. Der Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1982 wurde am 31. Januar 1990 zurückgewiesen. Auch der Änderungsantrag hatte keinen Erfolg. Diese Entscheidungen hat die Klägerin hingenommen.

Mit der vorliegenden Klage hat sie geltend gemacht, der Beklagte habe hinsichtlich der inhaltlich unrichtigen Steuerbescheide die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat dahingestellt sein lassen, ob der Beklagte durch sein am 20. August 1986 bei der Finanzbehörde eingegangenes Einspruchsschreiben noch die einmonatige Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO 1977 gewahrt hat. Dem Beklagten sei „nämlich zumindest der Vorwurf zu machen, daß durch seine unzureichende Dokumentation die Klägerin nicht in der Lage war, der Finanzbehörde substantiiert Tatsachen vorzutragen, die den vom Beklagten behaupteten verspäteten Zugang der Bescheide um den 11. August 1986 als schlüssig erscheinen lassen”.

Über die Dokumentationspflicht hat es folgendes ausgeführt: „Zu den Pflichten eines Steuerberaters, der gegen einen Steuerbescheid Einspruch einzulegen hat und aufgrund des aufgedruckten Bescheiddatums erkennen kann, daß der Bescheid nicht am Datumstag zur Post gegeben worden sein dürfte, gehört es …, die Umstände zu dokumentieren, aus denen sich schlüssig eine verspätete Absendung herleiten läßt.”

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Da das Berufungsgericht offengelassen hat, ob die am 20. August 1986 bei der Finanzbehörde eingegangenen Einsprüche nicht vielleicht doch die Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO 1977 – ein Monat nach Bekanntgabe – gewahrt haben, ist dies für die Revision zu unterstellen. Rechtzeitigkeit der Einsprüche vorausgesetzt, können die Bescheide dem Beklagten nicht vor dem 20. Juli 1986 zugegangen sein. Angesichts der darin angegebenen Ausstellungs- (7. Juli 1986) und Fälligkeitsdaten (11. August 1986) mußte er annehmen, daß die Bescheide nach der Ausstellung geraume Zeit liegen geblieben waren, ehe sie zur Post aufgegeben worden waren und/oder daß die Postlaufzeit bis zu zwei Wochen betragen hat. Eine Pflichtverletzung des Beklagten könnte unter diesen Umständen daraus hergeleitet werden, daß er es versäumt hat, dem – wie dann weiter zu unterstellen ist – hinsichtlich der angeblichen Verspätung der Einsprüche verfehlten Standpunkt der Finanzbehörde kraft seines Mandats für die Klägerin wirksam entgegenzutreten.

a) Die Behörde stützte ihre Auffassung, die Einsprüche seien erst nach Fristablauf bei ihr eingegangen, auf die Fiktion der Bekanntgabe in § 122 Abs. 2 AO 1977.

Nach § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Geltungsbereich dieses Gesetzes übermittelt wird, grundsätzlich mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Steht fest, daß – und an welchem Tag – der Verwaltungsakt zur Post aufgegeben worden ist, hilft der Behörde mithin eine gesetzliche Vermutung, daß der Bescheid am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post zugegangen ist. Zugunsten der Behörde wird eine Normalbeförderungsdauer von drei Tagen unterstellt (Kühn/Kutter/Hofmann, AO 16. Aufl. § 122 Anm. 4).

Die Bekanntgabe von Steuerbescheiden durch Aufgabe zur Post nach § 122 Abs. 2 AO 1977 ist – im Gegensatz zu der bis 1976 geltenden Regelung des § 17 VwZG – keine Form der Zustellung, sondern eine im Interesse der Behörde eingeführte vereinfachte, kostensparende Art der Abwicklung bei Massenverfahren (Frotscher, in: Schwarz, AO § 122 Rdnr. 27; Rößler, DStZ 1979, 451). Dementsprechend versagt die Zugangsfiktion, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt als drei Tage nach Aufgabe zur Post zugegangen ist (Nebensatz des Halbsatzes 1); im Zweifel trägt die den Verwaltungsakt absendende Behörde die Beweislast für dessen Zugang (Halbsatz 2).

Die Gesetzeslage bringt es indessen mit sich, daß der Empfänger eines Verwaltungsakts, der der Meinung ist, dieser sei ihm nicht innerhalb der Dreitagefrist zugegangen – sei es, weil die Postbeförderung ausnahmsweise länger gedauert habe, sei es weil der Verwaltungsakt später als an dem angegebenen Tag zur Post aufgegeben worden sei –, diesen Umstand zunächst einmal bestreiten muß. Stellt er den Zugang innerhalb von drei Tagen nach der (an sich feststehenden) Aufgabe zur Post in Abrede, so muß er substantiierte, entweder nach den Umständen des Falles oder nach seinem schlüssigen oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen berechtigte Zweifel an einem am dritten Tage nach Aufgabe zur Post erfolgten Zugang geltend machen (BFH, BStBl 1990 II, 108, 109; v. Wallis, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO 9. Aufl. § 122 Rdnr. 26 ff; Frotscher, aaO § 122 AO Rdnr. 29; Kühn/Kutter/Hofmann, aaO; Tipke/Kruse, AO 13. Aufl. § 122 Rdnr. 23; Klein/Orlopp, AO 4. Aufl. § 122 Anm. 4 c). Bestreitet er, daß der Verwaltungsakt überhaupt oder nicht früher als drei Tage vor dem Zugang zur Post aufgegeben worden ist, so gehen die Meinungen auseinander: Die überwiegende Ansicht verlangt auch hier substantiiertes Bestreiten (HessFG EFG 1985, 215; FG München EFG 1987, 438, 439; Klein/Orlopp, § 122 AO Anm. 4 a); die Gegenmeinung – die darauf verweist, daß es insoweit nicht um die Entkräftung einer gesetzlichen Vermutung gehe und der Empfänger zu behördeninternen Vorgängen, wozu die Aufgabe zur Post zähle, in der Regel gar nicht substantiiert vortragen könne – läßt einfaches Bestreiten genügen (Rößler, DStZ 1979, 451; vgl. auch Frotscher, aaO § 122 AO Rdnr. 27). Welche Meinung den Vorzug verdient, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn im Verhältnis zu seiner Mandantin, der Klägerin, war der Beklagte gehalten, den „sichersten Weg” zu gehen.

Die Pflicht zur Beschreitung des den Umständen nach „sichersten Weges” trifft Rechtsanwälte nicht nur bei der Beratung in allgemeinen Rechtsangelegenheiten (vgl. dazu BGH, Urt. v. 5. November 1987 – IX ZR 86/86, NJW 1988, 486, 487; v. 17. Dezember 1987 – IX ZR 41/86, NJW 1988, 1079, 1080 f), sondern in gleicher Weise bei der steuerlichen Beratung (BGH, Urt. v. 22. Oktober 1987 – IX ZR 175/86, NJW 1988, 563, 566). Der Rechtsanwalt hat die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen. Er muß sein Verhalten so einrichten, daß er Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet. Unter mehreren denkbaren Maßnahmen hat er diejenige zu wählen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und unter mehreren gangbaren Wegen denjenigen, auf dem der Erfolg am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu ernstlich begründeten Zweifeln Anlaß, so muß er auch in Betracht ziehen, daß sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt. Im Streitfall ist er verpflichtet, den Versuch zu unternehmen, die entscheidende Stelle – das Gericht, die Behörde – davon zu überzeugen, daß und warum seine Auffassung richtig ist (BGH, Urt. v. 5. November u. 17. Dezember 1987, aaO). Diese Pflicht gilt entsprechend auch für Steuerberater. Deshalb hatte sich der Beklagte auf die strengeren Anforderungen einzustellen und den Tag der Aufgabe zur Post ebenfalls substantiiert zu bestreiten.

b) Daß es der Beklagte unterlassen habe, gegenüber der Finanzbehörde die Verspätung der Einsprüche substantiiert zu bestreiten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es ist lediglich auf ein Telefongespräch eingegangen, das nach der Behauptung des Beklagten mit der Sachbearbeiterin des Finanzamts geführt worden ist und zu der übereinstimmenden Beurteilung geführt hat, daß die Einsprüche nicht verspätet sind. Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, ob das Telefongespräch stattgefunden hat, und meint, der dahingehende Vortrag des Beklagten sei nicht ausreichend, „nachdem sich in den Steuerakten kein Hinweis auf ein solches Gespräch befindet und die Finanzbehörde weiterhin den 7. Juli 1986 als Absendetag behauptet”. Daraus wird nicht deutlich, ob das Berufungsgericht das prozessuale Vorbringen des Beklagten als unsubstantiiert oder als unschlüssig betrachtet hat. Beides wäre so nicht richtig.

2. Eine weitere Pflichtverletzung des Beklagten könnte sich daraus ergeben, daß er auch keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, die es der Klägerin – etwa nach dem Entzug des Mandats – ermöglicht hätten, das substantiierte Bestreiten durch den Beklagten zu beweisen oder selbst noch substantiiert zu bestreiten.

Um zu einem substantiierten Bestreiten in der Lage zu sein und darüber hinaus den Standpunkt seiner Mandantin möglichst wirksam vertreten zu können, genügte es nicht, daß der Beklagte wußte, wann die Bescheide ihm zugegangen waren. Er mußte vielmehr darauf bedacht sein, das Datum des Zugangs zu „objektivieren”. Deshalb hatte er Maßnahmen zu treffen, die zum Nachweis der Fristwahrung dienen konnten. Davon ist im Grundsatz auch das Berufungsgericht ausgegangen.

a) Wenn es aus der angeblich „unzureichenden Dokumentation” des Beklagten dessen Haftung herleitet, so muß dies freilich Bedenken wecken. Für den Bereich der Anwaltshaftung hat der Bundesgerichtshof lediglich Beweiserleichterungen erwogen, falls der Rechtsanwalt Feststellungen oder Maßnahmen, die er anläßlich der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten trifft, nicht schriftlich niederlegt, obwohl derjenige, dessen Belange er wahrzunehmen hat, die Feststellungen oder Maßnahmen – durch die er in seinen Interessen entscheidend berührt wird – nicht selbst erkennen oder beurteilen kann (BGH, Urt. v. 1. Oktober 1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200, 203 = JZ 1988, 656 m. Anm. v. Giesen; vgl. weiterhin Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht 1989 Rdnr. 503, 524; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung 2. Aufl. S. 113, 130 f; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 3. Aufl. Rdnr. I 142, 270; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2354). Eine selbständige, allgemeine Dokumentationspflicht, deren Verletzung schadensersatzpflichtig macht, ist abzulehnen (ebenso Vollkommer, aaO Rdnr. 524). Auch die Befürworter einer Dokumentationspflicht sehen darin eine typische Hilfspflicht. Dokumentiert werden sollen die Vorgänge, die die ordnungsgemäße Bearbeitung des übertragenen Mandats belegen (Heinemann, aaO). Schadensersatzpflichtig macht gegebenenfalls nur die nicht ordnungsgemäße Bearbeitung des übertragenen Mandats, nicht die unterbliebene oder den Sachverhalt verschleiernde Dokumentation. Diese kann allenfalls zu Beweisnachteilen führen. Soweit es für den Rechtsanwalt geboten erscheint, sich schriftliche Aufzeichnungen zu machen – sei es, um zu den getroffenen Feststellungen oder Maßnahmen später substantiiert vortragen zu können, sei es zur Unterstützung des Gedächtnisses –, ist dies keine „Dokumentation” in dem vorstehend erörterten Sinne; es gehört vielmehr selbst zur ordnungsgemäßen Bearbeitung des Mandats. Das gilt ebenso für den steuerlichen Berater.

b) Die Vorinstanz hat dem Beklagten zur Last gelegt, er „hätte … den mit seinem Eingangsstempel versehenen Steuerbescheid bei seinen Handakten aufbewahren müssen”. Eingehende Post, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, muß – darin ist dem Berufungsgericht recht zu geben – mit einem Eingangsstempel gekennzeichnet werden, oder der Tag des Einganges ist in einem Vermerk festzuhalten (zur entsprechenden Pflicht für Rechtsanwälte vgl. BGH, Beschl. v. 12. März 1969 – IV ZB 3/69, NJW 1969, 1297, 1298; v. 19. Juni 1974 – IV ZB 14/74, VersR 1974, 1099; v. 22. März 1983 – VI ZR 283/82, VersR 1983, 559, 560). Das Berufungsgericht hat aber nicht festgestellt, daß der Beklagte den Tag des Eingangs in seinen Handakten (hinsichtlich derer es für möglich hält, daß sie dem Beklagten abhanden gekommen sind) nicht vermerkt hat. Die eingangs wiedergegebene Formulierung enthält keine Tatsachenfeststellung.

c) Meinungsverschiedenheiten über den Tag des Zugangs einer Postsendung lassen sich oft durch den Poststempel auf dem Briefumschlag ausräumen. Es ist deshalb zumindest empfehlenswert, diesen so lange aufzubewahren, als er noch als Beweismittel dienen kann. Auch hierzu fehlen Feststellungen. Es ist nicht bekannt, ob der Beklagte die – falsch adressierten – Bescheide direkt oder auf Umwegen, mit oder ohne Umschlag erhalten und ob er einen etwa vorhandenen Umschlag zu den Handakten genommen hat oder nicht.

d) Ob der Beklagte – wie das Berufungsgericht meint – im Interesse seiner Mandantin bereits bei Einlegung der Einsprüche die Finanzbehörde hätte darauf hinweisen müssen, daß das Ausstellungsdatum nicht dem Tag der Aufgabe zur Post entsprechen könne, braucht nicht entschieden zu werden. Denn das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß diese Unterlassung für den unstreitig eingetretenen Schaden ursächlich geworden ist.

e) Eine wirksame Reaktion des Beklagten war allerdings spätestens nach Erhalt des Schreibens des Finanzamts vom 28. August 1986 geboten. Darin wies die Behörde unmißverständlich darauf hin, daß sie die Einsprüche für verspätet erachtete, und bat darum, binnen 14 Tagen entweder Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mitzuteilen oder die Einsprüche zurückzunehmen. Indem der Beklagte daraufhin angeblich mit der Sachbearbeiterin des Finanzamts telefonierte (vom Berufungsgericht offengelassen), hat er gegenüber seiner Mandantin noch nicht alles Erforderliche getan. Er war ihr gegenüber verpflichtet, bei der Finanzbehörde substantiiert zu bestreiten – das konnte gegebenenfalls auch fernmündlich geschehen – und weiterhin dafür zu sorgen, daß diese Tatsache (das substantiierte Bestreiten) notfalls, etwa in einer späteren Auseinandersetzung vor Gericht, auch substantiiert vorgetragen werden konnte. Selbst wenn die Sachbearbeiterin der Steuerbehörde bei dem fraglichen Telefongespräch – wie der Beklagte vorgetragen hat – mit ihm einig gewesen sein sollte, daß die Einsprüche eben doch rechtzeitig seien, und das Schreiben vom 28. August 1986 für gegenstandslos erklärt haben sollte, durfte sich der Beklagte nicht darauf verlassen, daß seine Gesprächspartnerin hierüber einen amtlichen Vermerk fertigte und die Behörde fortan entsprechend der neuen Einsicht verfuhr. Das Gespräch konnte dort in Vergessenheit geraten; die Sachbearbeiterin konnte versetzt werden, aus dem Dienst ausscheiden oder versterben. Der Beklagte mußte deshalb selbst einen Vermerk über dieses – für seine Mandantin bedeutsame – Gespräch fertigen und zu seinen Handakten nehmen. Daß sich in den Handakten des Beklagten keine Gesprächsnotiz befindet, hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Allerdings führt es weiter aus, daß der Beklagte „das Gesprächsergebnis der Finanzbehörde (hätte) … zuleiten” müssen. Ob der Beklagte zu einem derartigen „Bestätigungsschreiben” verpflichtet war, erscheint fraglich, kann indessen dahinstehen. Das Berufungsgericht hat weder festgestellt, daß ein „Bestätigungsschreiben” unterblieb, noch hat es aufgeklärt, wie sich die Steuerbehörde verhalten hätte, wenn ihr ein solches Schreiben zugegangen wäre. Es ist demnach nicht nachgewiesen, ob eine etwaige Pflichtwidrigkeit für den Schaden ursächlich geworden ist.

3. Mit dem an den Beklagten gerichteten Vorwurf, er habe „die Klägerin nicht in die Lage versetzt …, substantiiert vortragen zu können, daß durch die am 20. August 1989 (Anm. d.Red: wohl 1986) eingegangenen Einsprüche die Rechtsbehelfsfrist gewahrt worden sei”, könnte das Berufungsgericht auch gemeint haben, der Beklagte habe die Klägerin bei Beendigung des Mandats unzureichend über den Stand der Auseinandersetzung unterrichtet und ihr insbesondere die Kenntnisse vorenthalten, die sie zum erfolgreichen Abschluß benötigt habe.

Diese Kenntnisse erhielt die Klägerin aber spätestens im Verlaufe des vorliegenden Rechtsstreits. Nach dem unbestrittenen Vorbringen des Beklagten waren die Steuerbescheide noch an die frühere Sozietät des Beklagten gerichtet, also mit einer falschen Anschrift ausgestellt. Nach allgemeiner Ansicht reicht dies zur Substantiierung und zur Begründung von Zweifeln gegenüber der „Dreitagevermutung” aus (BFH, BStBl 1962 III, 454, 455; FG Hamburg EFG 1981, 111; Tipke/Kruse, § 122 AO Rdnr. 23; Klein/Orlopp, § 122 AO Anm. 4 c; Gräfe/Lenzen/Rainer, Steuerberaterhaftung 2. Aufl. Rdnr. 185). Da der Klägerin die falsche Adressierung bekannt geworden ist, bevor die Steuerbescheide bestandskräftig wurden – die Entscheidung des Finanzamts über den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1982 datiert vom 31. Januar 1990; den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 hat die Klägerin mit Schreiben vom 19. Dezember 1989 zugunsten eines Antrages auf Änderung des Steuerbescheids fallengelassen –, kann eine etwa unzureichende Information bei Mandatsende für den Schaden nicht ursächlich geworden sein.

In diesem Zusammenhang ist weiter darauf hinzuweisen, daß die Klägerin spätestens durch den jetzigen Prozeßvortrag des Beklagten – rechtzeitig vor der Entscheidung über die Einsprüche – eine Reihe von zusätzlichen Erkenntnissen gewonnen hat, die, falls sie an die Steuerbehörde weitergegeben worden wären, ebenfalls als substantiiertes Bestreiten hätten gewertet werden können und die Steuerbehörde zum Beweise rechtzeitigen Zugangs genötigt hätten. Der Beklagte hat immer behauptet, er habe die streitgegenständlichen Steuerbescheide für das Jahr 1982 zusammen mit den entsprechenden Bescheiden für 1983 erhalten. Dafür gibt ein zweites Schreiben des Finanzamts vom 28. August 1986 einen gewissen Anhalt: Darin hat dieselbe Sachbearbeiterin zu den Steuerbescheiden 1983 mitgeteilt, diese seien (wie die Steuerbescheide 1982) am 11. August 1986 rechtskräftig geworden – obwohl die Steuerbescheide für das Jahr 1983 unstreitig erst am 7. bzw. 8. August 1986 zur Post aufgegeben worden waren. Merkwürdigerweise findet sich dann wieder auf beiden Schreiben vom 28. August 1986 ein möglicherweise von der Sachbearbeiterin des Finanzamts stammender – durch einen Telefonanruf des Beklagten veranlaßter? – handschriftlicher Vermerk „Frist: 11. September 1986”. Ein Fristablauf an diesem Tage könnte auf den 8. August 1986 als Tag der Aufgabe zur Post hindeuten, von dem dann hinsichtlich sämtlicher Bescheide – auch derjenigen für das Jahr 1982 – auszugehen wäre. Es ist nicht festgestellt, daß die Klägerin diese Umstände – und die falsche Adressierung der Bescheide – dem Finanzamt vorgetragen hat.

III.

Das angefochtene Urteil ist mithin aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird festzustellen haben, ob der Beklagte den angeblichen Tag der Aufgabe zur Post oder den Zugang innerhalb der Dreitagefrist gegenüber dem Finanzamt substantiiert bestritten und ob der Beklagte die Vorkehrungen getroffen hat, die erforderlich waren, damit die Klägerin ihrerseits bei der Steuerbehörde mit Erfolg die Rechtzeitigkeit der Einsprüche geltend machen konnte. Gegebenenfalls wird es weiter feststellen müssen, ob die Steuerbescheide, die zu dem Schaden der Klägerin geführt haben, dem Beklagten mehr als einen Monat vor dem 20. August 1986 zugegangen sind.

Da es bei all dem nicht um den Einwand der Erfüllung vertraglicher Pflichten, sondern umgekehrt um eine Pflichtverletzung geht, trifft die Klägerin dafür (BGH, Urt. v. 16. Oktober 1984 – VI ZR 304/82, NJW 1985, 264, 265) – und für die Ursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden (BGH, Urt. v. 1. Oktober 1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200, 203) – die Beweislast.

Gelingt ihr der Beweis, wird die Frage ihres Mitverschuldens zu prüfen sein. Zum Mitverschulden könnte es der Klägerin insbesondere gereichen, daß sie die Einspruchsverfahren nicht erfolgversprechend weiterbetrieben und anschließend den Klageweg nicht beschritten hat. Voraussetzung wäre zwar, daß eine gewisse Erfolgsaussicht bestanden hat. Daran ist aber – wie oben (II 3) bereits ausgeführt worden ist – nicht zu zweifeln. Allerdings kann der rechtliche oder steuerliche Berater, der seine Pflichten vernachlässigt hat, dem Mandanten regelmäßig nicht als Mitverschulden entgegenhalten, daß er selbst dazu hätte in der Lage sein müssen, was der Berater versäumt hat (BGH, Urt. v. 12. März 1986 – IVa ZR 183/84, WM 1986, 675, 677; v. 17. Oktober 1991 – IX ZR 255/90, NJW 1992, 307, 309 z. V. in BGHZ bestimmt; v. 19. Dezember 1991 – IX ZR 41/91, z. V. in BGHR bestimmt). Dieser Grundsatz entbindet den Mandanten aber nicht von der aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fallgruppe 2 BGB herzuleitenden Verpflichtung, nach dem Entzug des Mandats alle ihm möglichen und zumutbaren Schritte zu unternehmen, um den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Da die Klägerin zu einem Zeitpunkt, als die Gefahr eines Schadens bereits offen zutage lag, dem Beklagten die Wahrnehmung ihrer Interessen untersagt und obendrein einen neuen Steuerberater beauftragt hatte – weil sie Grund zu der Annahme zu haben glaubte, der Beklagte habe nicht alles getan, um der Gefahr zu begegnen –, kann sie sich jetzt nicht mehr darauf berufen, sich auf den Beklagten verlassen zu haben. Um so weniger kann sie geltend machen, darauf vertraut zu haben, der Beklagte werde die Einspruchsverfahren weiter – bis zum erfolgreichen Abschluß – fördern. Selbst wenn sie keinen neuen Steuerberater beauftragt hätte, wäre ihr zuzumuten gewesen, die tatsächlichen Umstände, mit denen sich der Beklagte im vorliegenden Verfahren verteidigte, der Einspruchsbehörde zur Kenntnis zu bringen, um die bestandskräftige Zurückweisung ihrer Einsprüche zu verhindern. Bis es dazu kam, hatte der Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit fast alle Tatsachen vorgetragen, die für ein substantiiertes Bestreiten gegenüber der Finanzbehörde wesentlich waren. Lediglich auf deren Schreiben vom 28. August 1986 bezüglich der Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1983 war er noch nicht eingegangen, weil ihm dieses erst im Zuge der in zweiter Instanz gewährten Akteneinsicht bekannt wurde. Indessen kannte der nunmehrige Steuerberater der Klägerin dieses Schreiben und dessen Unrichtigkeit. Denn auf sein Betreiben hin hat das Finanzamt mit Schreiben vom 6. Juli 1987 insoweit seinen Standpunkt berichtigt. Sein Wissen muß sich die Klägerin zurechnen lassen (§ 166 Abs. 1 BGB).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2098717

BB 1992, 731

NJW 1992, 1695

ZIP 1992, 544

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