Leitsatz (amtlich)

Barleistungen an Arbeitnehmer aus Anlaß des 1. Mai sind lohnsteuerpflichtig. Für die Regelung des Abschn. 11 Abs. 2 LStR fehlt die Rechtsgrundlage.

 

Normenkette

EStG §§ 3, 19, 2 Abs. 1; LStDV §§ 2, 4-6; LStR Abschn. 11 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin, eine KG, zahlte jedem ihrer Arbeitnehmer in den Jahren 1963 bis 1967 aus Anlaß des 1. Mai 20 DM, ohne hiervon Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) forderte aufgrund einer Lohnsteuerprüfung für die Mai-Gelder die Lohnsteuer in voller Höhe mit 1 407,25 DM nach. Die KG hielt nur den 8 DM übersteigenden Betrag des Mai-Geldes für lohnsteuerpflichtig und focht den Lohnsteuer-Haftungsbescheid insoweit an, als durch ihn für die Mai-Gelder mehr als 846,07 DM Lohnsteuer von ihr gefordert wurden.

Der Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus, die anläßlich des 1. Mai gezahlten 20 DM stellten Arbeitslohn dar, für den auch die LStR keine Steuerfreiheit vorsähen. Nach dem Wortlaut des Abschn. 11 Abs. 2 LStR handele es sich bei der Barleistung von 8 DM nicht um einen Freibetrag, sondern um eine Freigrenze.

Mit der Revision beantragt die KG zu entscheiden, daß die LStR im Abschn. 11 Abs. 2 nicht verfassungsgemäß seien und somit der unklare Wortlaut als Freibetragsregelung auszulegen sei. Würden die LStR eine Freigrenzenregelung vorsehen, so müßte eine Milderungsklausel für Beträge enthalten sein, die die 8 DM geringfügig überschritten. Grundsätzlich spreche auch gegen eine Freigrenzenregelung die Schlechterstellung aller Arbeitnehmer, die mehr als 8 DM erhielten, da höhere Zahlungen nur dem Staat in Form von Steuern zugute kämen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Bei einem Arbeitnehmer gehören alle Einnahmen, die ihm aus dem Dienstverhältnis zufließen, grundsätzlich zum Arbeitslohn. Als Einnahmen sind alle Güter anzusehen, die in Geld oder Geldeswert bestehen (§ 2 Abs. 1 LStDV). Barleistungen des Arbeitgebers gehören demnach regelmäßig zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Nach den §§ 3 EStG und 4 bis 6 LStDV sind bestimmte Einnahmen von der Lohnsteuer-Pflicht befreit. Für die im Abschn. 11 Abs. 2 LStR angeordnete Steuerfreiheit der Barleistungen aus Anlaß des 1. Mai, wenn sie 8 DM nicht übersteigen, fehlt eine entsprechende Vorschrift im EStG und in der LStDV. Die Aufgabe der LStR besteht darin, der Verwaltung Anweisungen für die Lösung von Zweifels- und Auslegungsfragen zu geben, um eine einheitliche Anwendung des Rechts zu erreichen (Einführung LStR).

Da Verwaltungsanweisungen keine Rechtsnormen sind, binden sie die Steuergerichte nicht, die nach Art. 20 Abs. 3 GG nur an Gesetze und Rechtsverordnungen gebunden sind. Die Gerichte können deshalb Verwaltungsanweisungen weder anwenden noch auslegen. Innerhalb der Richtlinien gibt es allerdings Regelungen, deren rechtliche Qualität über den Rahmen von Verwaltungsanweisungen hinausgeht. Das hat der BFH für rechtsnormähnliche Milderungs- oder Vereinfachungserlasse anerkannt, die auf dem Recht vor dem Inkrafttreten des GG beruhen, in die Richtlinien unverändert übernommen worden sind und mit den Grundsätzen des geltenden Rechts übereinstimmen (Urteile VI 228/60 U vom 15. September 1961, BFH 73, 787, BStBl III 1961, 552, und VI 168/62 S vom 6. Dezember 1963, BFH 78, 520, BStBl III 1964, 198).

Die Regelung im Abschn. 11 Abs. 2 LStR geht zurück auf den Runderlaß des RdF vom 26. April 1939 (S 2174-574 III, RStBl 1939, 653). Nach jenem Erlaß blieben Sonderzuwendungen in Form von Geldbeträgen, die für den 1. Mai gezahlt wurden, einkommensteuer-(lohnsteuer-)frei, wenn sie 3 RM nicht überstiegen. Überschritten sie diesen Betrag, so waren sie in voller Höhe steuerpflichtig. Der Inhalt dieser Regelung ist in die LStR übernommen worden. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen fortgeltenden Milderungserlaß mit rechtsnormähnlichem Charakter. Der RdF hat den Runderlaß nicht auf die §§ 12 und 13 AO a. F. gestützt. Die Fassung der früheren Regelung wurde auch nicht in die LStR übernommen und die Höhe des steuerfreien Betrages seither mehrfach geändert. Materiell steht die Regelung mit den Grundsätzen des geltenden Lohnsteuer-Rechts nicht in Einklang. Außerdem ist nicht auszuschließen, daß der Senat es ablehnen würde, Milderungsregelungen aus der autoritären Zeit noch fortgelten zu lassen und sie für die Steuergerichte weiterhin als verbindlich anzusehen (Hinweis auf BFH-Urteil VI 68/65 vom 11. Juli 1969, BFH 97, 107, BStBl II 1970, 69).

Der BFH hat allerdings anerkannt, daß solchen Verwaltungsanweisungen, die die formellen und sachlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 2 AO erfüllen und Vergünstigungen im Sinne des § 131 Abs. 1 AO gewähren, die rechtliche Erheblichkeit im steuergerichtlichen Verfahren nicht ohne weiteres abgesprochen werden könne (BFH-Urteil I 39/57 U vom 14. August 1958, BFH 67, 354, BStBl III 1958, 409). Derartige Anweisungen stellen u. U. eine Rechtsgestaltung auf Grund der Ermächtigung des § 131 AO dar und verändern materiell den Steueranspruch in seiner Höhe. Nach § 131 Abs. 1 AO umfaßt die Befugnis zum Erlaß von Steuern bei Besitz- und Verkehrsteuern auch das Recht zuzulassen, daß die Steuer niedriger festgesetzt wird oder daß einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuer erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer nicht berücksichtigt werden. Es ist daher möglich, daß eine Verwaltungsregelung derartige Weisungen an die FÄ enthält, ohne daß ausdrücklich auf ihre Rechtsgrundlage hingewiesen wird. Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 Abs. 1 AO setzen aber voraus, daß die Einziehung der Steuer unbillig ist. Der Maßstab der Billigkeit bestimmt Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens der Finanzbehörden (Beschluß des Gemeisamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes GmS-OGB 3/70 vom 19. Oktober 1971, BFH 105, 101, BStBl II 1972, 603). Der Wortlaut des Abschn. 11 Abs. 2 LStR läßt nicht erkennen, aus welchem Grund im Einzelfall die Besteuerung des Maigeldes eine sachliche oder persönliche Härte darstellt, also unbillig sein soll. Auch bei Gruppenregelungen ist auf diesen Einzelfall abzustellen (BFH-Urteil IV R 34/69 vom 9. Juli 1970, BFH 99, 448, BStBl II 1970, 696). Die Regelung im Abschn. 11 Abs. 2 LStR stellt demnach keine Billigkeitsmaßnahme dar, die nach § 131 AO gerechtfertigt sein könnte.

Wenn durch Abschn. 11 Abs. 1 LStR geringfügige Sachzuwendungen des Arbeitgebers aus Anlaß von Betriebsveranstaltungen als nicht steuerpflichtig angesehen werden, so ist darin eine vertretbare Auslegung des Begriffs "geldwerter Vorteil" zu sehen. Die LStR gehen zutreffend davon aus, daß durch derartige betragsmäßig begrenzte Sachzuwendungen der Arbeitnehmer nicht objektiv bereichert wird (BFH-Urteil VI R 136/66 vom 24. Mai 1968, BFH 93, 132, BStBl II 1968, 724). Werden Barleistungen anstelle sonst steuerfreier Sachzuwendungen gewährt und sollen sie zum selben Zweck wie Sachzuwendungen verwendet werden, so werden sie nicht als geldwerter Vorteil betrachtet. Bei Mai-Geldern fehlt diese Zweckbindung. Sie stellen in jedem Fall einen geldwerten Vorteil dar.

Es gibt demnach keinen rechtlichen Grund, von der Erhebung der Lohnsteuer bei der Zahlung des Mai-Geldes abzusehen. Der Senat ist nicht in der Lage, die Verwaltungsanweisung auszulegen und zu der Frage, ob der Betrag von 8 DM ein Freibetrag oder eine Freigrenze darstellt, Stellung zu nehmen. Der von der Klägerin an jeden Arbeitnehmer gezahlte Betrag von 20 DM ist, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, als Einnahme aus dem Arbeitsverhältnis lohnsteuerpflichtig. Die Revision kann daher keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70239

BStBl II 1973, 64

BFHE 1973, 280

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