Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer, Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Angehöriger der Vereinten Nationen (AVN), der die Vergünstigungen nach Art. 6 des Zehnten Teils des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (überleitungsvertrag) in Anspruch genommen hat, darf rückwirkend auf Veranlagungszeitpunkte ab 1. Januar 1953 bei der Vermögensteuer nur den Zeitwert der Vermögensabgabe zum Abzug bringen, der sich nach einem Vierteljahresbetrag errechnet, dem die AVN-Vergünstigungen des überleitungsvertrags zugrunde gelegt sind.

VStG § 4; LAG §§ 56 a, 209; Art. 6 des Zehnten Teils des Vertrags zur Regelung aus Krieg und

 

Normenkette

VStG § 4; LAG §§ 56a, 209; ÜbV 6

 

Tatbestand

Die Abgabepflichtige (Bgin.) ist eine nach deutschem Recht gegründete GmbH, deren Anteile zu 100 v. H. in Händen von Angehörigen der Vereinten Nationen (AVN) sind. Für die Zwecke der Vermögensabgabe hat die Bgin. das ihr nach § 56 a LAG zustehende Wahlrecht durch Erklärung vom 27. April 1956 dahin ausgeübt, daß die Abgabevergünstigungen nach Art. 6 des Zehnten Teils des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der Fassung des Protokolls vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland - im folgenden überleitungsvertrag - (BGBl 1955 II S. 301 (405) zu gewähren sind. Sie ist daraufhin durch Bescheid vom 2. März 1957 mit einem Vierteljahresbetrag von 9.090,20 DM zur Vermögensabgabe herangezogen worden. Der Bescheid ist unanfechtbar.

Zu der Soforthilfeabgabe (SHA) wurde die Bgin. nicht herangezogen, nachdem sie durch Schreiben vom 9. September 1949 unter Berufung auf § 6 des Soforthilfegesetzes (SHG) mitgeteilt hatte, sie sei von der Selbstberechnung der SHA befreit. Im Vertrauen darauf hat sie in der Folgezeit bis zum 1. April 1955 weder SHA- und Vermögensabgabeerklärungen abgegeben noch Zahlungen auf die SHA und die Vermögensabgabe geleistet.

Am 13. Dezember 1954 gab die Bgin. eine Vermögensaufstellung für den Stichtag vom 1. Januar 1954 ab, die sie als vorläufig bezeichnete.

Daraufhin wurde der Einheitswert des Betriebsvermögens der Bgin. auf den 1. Januar 1954 auf 2.289.000 DM fortgeschrieben und das Vermögen nach Abzug des Zeitwerts der Vermögensabgabe in Höhe von 457.237 DM auf 1.831.000 DM neu veranlagt. Die Neuveranlagung fand am 23. Februar 1957, etwa ein Jahr nach der Vermögensabgabeveranlagung statt. Mit dem gegen die Neuveranlagung eingelegten Einspruch beantragt sie, den Zeitwert in Höhe von 547.304 DM zum Abzug zuzulassen. Die voneinander abweichende Höhe des Zeitwerts ergibt sich durch die unterschiedliche Vergünstigung der AVN nach dem LAG und nach dem überleitungsvertrag. Streitig ist im vorliegenden Fall, ob die höhere Vergünstigung des überleitungsvertrags, die zu einer geringeren Vermögensabgabeschuld und damit zu einer höheren Vermögensteuer führt, oder die geringere Vergünstigung des LAG, die im Ergebnis die umgekehrte Wirkung auf die Vermögensteuer hat, bei der Berechnung des Vierteljahresbetrags und des darauf aufgebauten Zeitwerts zugrunde zu legen ist.

Der Steuerausschuß und das Finanzgericht haben sich für den höheren auf Grund der Vergünstigungen des LAG errechneten Zeitwert entschieden.

Das Finanzgericht hat seine Entscheidung damit begründet, am 1. Januar 1954 sei der überleitungsvertrag noch nicht in Kraft getreten gewesen. Ein tatsächlich nach dem Stichtag liegendes Ereignis könne nicht berücksichtigt werden. Bei der Vermögensteuer sei es für die Beurteilung der Verhältnisse am Stichtag grundsätzlich auch ohne Bedeutung, ob ein nach dem Veranlagungszeitpunkt liegendes Ereignis auf die Zeit vor dem Stichtag zurückwirke. Entscheidend für die Abzugsfähigkeit von Steuerschulden sei nicht allein die Tatsache, daß sie im Veranlagungszeitpunkt rechtlich entstanden seien, es komme vielmehr darauf an, ob der Steuerpflichtige mit der Inanspruchnahme habe rechnen können. Außerdem komme noch dazu, daß nach Inkrafttreten des überleitungsvertrags seine Bestimmungen nicht von selbst an die Stelle der Vorschriften des LAG getreten seien. Zunächst sei durch das Fünfte Gesetz zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (5. ändGLAG) vom 20. August 1955 (BGBl 1955 I S. 529), also über 1 1/2 Jahre nach dem Stichtag für die Vermögensteuerneuveranlagung, ein Wahlrecht für den Abgabepflichtigen geschaffen worden. Erst nach dessen Ausübung hätte festgestanden, welche Vergünstigung in Betracht komme. Es würde dem Stichtagsprinzip widersprechen, wenn man das Ergebnis dieser Wahl und die daraufhin erfolgte Vermögensabgabeveranlagung, die über zwei Jahre nach dem Stichtag vom 1. Januar 1954 liege, der Vermögensteuerveranlagung zugrunde legen würde, auch wenn diese selbst erst lange nach der Vermögensabgabeveranlagung vorgenommen worden sei. Mit Recht verneine daher auch die Finanzverwaltung in Abschnitt 32 Abs. 2 der Verwaltungsanordnung zur Ergänzung der Vermögensteuer-Richtlinien 1953 für die Vermögensteuerhauptveranlagung 1957 (VStER 1957) vom 19. November 1957 (BStBl 1957 I S. 530) eine Berücksichtigung der Verminderungen, die sich auf Grund des Achten Gesetzes zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (8. ändGLAG) vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 809) ergeben hätten, auf Feststellungszeitpunkte, die vor dem 1. Januar 1958 liegen, obwohl die Minderungen in diesem Gesetz gleichfalls auf den Währungsstichtag zurückwirken würden.

Das Finanzamt (Bf.) vertritt in der Begründung seiner Rb. die Auffassung, daß bei der Veranlagung der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1954 die Vermögensabgabeschuld mit dem zu diesem Stichtag objektiv ermittelten Wert angesetzt werden müsse. Es habe seinerzeit darüber keine Ungewißheit bestanden, daß der überleitungsvertrag in Kraft treten würde, ungewiß sei nur gewesen, wann dies der Fall sein werde. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Bgin. sich mindestens am 1. Januar 1954 für die Inanspruchnahme der Vergünstigung nach dem überleitungsvertrag entschieden habe. Die spätere Abgabe der Erklärung über die Ausübung des Wahlrechts habe nur formelle Bedeutung gehabt. Aus Abschn. 32 Abs. 2 VStER 1957 könne für den Streitfall keine entsprechende Folgerung gezogen werden. Die Abgabepflichtigen hätten am 1. Januar 1957 weder den genauen Inhalt des 8. ändGLAG gekannt noch hätten sie damit rechnen können, daß die geplanten änderungen des LAG vom Bundestag so beschlossen werden würden, wie sie im Entwurf vorgesehen gewesen seien. Der überleitungsvertrag sei jedoch in allen Einzelheiten, was die Vergünstigung der AVN bei der Vermögensabgabe beträfe, bereits seit 1952 bekannt gewesen. Es sei im übrigen kein Fall bekanntgeworden, in dem ein mit einem ausländischen Staat getroffenes Abkommen nicht von den maßgebenden Körperschaften im ursprünglichen Umfang ratifiziert worden wäre.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

I. - Nach § 4 des Vermögensteuergesetzes (VStG) in der auf Grund des § 227 LAG geltenden Fassung ist bei der Veranlagung zur Vermögensteuer das Gesamtvermögen der unbeschränkt Steuerpflichtigen mit dem Wert anzusetzen, der sich nach den §§ 73 bis 77 BewG ergibt, wenn die Lastenausgleichsabgaben nach Maßgabe des § 209 LAG berücksichtigt werden. Gemäß § 209 Nr. 1 LAG ist die Vermögensabgabe bei der Ermittlung des Vermögens für die Vermögensteuer auf Veranlagungszeitpunkte ab 1. Januar 1953 mit ihrem jeweiligen Zeitwert abzuziehen. Der Abzug der Vermögensabgabeschuld erfolgt, da die Vermögensabgabe eine persönliche Steuer ist, nicht beim Betriebsvermögen, sondern beim Gesamtvermögen. In § 207 Nr. 1 LAG wird dies ausdrücklich klargestellt. Dies gilt auch für die Bgin. als einer Kapitalgesellschaft.

Der jeweilige Zeitwert nach § 77 Abs. 1 Nr. 2 LAG für Zeitpunkte ab 1. April 1952 ist die Summe des sich für den maßgebenden Zeitpunkt, im vorliegenden Fall für den Neuveranlagungszeitpunkt, ergebenden Zeitwerts der auf die Vermögensabgabe noch zu entrichtenden, noch nicht fälligen Vierteljahresbeiträge und der in diesem Zeitpunkt rückständigen Beträge an anzurechnender SHA und an Vierteljahresbeträgen der Vermögensabgabe. Grundlage der Berechnung sind in allen Fällen die Vierteljahresbeträge, die sich ihrer Höhe nach grundsätzlich aus der Vermögensabgabeveranlagung ergeben. Aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 208 Nr. 1 und 209 Nr. 1 LAG ergibt sich, daß bei den Vermögensteuerveranlagungen ab 1. Januar 1953 der Zeitwertberechnung keine Hilfswerte zugrunde gelegt werden.

Der überleitungsvertrag wurde zusammen mit anderen Zusatzverträgen zu dem Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten am 26. Mai 1952 unterzeichnet. Das Zustimmungsgesetz zu diesem Vertrag wurde am 28. März 1954 im BGBl 1954 II S. 57 verkündet. Das Gesetz betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregime in der Bundesrepublik Deutschland, das die Regelung über die AVN-Vergünstigungen unverändert übernahm, ist im März 1955 verkündet worden (BGBl 1955 II S. 213). Nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden ist das Protokoll vom 23. Oktober 1954 am 5. Mai 1955 in Kraft getreten (BGBl 1955 II S. 628). Daraus ist zu entnehmen, daß der überleitungsvertrag zwar schon lange vor dem Stichtag vom 1. Januar 1954 unterzeichnet worden war, aber erst nach ihm in Kraft getreten ist. Die Regelung der AVN-Vergünstigung beim Lastenausgleich, die in Art. 6 des Zehnten Teils des überleitungsvertrags enthalten ist, wirkt jedoch ihrem sachlichen Inhalt nach auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des LAG zurück.

Außer dem überleitungsvertrag sind in dem Zeitraum zwischen den beiden Hauptveranlagungen 1953 und 1957 nach dem 1. Januar 1953, soweit es für den vorliegenden Streitfall von Bedeutung ist, mit rückwirkender Kraft die änderung des § 47 durch das Zweite Gesetz zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (2. ändG-LAG) vom 24. Juli 1953 (BGBL 1953 I S. 692), die änderung der §§ 206 und 208 durch das Dritte Gesetz zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (3. ändGLAG) vom 24. Juli 1953 (BGBl 1953 I S. 693), die Ermäßigung der HGA für Berliner Grundbesitz um ein Drittel (ß 146 a LAG) durch das Vierte Gesetz zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (4. ändGLAG) vom 12. Juli 1955 (BGBl 1955 I S. 403) und § 56 a durch das 5. ändGLAG a. a. O. eingeführt worden.

Die Schwierigkeiten, die sich aus nachträglichen änderungen der Vierteljahresbeiträge der Vermögensabgabe auf Grund von geänderten Vorschriften des LAG ergeben, haben die VStER 1957 in Abschn. 32 Abs. 2 und der koordinierte Ländererlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen S 3283 - 7 - V C 1 vom 1. März 1962 (BStBl 1962 II S. 72) dadurch zu beseitigen gesucht, daß sie die änderungen des LAG bei der Ermittlung des Zeitwerts der Vermögensabgabe jeweils erst für eine Vermögensteuerveranlagung zu einem Stichtag zulassen, der nach dem Inkrafttreten des änderungsgesetzes liegt. Diese für die Vermögensteuerpflichtigen günstige Regelung läßt außer Betracht, ob die LAG-änderung mit rückwirkender Kraft eingeführt wurde. Da diese Richtlinien erst zum Hauptveranlagungszeitpunkt vom 1. Januar 1957 Geltung haben, außerdem Verwaltungserlasse keine die Steuergerichte bindenden Rechtsnormen darstellen, braucht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Streitfall auf sie nicht näher eingegangen zu werden.

II. - Gegen die Rückwirkung der Regelung über die AVN-Vergünstigung im überleitungsvertrag und diejenige des § 56 a LAG bestehen keine Bedenken.

Von den erwähnten änderungen des LAG ist die rückwirkende änderung des § 47 LAG im wesentlichen begünstigender Art. Sie hat eine Ermäßigung der Vermögensabgabeschuld und dementsprechend bei der Vermögensteuer eine Erhöhung zur Folge. Die rückwirkende änderung der §§ 206 und 208 LAG hat zum Teil begünstigende, zum Teil aber auch verbösernde Wirkung gehabt. Der erkennende Senat hat in dem Urteil III 158/58 S vom 6. November 1959 (BStBl 1960 III S. 17, Slg. Bd. 70 S. 40) in eingehender Begründung die rückwirkende Regelung des Abzugs der Kreditgewinnabgabe (KGA) statt der Umstellungsgrundschulden bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948 für verfassungsgemäß bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluß vom 14. November 1961 - 2 BvR 345/60 - (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 13 S. 215) die gleiche Auffassung vertreten und ausgesprochen, daß "zwingende Gründe des allgemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen". Die rückwirkende Einfügung des § 146 a in das LAG ist begünstigend bei der HGA, wirkt sich aber verbösernd bei der Vermögensabgabe und der Vermögensteuer aus. Die AVN-Vergünstigung nach dem überleitungsvertrag und das Wahlrecht nach § 56 a LAG sind als eine einheitliche Regelung zu betrachten. Gegenüber den Vergünstigungen im LAG sind die Vergünstigungen des überleitungsvertrags teils noch günstiger, teils aber auch weniger günstig. Durch das Wahlrecht soll aber gewährleistet werden, dem AVN die Möglichkeit zu geben, die in seinem Fall absolut günstigere Regelung für sich in Anspruch zu nehmen.

Es ist anerkannten Rechts, daß es dem Gesetzgeber freisteht, begünstigende Regelungen mit rückwirkender Kraft auszugestalten. Es ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich, im Gegensatz zu den rückwirkend belastenden Steuergesetzen (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 -, BVerfGE Bd. 13 S. 261, BStBl 1962 I S. 486). Dies muß auch in den Fällen gelten, in denen eine begünstigende Auswirkung von Gewicht bei der einen Steuer zwangsläufig eine verbösernde Wirkung von geringerem Gewicht bei einer anderen Steuer nach sich zieht. Diese zweiseitige Auswirkung ist zwangsläufig. Soweit die Vermögensteuer und andere Steuern in Betracht kommen, handelt es sich dem Grunde nach um keine echte Rückwirkung, da diese sich unmittelbar nur auf das LAG bezieht. Die Folgewirkungen bei den anderen Steuern beruhen unmittelbar nicht auf einer Rückwirkungsbestimmung, sondern auf denjenigen Vorschriften, die die Abzugsfähigkeit der Lastenausgleichsabgaben oder eines Teils der Vierteljahresbeträge vorsehen.

III. - Das Stichtagsprinzip bei der Vermögensteuer hindert aber auch nicht die mittelbare Auswirkung einer vom Gesetzgeber gewollten unmittelbaren Rückwirkung für eine das LAG betreffende Regelung.

In den Fällen der änderung des § 47 LAG wurden aus dem Umstand, daß das 2. ändGLAG erst nach dem Stichtag vom 1. Januar 1953 in Kraft getreten ist, keine Folgerung in der Richtung gezogen, daß die änderung keine Berücksichtigung bei der Vermögensteuer finden dürfe; bei der Veranlagung der Vermögensabgabe wurden die Kriegsschäden nur nach Maßgabe des geänderten § 47 LAG berücksichtigt. Nur der sich daraus ergebende Vierteljahresbetrag wurde der Zeitwertberechnung für die Zwecke des Abzugs der Vermögensabgabe bei der Vermögensteuer nach § 209 LAG zugrunde gelegt.

Hinsichtlich der rückwirkenden Einfügung des § 146 a LAG hat der erkennende Senat entschieden, daß die HGA mit Rückwirkung auf den Stichtag vom 1. Januar 1953 nur in der geminderten Höhe zugelassen werden kann (Urteil III 12/59 U vom 7. Dezember 1961, BStBl 1962 III S. 154, Slg. Bd. 74 S. 413).

Im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Nachprüfung der rückwirkenden änderung der §§ 206 und 208 LAG durch das 3. ändGLAG hat das Bundesverfassungsgericht in seinem oben angeführten Beschluß vom 14. November 1961 dazu ausgeführt, es wäre mit der Aufgabe des Gesetzgebers, eine sachgerechte Lösung zu finden und dadurch dem Rechtsfrieden zu dienen, unvereinbar, wollte man ihm stets verbieten, ein Stichtagsgesetz, dessen systemwidrige und unbillige Regelung erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen könne, durch eine bessere Vorschrift zu ersetzen. An dieser Rechtslage hat sich durch das Urteil des erkennenden Senats III 45/57 U vom 14. Februar 1958 (BStBl 1958 III S. 222, Slg. Bd. 66 S. 574) nichts geändert, wonach in den Fällen, in denen die die KGA übersteigenden Umstellungsgrundschulden bereits rechtskräftig zum Abzug zugelassen worden sind, keine änderung der rechtskräftigen Bewertung erfolgen könne. Der Senat hat dazu in seiner oben angeführten Entscheidung III 158/58 S ergänzend ausgeführt, daraus folge nicht, daß auch in noch nicht rechtskräftigen Fällen die höheren Umstellungsgrundschulden statt der KGA zum Abzug zugelassen werden müßten.

Im Schrifttum wird, soweit es sich um noch nicht durchgeführte oder noch nicht rechtskräftige Vermögensteuerveranlagungen handelt, vorherrschend die gleiche Auffassung vertreten (Weckerle-Dürschke, Vermögensteuergesetz, 3. Aufl., § 4 Anm. 4 S. 136; Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Bd. 2, § 4 VStG, Anm. 36, der diese Auffassung, wie sich aus den übrigen Ausführungen ergibt, stillschweigend als selbstverständlich voraussetzt). Das Finanzgericht stützt sich zur Rechtfertigung seiner Entscheidung auf die im Text einschränkende und in der Anm. Nr. 3 wohl ablehnende Auffassung von Troll (Deutsche Steuer-Rundschau 1957 S. 123). Hier wird zu wenig berücksichtigt, daß in denjenigen Fällen, in denen der Gesetzgeber für eine bestimmte Steuer eine vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus nicht zu beanstandende Rückwirkung angeordnet hat, davon, wenn nichts anderes vorgeschrieben ist, das Stichtagsprinzip mit Willen des Gesetzgebers mittelbar auf Grund der Vorschriften über die Abzugsfähigkeit betroffen wird. Ist eine Rückwirkung Rechtens und als solche auch mit ihren unmittelbaren Auswirkungen gewollt, so muß sie mit allen Folgerungen als Rechtsnorm vom Richter beachtet werden (vgl. Art. 97 des Grundgesetzes - GG -).

IV. - Bei der Ausübung des Wahlrechts waren die Vor- und Nachteile bei der Gesamtheit der in Betracht kommenden Steuern zu berücksichtigen. Ob die Auswirkungen der AVN-Vergünstigung nach dem LAG oder nach dem überleitungsvertrag günstiger sind, richtet sich nicht nur nach der Auswirkung bei der Vermögensabgabe, sondern auch nach den weiteren Auswirkungen bei den übrigen Steuern, insbesondere bei der Vermögensteuer und Einkommensteuer. Hat sich ein AVN für die Inanspruchnahme der Vergünstigungen nach dem überleitungsvertrag entschieden, so liegt darin auch in der Regel eine Inkaufnahme der Beeinträchtigung bei der Vermögensteuer. Es kann als Wille des Gesetzgebers unterstellt werden, daß genauso wie der Gesetzgeber eine Kumulierung der Vergünstigungen bei der Vermögensabgabe verhüten wollte, diese Kumulierung auch nicht im Verhältnis zu den anderen Steuern eintreten sollte. Auf der einen Seite würde der AVN in seinem Wahlrecht beeinträchtigt werden, wen er durch die Vermögensteuerveranlagung gezwungen würde, eine bestimmte Vergünstigung wählen zu müssen, auf der anderen Seite sollte es ihm aber auch nicht ermöglicht werden, die höchstmöglichen Vergünstigungen unabhängig voneinander sowohl bei der Vermögensabgabe wie bei der Vermögensteuer für sich in Anspruch nehmen zu können. Genauso wie die Rückwirkung als solche einheitlich gegenüber der Vermögensabgabe und der Vermögensteuer Geltung hat, muß auch im Grundsatz die rückwirkende Ausübung der Wahl durch den AVN einheitlich bei der Vermögensabgabe und Vermögensteuer zur Auswirkung kommen.

V. - Die AVN-Regelung des überleitungsvertrages war bei den Abgabepflichtigen, die davon Gebrauch machen konnten, allgemein bekannt. Es konnte auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, daß die Regelung in unveränderter Form rückwirkend Gesetz würde.

Für das SHG hatten seinerzeit die Militärregierungen erreicht, daß die AVN von der SHA befreit wurden (ß 6 SHG). Ende 1950 leiteten die Militärregierungen erneut Verhandlungen mit dem Ziele ein, Vergünstigungen auch bei der Heranziehung von AVN zu den Lastenausgleichsabgaben zu erhalten. Mit der Unterzeichnung des überleitungsvertrags vom 26. Mai 1952 wurde in der Folgezeit noch vor dem Inkrafttreten des LAG der Inhalt der Vereinbarungen allgemein bekannt. In der Begründung zum überleitungsvertrag ging man von der Vorstellung aus, daß die AVN-Vergünstigungen zweckmäßig in das LAG übernommen werden sollten. Der Bundestag wollte jedoch eigene Wege gehen und hat in der zweiten Lesung des Plenums den § 56 und in der dritten Lesung den § 26 in den Entwurf des LAG eingefügt (Antrag Nr. 564, Wortprotokoll vom 16. Mai 1952, S. 9382). Der Bundestag hat dann noch im Jahre 1952 einen von sämtlichen Parteien gestellten Antrag eingebracht, der nur die wahlweise Inanspruchnahme der Vergünstigungen des LAG oder der vertraglichen Abmachung vorsah (Bundestagsdrucksache Nr. 3560 der 1. Wahlperiode). Somit stand damit bereits im Jahre 1952 auch fest, daß die vertraglich vereinbarten Vergünstigungen für die AVN auch vom Bundestag genehmigt werden würden. Das formelle Zustimmungsgesetz vom 28. März 1954 hat dies bestätigt. In übereinstimmung mit dieser Einstellung des Bundestags hat die Finanzverwaltung in mehreren grundlegenden Erlassen Regelungen getroffen, die auf die AVN-Vergünstigungen nach dem überleitungsvertrag durch Stundungen Rücksicht nahm und, soweit dies nach der Natur der Sache nicht möglich war, die Berücksichtigung dieser Vergünstigungen bereits als endgültige Regelung vorschrieb (vgl. Tz. 9 des Runderlasses des Bundesministers der Finanzen vom 8. August 1952 - LA 8200 - 110/52 - betreffend überleitung der SHA in die Vermögensabgabe, BStBl 1952 I S. 625; Runderlaß des Bundesministers der Finanzen vom 26. Juni 1953 - LA 2410 - 3/53 - betreffend Zeitwertberechnung nach § 77 LAG bei sofortiger Fälligkeit im Konkurs und wegen Gefährdung des Abgabenanspruchs, BStBl 1953 I S. 257). Auch im einschlägigen Schrifttum wurde auf die AVN-Vergünstigung nach dem LAG und dem überleitungsvertrag hingewiesen (vgl. u. a. Kühne, Vergünstigungen für Angehörige der Vereinten Nationen und für Rückerstattungsvermögen bei den Lastenausgleichs-Abgaben, Der Betriebs-Berater 1952 S. 685). Da die Stundung der Tz. 9 des Runderlasses vom 8. August 1952 nur gewährt werden durfte, wenn die Voraussetzungen für die Vergünstigungen entweder des LAG oder des überleitungsvertrags glaubhaft gemacht wurden, war ein AVN gezwungen, sich über die Voraussetzungen im einzelnen Klarheit zu verschaffen, da sonst die Vorauszahlungen auf die Vermögensabgabe mit dem 1. April 1952 einsetzten. Schließlich haben die Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1953 in Abschn. 91 Abs. 4 für Sonderfälle auf § 2 der Zeitwertverordnung als Grundlage für die Berechnung des Zeitwerts hingewiesen. Als Sonderfall wurde dabei ausdrücklich auch der Fall genannt, bei dem es sich um AVN handelte. Da dieser Hinweis ohne zeitliche Einschränkung gegeben worden ist, liegt Grund vor, anzunehmen, daß er bereits schon für die Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1953 und für Neu- und Nachveranlagungen auf den 1. Januar 1954 und 1955 galt und nicht est für spätere Stichtage gelten sollte.

Es trifft zwar zu, daß der überleitungsvertrag erheblich später nach dem Stichtag auf den 1. Januar 1954 in Kraft trat, es trifft aber auch zu, wie der Bf. mit Recht bemerkt, daß am 1. Januar 1954 nur zweifelhaft war, wann, nicht aber, daß der überleitungsvertrag in Kraft treten werde. Auch der Umstand, daß nach Ergehen des überleitungsvertrags noch das 5. ändGLAG abgewartet werden mußte, ist von keiner entscheidenden Bedeutung. Wie bereits erwähnt, war der Entwurf über das Wahlrecht schon im Jahre 1952 im Bundestag eingebracht worden. Der Entwurf mußte, nachdem die erste Wahlperiode inzwischen zu Ende gegangen war, erneut eingebracht werden, was aber nur formelle Bedeutung und eine verhältnismäßig nur kurze Verzögerung zur Folge hatte. Gegenüber dieser zeitlichen Verzögerung wurde die schon vorher an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß der überleitungsvertrag Gesetz werden würde, nicht beeinträchtigt.

VI. - Im vorliegenden Streitfall hat die Bgin. bereits mit Schreiben vom 9. September 1949 auf ihre AVN-Eigenschaft hingewiesen und die ihr daraus herzuleitenden Rechte bei der SHA in Anspruch genommen. Durch die Tatsache, daß sie während des ganzen Befreiungszeitraumes bis zum 31. März 1955 weder eine Erklärung abgab noch eine Zahlung geleistet hat, hat sie stillschweigend zu erkennen gegeben, daß ihr, deren Anteile am maßgebenden Stichtag sich zu 100 v. H. in Händen von AVN befanden, die Befreiung von der Entrichtung der Vierteljahresbeträge in den ersten sechs Jahren der Laufzeit der Vermögensabgabe zu gewähren wären. Die spätere Erklärung der Bgin. hat das, was sie schon in den vorangegangenen Jahren tatsächlich für sich in Anspruch nahm, formell nur bestätigt. Es wäre auch nicht zu verstehen, daß eine mitten im Wirtschaftsleben stehende AVN von den Vergünstigungen im einzelnen, an deren Gewährung die AVN stärkstens interessiert waren, keine Kenntnis gehabt hätte, wie das Finanzgericht annehmen möchte. Die Bgin. hat auch eine solche Unkenntnis nicht vorgebracht. Da bei der Bgin. keine Besonderheiten vorlagen, bestanden auch keine Berechnungsschwierigkeiten. Wirtschaftlich war deshalb das Vermögen der Bgin. bereits zum 1. Januar 1954 mit einem Zeitwert der Vermögensabgabe belastet, der sich aus einem auf der AVN-Vergünstigung nach dem überleitungsvertrag errechneten Vierteljahresbetrag ergab. Bei einer Veräußerung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1954 hätte die Bgin. einen höheren Kaufpreis verlangen können, der sich aus einem Vermögen ergeben hätte, bei dem der niedrigere Zeitwert auf Grund der AVN-Vergünstigung nach dem überleitungsvertrag zum Abzug gekommen wäre. Sie hätte auch diesen Kaufpreis nach den damaligen Umständen erhalten.

VII. - Der Steuerausschuß hat der Berechnung des Zeitwerts einen Vierteljahresbetrag zugrunde gelegt, der sich aus der Veranlagung zur Vermögensabgabe nicht ergibt. Da § 209 LAG erstmals auf den Hauptveranlagungszeitpunkt vom 1. Januar 1953 abgestimmt ist, wie dies entsprechend bei § 208 LAG erstmals auf den Hauptveranlagungszeitpunkt auf den 1. Januar 1949 der Fall war, konnte es nicht Sinn der Regelung des § 209 LAG sein, daß an Stelle des Pauschsatzes von 35 v. H. des Vermögens nunmehr ein Zeitwert auf Grund fiktiver Vierteljahresbeträge zum Abzug gelangen sollte. Die Regelung geht davon aus, daß bis zur Vermögensteuerveranlagung auf den 1. Januar 1953 die Vermögensabgabeveranlagung soweit durchgeführt ist, daß der veranlagte Vierteljahresbetrag zur Berechnung des Zeitwerts bei der Vermögensteuer zur Verfügung stand. In gleicher Weise wurde in den Fällen der rückwirkenden änderung des § 47 LAG verfahren. Wäre diese gegenseitige, dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Abstimmung nicht erfolgt und wären bei der Vermögensteuerveranlagung fiktive Vierteljahresbeträge bei der Berechnung des Zeitwerts verwendet worden, so wäre gerade dadurch das Ziel der gesetzlichen Regelung vereitelt worden. Es hätte dazu geführt, daß über den fiktiven Vierteljahresbetrag im Rahmen der Vermögensteuerveranlagung ein Rechtsmittelverfahren über die Heranziehung zur Vermögensabgabe und deren Berechnung hätte in Gang gebracht werden können, während unter Umständen ein zweites Rechtsmittelverfahren den gleichen, möglicherweise auch einen anderen Vierteljahresbetrag zum Gegenstand gehabt hätte. Ein solches Ergebnis hätte der vom Gesetzgeber geschaffenen und gewollten Rechtslage widersprochen.

Die Vorentscheidungen unterlagen demnach der Aufhebung. Die Sache ist spruchreif. Der Einspruch ist als unbegründet zurückzuweisen und die ursprüngliche Vermögensteuerveranlagung, der der Abzug eines Zeitwerts in Höhe von 457.237,06 DM zugrunde liegt, wiederherzustellen. Bedenken gegen die Berechnung des Zeitwerts sind nicht vorgebracht worden und auch nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411240

BStBl III 1964, 470

BFHE 1964, 650

BFHE 79, 493

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