Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnsteuer-Haftung für nebenberufliche Kirchenmusiker

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Rentamt, dem die Besoldung der nebenberuflichen Kirchenmusiker der Kirchengemeinden seines Amtsbezirks übertragen ist, hat die lohnsteuerlichen Pflichten des Arbeitsgebers.

2. Bei der Besoldungsgrenze des § 40 a Abs. 3 EStG sind Vorbereitungszeiten nicht zu berücksichtigen, wenn diese nach dem Dienstvertrag nicht entlohnt werden.

3. Wird der Arbeitgeber als Haftender in Anspruch genommen, so muß das Finanzamt - außer bei Regreßverzicht des Arbeitgebers - seine Ermessenserwägungen spätestens in der Einspruchsentscheidung darlegen. Ein entsprechender Mangel kann noch im Revisionsverfahren gerügt werden.

 

Normenkette

EStG 1975 § 38 Abs. 1, 3, § 40a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Rentamt für bestimmte Kirchengemeinden. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 9 seiner Satzung ist es u. a. auch für die Besoldungen sowie die Abwicklungen der Steuerabzüge und Sozialversicherungsangelegenheiten für die in den zu seinem Amtsbezirk gehörigen Kirchengemeinden angestellten nebenberuflichen Kirchenmusiker zuständig.

Anläßlich einer Lohnsteueraußenprüfung im Mai 1977 wurde ausschließlich bemängelt, daß die an die Organisten und Chorleiter der einzelnen Kirchengemeinden gezahlten Bezüge mit pauschal 10% der Lohnsteuer unterworfen worden waren. Der Kläger ist der Auffassung, daß diese Handhabung dem § 40 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 entspricht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hält diese Pauschalierung für unzulässig, weil die Vergütung dieser nebenberuflichen Kirchenmusiker in den Streitjahren durchschnittlich höher als 12 DM je Arbeitsstunde gewesen sei.

Die nebenberuflichen Kirchenmusiker werden von den Gemeinden berufen und angestellt. Sie schließen mit ihnen jeweils ,,einen Privatdienstvertrag" ab, der der kirchenaufsichtlichen Genehmigung bedarf. . . Der Privatdienstvertrag regelt die Dienstvergütung, den jährlichen Erholungsurlaub und die Beendigung des Dienstverhältnisses durch Kündigung (§§ 3 bis 6 des Privatdienstvertrages). Für die Höhe der Dienstvergütung sind die von der Kirchenleitung der Kirche in . . . beschlossenen sog. Vergütungsrichtlinien für nebenberufliche Kirchenmusiker maßgebend, die nach Eignungsnachweis und Dienstzeiten gestaffelte Vergütungssätze festsetzen.

Das FA hat den Kläger wegen der nach seiner Auffassung für die nebenberuflichen Kirchenmusiker in Höhe von . . . DM für die Streitjahre nachzuerhebende Lohnsteuer nach § 42 d Abs. 1 EStG durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen, ohne indessen darauf hinzuweisen, warum es ihn - den Kläger - als Haftenden und nicht die betreffenden Arbeitnehmer als Steuerschuldner heranziehe. Das FA hat in dem Bescheid statt der bisherigen 10%igen nunmehr eine 28,2%ige Pauschalbesteuerung der Bezüge durchgeführt. Der hiergegen vom Kläger eingelegte Einspruch wurde vom FA als unbegründet zurückgewiesen. Der hierzu erlassene Einspruchsbescheid enthält ebenfalls keine Ermessenserwägungen, die die Heranziehung des Klägers als Haftenden begründen.

Mit seiner Klage gegen die genannten Verwaltungsakte hatte der Kläger keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab hierzu in seinem Urteil vom 15. November 1979 IX 173/77 (abgedruckt in den Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 241) folgende Begründung: Der Kläger sei zu Recht nach § 42 d, Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe des genannten Betrages als Haftender in Anspruch genommen worden. Obwohl nach bürgerlichem Recht nicht der Kläger, sondern die einzelnen Kirchengemeinden Arbeitgeber der Kirchenmusiker gewesen seien, hafte er doch für die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer. Denn ihm sei die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuern der nebenberuflichen Kirchenmusiker übertragen worden. Damit oblägen ihm gegenüber den nebenberuflichen Kirchenmusikern und dem FA die mit dem Lohnsteuerabzug verbundenen Pflichten einschließlich der Arbeitgeberhaftung. Entgegen dem nunmehrigen Vortrag des Klägers seien die nebenamtlichen Kirchenmusiker auch in den einzelnen Kirchengemeinden unselbständig tätig gewesen. Dies ergebe sich sowohl aus dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit als auch dem eigenen Verhalten des Klägers, der schließlich die pauschalierte Lohnsteuer für diese Personen an das FA abgeführt habe. Im übrigen habe das FA auch zu Recht die Zulässigkeit der Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 EStG für den Streitfall verneint. . . Der Kläger räume selbst ein, daß nur bei Einbeziehung von Vorbereitungszeiten die durchschnittliche Stundenvergütung der nebenberuflichen Kirchenmusiker weniger als 12 DM betrage. Die Einbeziehung von Vorbereitungszeiten scheitere indessen schon daran, daß sie vom Kläger nicht aufgezeichnet worden seien. Zudem seien die nebenberuflichen Kirchenmusiker - wie allgemein im Arbeitsleben üblich - nur für die tatsächlich in Ausübung ihrer kirchenmusikalischen Veranstaltung geleisteten Dienste und nicht auch für Vorbereitungszeiten bezahlt worden. Es könne zwar nicht ausgeschlossen werden, daß für die Ausübung dieser kirchenmusikalischen Dienste eine Vorbereitung erforderlich sei, deren Dauer indessen je nach der Begabung und dem Ausbildungsstand des einzelnen Kirchenmusikers von verschiedener Zeitdauer sein könne. Möglicherweise sei diese Vorbereitung auch bei der Festsetzung der Vergütungssätze pauschal berücksichtigt worden. . .

Mit seiner hiergegen erhobenen Revision rügt der Kläger in formeller Hinsicht, daß das FG entgegen seinem ausdrücklichen Antrag keinen Beweis darüber erhoben habe, daß die Ausübung des Dienstes eines Kirchenmusikers eine Vorbereitungszeit erfordere. . .

Darüber hinaus sei das FG-Urteil auch deshalb aufzuheben, weil es gegen materielles Recht verstoße und auf diesem Verstoß beruhe. Denn das FG habe den § 40 a Abs. 3 EStG unrichtig angewandt . . .

Aber auch dann, wenn das FG die Voraussetzung einer Pauschalierung nicht für gegeben erachtete, hätte es der Klage deshalb stattgeben müssen, weil hier die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers gemäß § 42 d Abs. 3 Satz 2 EStG, nämlich die Inanspruchnahme ,,nach pflichtgemäßem Ermessen", nicht vorgelegen habe. . . Der Haftungsbescheid sei eine Ermessensentscheidung der Behörde. In diesem Fall gebiete § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Prüfung, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig sei, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei. Das finanzgerichtliche Urteil sei schon deshalb aufzuheben, weil sich aus ihm ergebe, daß eine derartige Prüfung vom FG nicht vorgenommen worden sei. Darüber hinaus sei seine, des Klägers, Inanspruchnahme als Haftungsschuldner auch deswegen unzulässig, weil er sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe. Denn bei ihm hätte auch schon früher eine Lohnsteueraußenprüfung stattgefunden, bei der das hier beanstandete Verfahren nicht gerügt worden sei . . .

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz.

1. Das FG ist - wie mit der Revision auch nicht angegriffen - zu Recht davon ausgegangen, daß die nebenberuflichen Kirchenmusiker Arbeitnehmer der Kirchengemeinden und damit nichtselbständig i. S. des § 19 Abs. 1 EStG tätig gewesen sind. Die sich hieraus nach § 38 Abs. 1 und 3 EStG für den Arbeitgeber ergebende Verpflichtung, auf die im einzelnen gezahlten Lohnbeträge Lohnsteuer einzubehalten und an das zuständige FA abzuführen, trifft indessen nicht die einzelnen Anstellungsgemeinden, sondern nach § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG - wie ferner unstreitig ist - aufgrund der eingangs erwähnten innerkirchlichen Organisation (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 9 der genannten Satzung) den Kläger. Dieser wäre daher nach § 40 a Abs. 1 Nr. 2 EStG auch berechtigt, eine Pauschalierung der Lohnsteuer in Höhe von 10% des Arbeitslohnes vorzunehmen, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Es müßte sich danach bei den Arbeitsverträgen mit den einzelnen Kirchenmusikern um Beschäftigungen in geringem Umfang und gegen geringen Arbeitslohn gehandelt haben. Letzteres ist nach § 40 a Abs. 3 EStG indessen nicht mehr gegeben, wenn der Arbeitslohn während der Beschäftigungsdauer 12 DM durchschnittlich je Arbeitsstunde übersteigt

Diese Grenze ist - auch nach dem Vortrag des Klägers in der Revisionsinstanz - im Streitfall nur dann nicht überschritten, wenn man die gezahlten Lohnbeträge nicht lediglich auf die tatsächlich im kirchenmusikalischen Dienst geleisteten Arbeitsstunden der Kirchenmusiker verrechnet, sondern in die Betrachtung auch die für die einzelnen Musiker möglicherweise unterschiedlichen, in bestimmtem Umfange meist unerläßlichen Vorbereitungszeiten einbezieht.

Daß eine derartige Einbeziehung von Vorbereitungszeiten hier nicht möglich ist, hat das FG zutreffend dargelegt. Denn nach seinen Feststellungen, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat der Kläger aufgrund der mit den einzelnen Kirchenmusikern abgeschlossenen Privatdienstverträge die Musiker nicht für die gegebenenfalls erforderlichen Vorbereitungszeiten, sondern nur für die tatsächlich gegenüber den einzelnen Kirchengemeinden erbrachten Zeiten der Musikausübung entlohnen wollen.

Diese Ausführungen der Vorinstanz stellen eine rechtlich mögliche Würdigung des Sachverhalts dar, die, da hierbei die Notwendigkeit von Vorbereitungszeiten unterstellt werden kann, eine Vernehmung des Sachverständigen erübrigte.

2. Gleichwohl mußte die angefochtene Vorentscheidung aufgehoben werden. Denn der Kläger hat - wenn auch erstmals im Revisionsverfahren - gerügt, daß das FA seine Ermessenserwägungen nicht im Haftungsbescheid dargelegt hat, warum es ihn und nicht die nebenamtlich tätigen Musiker als Arbeitnehmer und somit als Steuerschuldner in Anspruch genommen hat. Eine solche Rüge ist im Revisionsverfahren zulässig, weil hiermit eine Rechtsfrage angeschnitten wird. Sie ist auch begründet. Denn Ermessenserwägungen sind weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung des FA enthalten. Auch ist das FG hierauf nicht eingegangen.

Wie der Senat im Urteil vom 18. September 1981 VI R 44/77 (BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801) ausgeführt hat, muß das FA, wenn es den Arbeitgeber als Haftungsschuldner für nichteinbehaltene Lohnsteuer in Anspruch nehmen will, im Haftungsbescheid oder spätestens in der Entscheidung über den Einspruch gegen den Haftungsbescheid seine Ermessenserwägungen darlegen, weshalb es den Arbeitgeber als Haftungsschuldner und nicht den Arbeitnehmer als Steuerschuldner in Anspruch nimmt. Denn nur so ist es den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit nach § 102 FGO möglich, zu überprüfen, ob die beklagte Verwaltungsbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten oder ob sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Trotz des mangelnden Hinweises auf die Ausübung des Ermessens durch das FA sieht sich der Senat außerstande, die angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben. Denn er hat in dem Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 72/82 (BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170) eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Angabe der Ermessenserwägungen dann zugelassen, wenn der Betroffene erklärt hat, daß die Berrechnungsmethode der strittigen Lohnsteuer von ihm nie in Frage gestellt worden sei, und wenn er außerdem darlegt, daß eine Regreßnahme bei den Arbeitnehmern nie zur Erörterung gestanden habe. Im Streitfall ist nicht erkennbar, ob solche Erklärungen vom Kläger abgegeben worden sind. Die Vorentscheidung ist daher nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, damit die Vorinstanz im einzelnen nachprüft, ob die vorgenannten Ausnahmetatbestände hier vorliegen.

Darüber hinaus wird die Vorinstanz noch zu prüfen haben, ob hier im Sinne des Urteils in BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170 insofern ein weiterer, die Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden rechtfertigender Ausnahmetatbestand gegeben ist, als der nacherhobene Lohnsteuerbetrag auf eine Vielzahl von Arbeitnehmern entfällt, die alsdann nur verhältnismäßig geringfügige Steuerbeträge nachzuentrichten hätten, so daß der hierfür erforderliche Verwaltungsaufwand die Einzelerhebung der Steuerbeträge unzumutbar erscheinen läßt. Da dem Urteil der Vorinstanz entsprechende Feststellungen über die Anzahl der in Betracht kommenden Arbeitnehmer fehlen, vermag der Senat hierauf - ohne die danach erforderlichen Feststellungen der Vorinstanz - nicht einzugehen.

Soweit der Kläger sich im Revisionsverfahren darauf beruft, daß seine Inanspruchnahme im Hinblick auf die Grundsätze von Treu und Glauben deshalb nicht gerechtfertigt sei, weil das FA bei früheren Lohnsteueraußenprüfungen die Handhabung bei den nebenamtlich tätigen Kirchenmusikern nicht beanstandet habe, ist dieses Vorbringen unbegründet. Denn bei früheren Lohnsteueraußenprüfungen stellten sich die hier angesprochenen Fragen nicht, weil die nebenamtlichen Kirchenmusiker bis zum 31. Dezember 1974 stets als selbständig angesehen worden waren. Der Kläger war vom FA ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die Kirchenmusiker ab 1. Januar 1975 als Arbeitnehmer zu behandeln sind.

Nach alledem war die Vorentscheidung nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dabei wird dieses - sofern danach die Heranziehung des Klägers als Haftenden gerechtfertigt erscheint - ferner noch die zur Erhebung und Bemessung einer Pauschalsteuer in den Urteilen des Senats in BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170, und vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79 (BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 483) entwickelten Grundsätze zu beachten haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413904

BFH/NV 1986, 492

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