Leitsatz (amtlich)

1. Das Revisionsgericht ist – wie das FG – grundsätzlich an die im Revisionsurteil des I. Rechtsgangs vertretene Rechtsauffassung gebunden, und zwar auch, wenn es sich um die Entscheidung eines – damals zuständigen – anderen Senats handelt.

2. Die Bindung besteht auch insoweit, als das Revisionsgericht eine Vorschrift für verfassungsgemäß hielt, selbst wenn es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit nicht ausdrücklich einging.

 

Normenkette

AO a.F. § 296 S. 4; FGO § 126 Abs. 5

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im II. Rechtsgang.

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, war im Streitjahr 1955 in Berlin mit der Herstellung von Damenoberbekleidung tätig. Sie arbeitete nicht unmittelbar für den Absatzmarkt, sondern im Auftrag von Gewerbetreibenden. Durchschnittlich beschäftigte sie dabei in ihren eigenen Räumen 26 fremde Hilfskräfte und gab Arbeit an 12 Heimarbeiter weiter.

Bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrages versagte das FA der Steuerpflichtigen die nach § 11 Abs. 3 GewStG 1955 beantragte, den Hausgewerbetreibenden zustehende Ermäßigung der Steuermeßzahlen auf die Hälfte.

Die hiergegen eingelegte Sprungberufung blieb erfolglos.

Auf die Rechtsbeschwerde der Steuerpflichtigen hob der damals zuständige I. Senat des BFH die Entscheidung durch das Urteil I 98/60 U vom 4. Dezember 1962 (BFH 76, 393, BStBl III 1963, 144) auf. Er verwies die Sache an das Verwaltungsgericht (VG) zurück und führte in Übereinstimmung mit einer Stellungnahme des BdF und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung aus, nach § 11 Abs. 3 GewStG 1955 in Verbindung mit § 22 GewStDV 1955 werde die Vergünstigung nur Hausgewerbetreibenden und Zwischenmeistern im Sinne des Heimarbeitsgesetzes (HAG) vom 14. März 1951 (BGBl I 1951, 191) oder solchen Personen gewährt, die den Hausgewerbetreibenden nach § 1 Abs. 2b oder d HAG, nicht dagegen auch nach § 1 Abs. 2c HAG durch die in § 1 Abs. 4 HAG vorgesehene Bekanntmachung der zuständigen Stelle gleichgestellt worden seien.

Beschäftige eine Person Betriebsarbeiter und Heimarbeiter, so sei zu unterscheiden: Sei sie nicht auch als Vermittler (Zwischenmeister) aufgetreten, bildeten also die beiden Tätigkeiten eine untrennbare Einheit, so habe sie nur nach § 1 Abs. 2 Buchst. c HAG gleichgestellt werden können, sei also die Vergünstigung zu versagen. Habe sie dagegen eine (trennbare) Doppelfunktion als Hausgewerbetreibender und als Zwischenmeister aus geübt, so sei sie sowohl nach § 1 Abs. 2 Buchst. b HAG als auch nach § 1 Abs. 2 Buchst. d HAG in Verbindung mit § 11 Abs. 3 GewStG und § 22 GewStDV begünstigt. Aber auch in diesem Falle komme hier eine Vergünstigung nur für den auf die Tätigkeit als Zwischenmeister entfallenden Teil, nicht auch für den auf die Tätigkeit als Hausgewerbetreibender entfallenden Teil in Betracht, weil nicht – wie erforderlich – bei beiden Gesellschafttern die Voraussetzungen eines Hausgewerbetreibenden vorlägen. Die Feststellungen des VG, daß die Gesellschaftterin X. nicht wesentlich am Stück mitgearbeitet habe, begegne keinen Bedenken.

Nach der Zurückverweisung gab das VG der Steuerpflichtigen auf, im einzelnen darzulegen, welche Aufträge und von welchen Auftraggebern sie im Streitjahr 1955 erhalten habe, wie sie diese Arbeiten auf die Heimund Betriebsarbeiter verteilt habe, welche Umsätze im Jahre 1955 durch die Mitarbeit der Betriebsarbeiter und welche Umsätze durch die Tätigkeit der Heimarbeiter erzielt worden seien und wie sich die Betriebsausgaben auf die beiden Tätigkeitsarten verteilt hätten. Die Steuerpflichtige erklärte, sie habe im Jahre 1955 für drei Auftraggeber gearbeitet. Für alle seien sowohl Betriebsarbeiter als auch Heimarbeiter tätig gewesen. Eine Aufteilung der Entgelte nach Heimarbeit und Betriebsarbeit sei nicht möglich. Einen Hinweis könnten lediglich die gezahlten Löhne geben.

Das VG wies die Berufung erneut als unbegründet zurück. Es führte aus, eine Gleichstellung der Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 2 Buchst. b und d HAG mit der Folge der steuerlichen Vergünstigung scheide aus, da die Steuerpflichtige nicht Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister gewesen sei, also nicht zweierle trennbare Tätigkeiten ausgeübt habe, sondern als andere (im Sinne von § 1 Abs. 2 HAG) im Lohnauftrag arbeitende Gewerbetreibende sowohl Betriebsarbeiter als auch Heimarbeiter beschäftigt habe. Sie habe selbst erklärt, eine Aufteilung der Tätigkeit und Entgelte nach Heimarbeit und Zwischenmeistertätigkeit sei nicht möglich. Auch die Erklärungen, die die Steuerpflichtige in Erfüllung der Auflage des FG vom 16. Mai 1963 abgegeben habe, ließen erkennen, daß die Steuerpflichtige die beiden Tätigkeitsbereiche der Gesellschaft in keiner Weise voneinander getrennt habe und daß sie selbst auch ihre Tätigkeit für ihre Auftraggeber als Einheit aufgefaßt habe. Die Tatsache, daß sie weder angeben könne, wie sie die von ihren Auftraggebern eingegangenen Arbeiten auf die Heim- und Betriebsarbeiter verteilt habe, noch in der Lage sei, die erzielten Umsätze oder die Betriebsausgaben nach den beiden Tätigkeitsbereichen aufzugliedern, lasse nur den Schluß zu, daß sie ein Gewerbe betrieben habe, daß ihre gesamte Tätigkeit mithin als untrennbare Einheit aufgefaßt werden müsse. Allein die Tatsache, daß sie zwei Gruppen von Personen, nämlich Heim- und Betriebsarbeiter beschäftigt habe, um die übernommenen Aufträge auszuführen, reiche nicht aus, um sie als Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister mit getrennten oder wenigstens trennbaren Funktionen anzuerkennen.

Die Steuerpflichtige legte Rechtsbeschwerde ein, die sie wie folgt begründet. Die Auslegung, daß Personen, die sowohl Betriebsarbeiter als auch Heimarbeiter beschäftigten, ohne als Zwischenmeister aufzutreten, unter § 1 Abs. 2 Buchst. c HAG einzuordnen und nach §§ 11 Abs. 3 GewStG, 22 GewStDV nicht begünstigt seien, sei unrichtig. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein Unterschied gemacht werde, je nachdem, ob ein Hausgewerbetreibender 38 Betriebsarbeiter oder 26 Betriebsarbeiter und 12 Heimarbeiter beschäftige. Die letzteren seien nicht als Heimarbeiter im Sinne des HAG anzusehen, auch wenn sie als solche bezeichnet zu werden pflegten, sondern als Außenarbeiter. Wie widerspruchsvoll die vom Gericht erfolgte Einordnung sei, sei aus folgendem Beispiel zu ersehen. Ein Hausgewerbetreibender, der wegen beschränkter räumlicher Verhältnisse nur zwei Betriebsarbeiter beschäftige, am Stück mitarbeite und sonst alle Voraussetzungen erfülle, könnte dann nicht nach Buchst. b gleichgestellt werden, wenn er noch zwei Heimarbeiter beschäftige. Bei einem Gewinn von 6 000 DM bis 8 000 DM sei er bestimmt schutzbedürftig. Ein anderer Unternehmer aber, der 28 Betriebsarbeiter, aber keine Heimarbeiter beschäftige, unter Umständen hochwertige Maschinen unterhalte und einen Gewinn von 30 000 DM erziele, sei nach Buchst. b gleichzustellen und genieße sämtliche Vergünstigungen. Der IV. Senat des BFH habe daher auch in einem derartigen Fall die Vergünstigung gewährt (Urteil IV 154/61 U vom 7. Februar 1963, BFH 76, 399, BStBl III 1963, 146).

Das FA ist der Ansicht, das FG sei an die Rechtsauffassung des BFH im I. Rechtszug gebunden gewesen. Es habe ohne Fehler festgestellt, daß eine untrennbare und daher unter § 1 Abs. 2 Buchst. c HAG einzuordnende, nicht begünstigte Tätigkeit vorgelegen habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die jetzt als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

I. Nach dem Urteil des damals zuständigen I. Senats des BFH im I. Rechtsgang hatte das VG nach Zurückverweisung zu prüfen, ob die Steuerpflichtige sowohl die Tätigkeit eines Hausgewerbetreibenden als auch die eines Zwischenmeisters ausübte oder aber eine einheitliche gewerbliche Tätigkeit, bei der die einzelnen Bestandteile nicht voneinander getrennt werden konnten. Nach der Rechtsauffassung des damals erkennenden I. Senats war im Falle der sogenannten „Doppelfunktion” als Hausgewerbetreibender und Zwischenmeister die Vergünstigung zu gewähren, dagegen im Falle einer einheitlichen Tätigkeit zu versagen.

Das VG ist im Wege der ihm allein als Tatsachengericht zustehenden Tatsachenwürdigung zu dem Schluß gekommen, daß hier eine Trennung zwischen den Tätigkeiten als Hausgewerbetreibender (Beschäftigung von Werkstattarbeitern) und als Zwischenmeister (Weitergabe an Heimarbeiter) nicht erfolgen könne, also die Begünstigung zu versagen sei, wobei es auf die Frage der Mitarbeit nicht mehr ankam. Diese Würdigung ist nach § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend. Verfahrensfehler sind nicht gerügt. Verstöße gegen die Denkgesetze und Erfahrungssätze sind nicht erkennbar.

II. Die rechtliche Beurteilung der vom VG festgestellten und gewürdigten Tatsachen entspricht der Rechtsansicht des I. Senats, die er der Aufhebung und Zurückverweisung im I. Rechtsgang zugrunde gelegt hatte.

1. An diese Rechtsauffassung war nicht nur das VG gebunden; sie ist grundsätzlich auch vom Revisionsgericht in einem weiteren Rechtsgang zu beachten (§ 296 Abs. 4 AO a. F., § 126 Abs. 5 FGO; BFH-Urteile VI 304/64 U vom 23. April 1965, BFH 82, 666, BStBl III 1965, 487; III 201/64 vom 22. April 1966, BFH 86, 229, BStBl III 1966, 363; V 113/65 vom 17. November 1966, BFH 67, 231, BStBl III 1967, 103; VI R 24/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 182, BStBl III 1967, 317; VI 393/65 vom 29. September 1967, BFH 90, 501, BStBl II 1968, 183; V R 123/68 vom 17. April 1969, BFH 95, 558, BStBl II 1969, 505).

2. Diese Bindung gilt auch, wenn zwischen den Entscheidungen im I. und im II. Rechtsgang die Zuständigkeit zwischen den Senaten des BFH gewechselt hat (BVerwG, NJW 1966, 798, HFR 1967, 254).

3. Die Gesellschaft deutet an, daß die Regelung des § 22 GewStDV das Gesetz ändere und eine Ungleichheit schaffe. Das wirft das bisher noch nicht völlig geklärte Problem auf, ob auch in einem solchen Fall, wo es um die Nichtigkeit einer Rechtsnorm geht, die Selbstbindung des BFH gilt. Der VI. Senat des BFH hat die Frage in den Urteilen VI R 24/66 und VI 393/65 dahingestellt gelassen. In dem letzteren Urteil hat er ausgeführt, es sei fraglich, ob durch das Wort „Beurteilung” in § 296 AO a. F. und § 126 Abs. 5 FGO nicht schon zum Ausdruck komme, daß nur ausdrückliche Äußerungen Bindungskraft haben könnten, während stillschweigende rechtliche Unterstellungen in den Urteilsgründen weder das FG noch den BFH im weiteren Verfahren binden könnten. Wenn es um die Verfassungswidrigkeit einer Norm gehe, könnte man darüber hinaus erwägen, ob nicht in solchen Fällen die Bindungskraft einer Entscheidung entfalle oder wenigstens enger begrenzt werden müsse. Nach § 79 Abs. 2 BVerfGG habe, wenn der Gesetzgeber nicht etwas anderes bestimme, der Ausspruch der Nichtigkeit einer Norm durch das BVerfG Wirkung für alle noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhten, gleichviel, ob es sich um Verfahren der abstrakten oder der konkreten Normenkontrolle (§ 82 Abs. 1 BVerfGG) handele. Diese Regelung im BVerfGG könnte für die Auffassung sprechen, daß die Verfassungsmäßigkeit einer Norm als eine Frage des dem einfachen Recht übergeordneten Verfassungsrechts in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu prüfen sei.

Das BVerfG hat in dem Beschluß 2 BvL 49/69 vom 23. Juni 1970 (HFR 1970, 448) entschieden, daß das Gericht der unteren Instanz an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts auch hinsichtlich verfassungsrechtlicher Fragen gebunden sei, und zwar selbst dann, wenn das Revisionsgericht die Frage nicht ausdrücklich geprüft, sondern an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm offensichtlich keinen Zweifel gehabt habe. Der Senat stimmt dem zu. Er ist darüber hinaus der Auffassung, daß auch der BFH an seine frühere Rechtsauffassung gebunden ist. Die Bedenken des VI. Senats, die übrigens ebenso gegen eine Bindung des FG bestünden, teilt der Senat nicht. Wenn eine Bindung grundsätzlich bejaht wird, ist kein Grund ersichtlich, weshalb ein Urteil, das als falsch erkannt ist, geändert werden könnte, wenn der Fehler auf einer Verkennung des Verfassungsrechts beruht, dagegen nicht, wenn er auf eine Verkennung einfachen Rechts zurückzuführen ist. Ist auch das Verfassungsrecht vorrangig, so ist doch für das hier zu entscheidende Problem davon auszugehen, daß die Folgen sich nicht nach der Art des vorletzten Rechts unterscheiden können. Für den betroffenen Beteiligten spielt es keine Rolle, aus welchen Gründen er unterliegt, sondern nur, daß er unterliegt, obschon die im I. Rechtsgang niedergelegte Rechtsansicht zweifelhaft sein mag.

4. Es ist – auch unter den verschiedenen obersten Bundesgerichten – streitig, ob eine Bindung des Revisionsgerichts besteht, wenn es inzwischen seine Rechtsprechung geändert hat (vgl. hierzu den BFH-Beschluß II 104/62 vom 5. Mai 1970, BFH 99, 109, BStBl II 1970, 574, der eine Klärung dieser Frage innerhalb des BFH durch den Großen Senat erstrebt).

Der Steuerpflichtige weist auf das Urteil des erkennenden IV. Senats IV 154/61 U hin, das einen ähnlich gelagerten Fall behandelt und in dem zwar ebenfalls die Ansicht vertreten wurde, daß die Begünstigung solchen Gewerbetreibenden zu gewähren sei, die sowohl die Tätigkeit eines Hausgewerbetreibenden als auch diejenige eines Zwischenmeisters ausübten, auch wenn die Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 Buchst. c HAG erfolgt sei, jedoch hinzufügte, auf die Trennbarkeit der Tätigkeit komme es nicht an.

Es ist fraglich, ob der IV. Senat in diesem Urteil von dem Urteil des I. Senats abweichen wollte. Dagegen spricht, daß er das Urteil ausdrücklich erwähnte, sich aber nicht mit ihm auseinandersetzte. Es liegt nahe anzunehmen, daß der IV. Senat in dem ihm vorliegenden, einfacher gelagerten Falle glaubte, davon ausgehen zu können, daß eindeutig beide Tätigkeiten ausgeübt worden waren, während der I. Senat im hier streitigen Falle noch weitere Aufklärungen für erforderlich hielt. Das kann indessen ebenso dahingestellt bleiben, wie die Frage, ob eine Bindung des Revisionsgerichts durch eine zwischenzeitliche Änderung seiner Rechtsprechung entfällt. Denn die im Interesse der Rechtssicherheit erforder liche Bindung des Revisionsgerichts an seine eigene frühere Entscheidung kann – wenn überhaupt – nur dann aufgehoben werden, wenn es sich in der Tat um eine Änderung der Rechtsprechung handelt, wenn also die bisherige Rechtsprechung überprüft und auf Grund neuer Erwägungen geändert wurde. Davon kann aber hier keine Rede sein. Beide Senate entschieden fast gleichzeitig eine bisher ungeklärte Frage. Wenn sie dabei abweichende Ansichten vertreten haben sollten, so kann nicht gesagt werden, daß der etwa zwei Monate später entscheidende IV. Senat die Rechtsprechung des I. Senats geändert habe.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 209

BFHE 1971, 36

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