Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein allgemeines Verbot der Rückwirkung von Steuergesetzen ist nicht gegeben.

Ein dem positiven Recht übergeordneter, die Rückwirkung von Steuergesetzen verbietender allgemeiner Grundsatz ist nicht anzuerkennen.

Etwaige Mängel der Verordnung vom 17. Juli 1948 sind durch § 17 des Gesetzes vom 3. Juni 1949 rückwirkend geheilt.

AO § 2, FDVO vom 17. Juli 1948 (StuZBl. 1948 S. 159). Gesetz des Wirtschaftsrates vom 3. Juni 1949 (StuZBl. 1949 S. 143) § 17.

 

Normenkette

AO § 2

 

Tatbestand

Wegen des Sachverhalts wird auf den Bescheid des Senats vom 3. Februar 1951 Bezug genommen. Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat Anberaumung der mündlichen Verhandlung gemäß § 294 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) beantragt. Sie bemängelt in ihrem Schriftsatz vom 19. Februar 1951, daß der Bescheid zur Frage der verbösernden Rückwirkung von Steuergesetzen nicht ausreichend Stellung genommen habe und die Feststellung, § 17 des Gesetzes des Wirtschaftsrats vom 3. Juni 1949 verstoße nicht gegen überpositive Normen, der Begründung entbehre.

 

Entscheidungsgründe

Die erneute Beratung hat dem Senat keine Veranlassung gegeben, von der in seinem Bescheid vertretenen Rechtsauffassung abzugehen.

Eine Rückwirkung von Rechtsnormen im wörtlichen Sinne gibt es nicht. Es handelt sich bei der sogenannten Rückwirkung vielmehr um die Bestimmung des Gesetzgebers, daß in der Vergangenheit liegende Tatbestände so zu beurteilen sind, als wären sie erst unter der Herrschaft des neuen Gesetzes eingetreten. In Schrifttum und Rechtsprechung ist grundsätzlich anerkannt, daß der Gesetzgeber, ausgenommen auf dem Gebiet des Strafrechts (nulla poena sine lege, § 2 des Strafgesetzbuches - StGB -), anordnen kann, ob ein neuer Rechtssatz nur für die Zukunft Wirkung auslösen oder auf bereits vor seinem Ergehen bestehende Rechtsverhältnisse Anwendung finden soll. Für das Zivilrecht ist dies ausgesprochen z. B. von Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Gesetzbuches, 30. - 34. Auflage 1928, S. 124, ferner in dem Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone vom 1. Juli 1948 ZS 9/48 (SJZ 1949 Spalte 407). Im Bereich des Verwaltungsrechts bekennen sich grundsätzlich zu derselben Auffassung u. a. Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Auflage Tübingen 1928 S. 88, Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Auflage Berlin 1931 S. 142, Herrnritt, Grundlehren des Verwaltungsrechts, Tübingen 1921 S. 113, Nebinger, Verwaltungsrecht Allg. Teil, II. Auflage 1949 S. 177, Peters, Lehrbuch der Verwaltung, Berlin 1949 S. 81, Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I. Bd., München und Berlin 1950 S. 121. Hierbei wird von einigen Schriftstellern z. B. Fleiner, a. a. O. S. 90, ausgesprochen, daß der Rückwirkung im öffentlichen Recht breiterer Raum zukomme als im Privatrecht. Auch das über die Rechtsgültigkeit der Verordnung des Direktors der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 17. Juli 1948 und des § 17 des Gesetzes des Wirtschaftsrates vom 3. Juni 1949 erstattete Rechtsgutachten des Instituts "Finanzen und Steuern" erkennt an, daß der Gesetzgeber (außer auf dem Gebiet des Strafrechts) nicht gehindert ist, seine Gesetze mit rückwirkender Kraft auszustatten. Allerdings müsse sich der Gesetzgeber trotz seiner grundsätzlichen Freiheit in der Bestimmung des Zeitpunktes für das Inkrafttreten seiner Gesetze aus rechtsstaatlichen Erwägungen Schranken unterwerfen, wenn er nicht gegen überpositivrechtliche Normen verstoßen wolle. Das sowohl im Zivilrecht wie in Steuerrecht kein allgemeiner, dem positiven Recht übergeordneter Grundsatz anzuerkennen ist, der die Rückwirkung von Gesetzen verbietet, ist bereits im Vorbescheid ausgeführt. Es ist allerdings richtig, daß in verschiedenen Aufsätzen aus neuerer Zeit, die die Bfin. zur Stütze ihrer Auffassung über die Rechtsungültigkeit der Verordnung vom 17. Juli 1948 bzw. des § 17 des Gesetzes vom 3. Juni 1949 heranzieht, die Frage der verbösernden Rückwirkung anders beurteilt wird. Hier sind besonders zu erwähnen, Haver (Blattei, Handbuch Rechts- und Wirtschaftspraxis 14 Steuerrecht D Allg. Einzelfragen 52) und Friedrich, "Die Rückwirkung im Steuerrecht" (Steuer und Wirtschaft 1951 S. 81). Ersterer nimmt ein Recht des Steuerpflichtigen (Stpfl.) an, in dem jeweils erlaubten Rahmen vor der Steuer auszuweichen, und wirft die Frage auf, ob dieses Recht nicht als Grundrecht anerkannt werden müsse. Die Existenz eines solchen Rechts ist jedoch vom Verfasser nicht überzeugend dargetan und kann, da auch sonstige Gründe für die Annahme eines solchen Rechts nicht ersichtlich sind, nicht anerkannt werden. Friedrich glaubt, Bestimmungen der Reichsabgabenordnung wie §§ 96, 222 und § 3 Absatz 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) den allgemeinen Gedanken des Verbotes der Rückwirkung von Steuergesetzen entnehmen zu können. Dem ist nicht zuzustimmen. Weder aus § 3 Absatz 1 a. a. O. noch aus den Bestimmungen der Reichsabgabenordnung ist ein allgemeines Verbot der Rückwirkung von Steuergesetzen zu begründen. Es ist also nach geltendem Recht davon auszugehen, daß die Rückwirkung von Steuergesetzen nicht ausgeschlossen ist. Allerdings trifft es zu, daß die Rückwirkung von Rechtsnormen gerade auf dem Gebiet des Steuerrechts erhebliche Nachteile hat, weil sie in das Planen und Disponieren des Stpfl. störend eingreift und unter Umständen die Initiative insbesondere des wirtschaftlichen Menschen hemmt. Diese Erwägungen sollten zwar den Gesetzgeber veranlassen, von seiner Befugnis zum Erlaß rückwirkender Normen nur unter besonderen Umständen, z. B. zur Abwendung von Notständen in Krisen und Notzeiten, Gebrauch zu machen. Im geltenden Recht ist aber eine derartige rechtliche Beschränkung des Gesetzgebers nicht enthalten. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Rechtsgültigkeit des § 17 des Gesetzes des Wirtschaftsrates vom 3. Juni 1949 sind daher nicht begründet, die Sanktionierung der Verordnung vom 17. Juli 1948 durch § 17 des Gesetzes vom 3. Juni 1949 ist erfolgt.

Die Rechtsbeschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 Absatz 1 AO, die Festsetzung des Streitgegenstandes auf § 320 a. a. O.

 

Fundstellen

BStBl III 1952, 25

BFHE 1953, 59

BFHE 56, 59

StRK, VO vom 17. 7. 48 R 5a c

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