Leitsatz (amtlich)

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BGH an, wonach der Übernehmer eines Vermögens auch für die nach Abschluß des schuldrechtlichen Vertrages bis zur dinglichen Übertragung des Vermögens entstandenen Schulden des Übergebers haftet und maßgeblicher Zeitpunkt für die dingliche Übertragung des Vermögens bei einem Grundstück, welches das gesamte Vermögen bildet, die Eintragung des Übernehmers im Grundbuch ist.

 

Normenkette

AO § 120; BGB § 419

 

Tatbestand

Zu entscheiden war, ob der Übernehmer des Vermögens nach § 419 BGB für Einkommensteuerschulden haftet.

Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) übernahm von seinem Bruder ein Rittergut.

Dieser war 1956 nach X ausgewandert und 1957 dort Staatsbürger geworden. Das Rittergut bildete sein gesamtes Inlandsvermögen. Der notarielle Kaufvertrag mit Auflassung, aber ohne Antrag auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung, wurde am 26. Januar 1961 geschlossen. Das Gut wurde am 30. Juni 1961 übergeben, der Eigentumswechsel im Mai 1963 im Grundbuch eingetragen.

Der Einkommensteuerbescheid für 1961 gegen den Bruder des Steuerpflichtigen ist rechtskräftig. Von der Steuer von ... DM entfallen ... DM auf den zu versteuernden Veräußerungsgewinn ... DM sind noch nicht bezahlt.

Das FA erließ nach vorheriger Ankündigung ein Leistungsgebot gegen den Steuerpflichtigen auf Zahlung des noch offenen Betrages. Die Beschwerde des Steuerpflichtigen war erfolglos. Auch die Klage, mit der der Steuerpflichtige Aufhebung des Beschwerdebescheides und des Leistungsgebotes begehrte, blieb ohne Erfolg. Das FG führte u. a. aus:

Nach § 419 BGB hafte der Vermögensübernehmer für die bei Vertragsabschluß bestehenden Schulden des Veräußerers. Nach herrschender Meinung sei die Haftung nicht auf die bei Abschluß des schuldrechtlichen Vertrages vorhandenen Schulden beschränkt, sie erstrecke sich auf die bei Vollzug der Vermögensübernahme bestehenden Verbindlichkeiten. Das ergebe sich aus dem Grundgedanken des § 419 BGB, diejenigen Gläubiger zu schützen, die sich aus dem übertragenen Vermögen hätten befriedigen können. Folgerichtig scheide z. B. ein übertragenes Grundstück als Haftungsobjekt für Forderungen aus, die nach Eintragung einer Auflassungsvormerkung entstanden seien, denn wegen dieser Forderungen könne sich der Gläubiger dann nicht mehr an das Grundstück halten, wie sich aus § 883 Abs. 2 Satz 2 BGB ergebe (vgl. Urteil des BGH V ZR 19/59 vom 13. Juli 1960, BGHZ 33, 123, NJW 1960, 1757 = Wertpapier-Mitteilungen 1960 S. 1014 - WM 1960, 1014 -).

Da der Veräußerungsgewinn entsprechend den Grundsätzen über die Gewinnrealisierung mit der Übergabe des Rittergutes 1961 verwirklicht worden sei, seien die Steuerschulden des Bruders gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 1c StAnpG mit Ablauf des Jahres 1961 entstanden, also vor dem Vollzug der Vermögensübertragung, denn das Rittergut samt Zubehör sei erst mit der Grundbucheintragung auf den Steuerpflichtigen übergegangen. Für die Ansicht des Steuerpflichtigen, bei Steuerschulden sei entscheidend, wann das wirtschaftliche Eigentum übergegangen sei, gebe der Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte; sie sei auch nicht aus Sinn und Zweck der Bestimmungen zu begründen.

Zwar sei der Rechtsauffassung zuzustimmen, daß sich die Haftung grundsätzlich nicht auf Schulden erstrecke, die durch die Vermögensübertragung entstanden seien. Dabei sei jedoch zu beachten, daß dies nur für Schulden gelte, die erst durch den Vollzug der Vermögensübertragung entstünden, denn nur wegen dieser Forderung könne sich der Gläubiger des Veräußerers zu keinem Zeitpunkt aus dem übertragenen Vermögen befriedigen.

Zur Begründung der Revision wird vorgebracht.

Die Rechtsauffassung des FG, daß der Übernehmer für alle Verbindlichkeiten hafte, die bis zur Umschreibung des Grundbuches gegenüber dem Übergeber entstanden seien, sei nicht gerechtfertigt. Nach der Entscheidung des RG II 520/29 vom 26. September 1930 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 130 S. 34, 37) sei die kumulative Mithaftung des Übernehmers für solche Verbindlichkeiten des Übergebers ausgeschlossen, die "erst mit der Übereignung selbst, d. h. mit der Vollendung des zur Übertragung der einzelnen Gegenstände erforderlichen Rechtstatbestands" entstünden. Was das RG unter Vollendung der Übertragung verstehe, ergebe sich aus der Bemerkung, die Parteien hätten es in der Hand, "die dinglichen Vollzugsgeschäfte alsbald dem Verpflichtungsgeschäft folgen zu lassen". Das RG könne damit nur die Auflassung im Auge gehabt haben, denn die Umschreibung im Grundbuch sei kein Rechtsgeschäft.

Außerdem sei mit dem Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB (BGB-RGRK) Anm. 5 zu § 419 unter "Vertrag" im Sinne des § 419 BGB die Gesamtheit der die Vermögensübernahme betreffenden Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte zu verstehen. Auf die Eintragung abzustellen, widerspreche den Grundsätzen der Gesetzesauslegung. Wenn der BGH in dem Urteil V ZR 19/59 auf den Eingang des Antrages auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Übernehmers abstelle, so nur deshalb, weil in jenem Fall das dingliche Übertragungsgeschäft, nämlich die Auflassung, noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Der BGH führe dazu aus, daß der Übernehmer des Vermögens "auch für die nachträglich bis zur dinglichen Übertragung des Vermögens entstandenen Schulden des Übergebers hafte". Damit könne nur das dingliche Rechtsgeschäft, also die Auflassung, gemeint sein.

Auch in der Entscheidung V ZR 128/61 vom 5. Mai 1963 (BGHZ 39, 275, 277) stelle der BGH auf den Zeitpunkt der "Vermögensübernahme" ab. Darunter könne nur die Auflassung verstanden werden.

Es sei auch in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, daß es der Billigkeit widerspreche, den Übernehmer für Ansprüche gegen den Übergeber haften zu lassen, die wie hier erst durch die Vermögensübertragung selbst begründet worden seien. Wenn das FG hierzu auf den Vollzug des dinglichen Rechtsgeschäftes abstelle, dürfe es damit nicht die Eintragung im Grundbuch meinen.

Im übrigen seien im Steuerrecht, insbesondere wegen der Verweisung in § 120 AO, andere Maßstäbe anzulegen. Nach § 11 Nr. 4 StAnpG seien bei der Besteuerung Wirtschaftsgüter dem Eigenbesitzer zuzurechnen. Demgemäß sei der Steuerpflichtige vom 1. Juli 1961 an wirtschaftlicher Eigentümer geworden. Aus steuerlicher Sicht sei der Eigentumswechsel mit diesem Tage vollzogen. Bei Entstehen der Einkommensteuerschuld sei der Eigentumsübergang aus steuerlicher Sicht schon abgeschlossen gewesen. Im Sinne des Steuerrechts sei die Vermögensübernahme mit dem Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums abgeschlossen, so daß eine Haftung für später entstandene Steuerschulden ausscheide. Es sei auch unbillig, vom Übernehmer zu verlangen, einerseits nach Übergang des wirtschaftlichen Eigentums die an das Eigentum geknüpften Steuern zu tragen, andererseits ihn noch nicht als Eigentümer zu behandeln und für die beim Übergeber angefallenen Steuern nach § 419 BGB haften zu lassen. Auch die Zuständigkeitsregelung des § 330 AO a. F. zeige, daß der formale bürgerlich-rechtliche Eigentumsübergang bei Steuerschulden nicht maßgeblich sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Die Vorinstanz hat zutreffend die Haftung des Steuerpflichtigen nach § 120 AO, § 330 AO und § 419 BGB bejaht. Sie bezieht sich mit Recht auf die zur Auslegung des § 419 BGB ergangene Rechtsprechung des BGH, die auch im Schrifttum gebilligt wird. Diese Rechtsprechung stellt auf den Grundgedanken des § 419 BGB ab. Danach soll das Aktivvermögen des Schuldners, die natürliche Grundlage für den eingeräumten Kredit, den Gläubigern gegenüber erhalten bleiben. Die Gläubiger sollen die Möglichkeit, ihre Forderungen zu befriedigen, in gleicher Weise behalten, wie wenn die Übertragung des Vermögens nicht stattgefunden hätte. Danach setzt die Haftung des Übernehmers voraus, daß die Gläubiger im Zeitpunkt der Entstehung ihrer Forderung wegen dieser das Vermögen des Schuldners noch mit Erfolg hätten in Anspruch nehmen können (so BGH in dem Urteil V ZR 19/59). Daraus ergibt sich, daß der Übernehmer nicht nur für die im Zeitpunkt des - schuldrechtlichen - Vertragsabschlusses bestehenden, sondern auch für die nachträglich bis zur dinglichen Übertragung des Vermögens entstandenen Schulden des Übergebers haftet. Da in dem Fall des eben genannten BGH-Urteils für den Übernehmer des Grundstücks die Eintragung einer Auflassungsvormerkung gebilligt worden war, kam der BGH wegen der Bestimmung des § 883 Abs. 2 BGB folgerichtig zu dem Ergebnis, daß in diesem Fall der Eingang des Antrags auf Eintragung der Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt maßgebend ist und der Übernehmer nur für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Verbindlichkeiten des Übergebers haftet.

Zu Unrecht meint der Steuerpflichtige, der BGH habe in der Entscheidung V ZR 19/59 nur deshalb auf den Eingang des Antrages auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt abgestellt, weil in jenem Fall die Auflassung noch nicht erklärt worden sei. Wie sich aus dem BGH-Urteil VIII ZR 12/62 vom 8. Mai 1963 (WM 1963, 615) ergibt, ist auch dann der Eingang des Antrages auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung maßgeblich, wenn die Auflassung bereits vorher im notariellen Kaufvertrag erklärt worden ist. Auch im Fall des BGH-Urteils VI ZR 253/64 vom 28. Juni 1966 (NJW 1966, 1748 = WM 1966, 836) war dem Antrag auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung die Auflassung voraufgegangen.

Nach dem Ausgangspunkt der Überlegungen des BGH, wonach Zweck des § 419 BGB ist, den Gläubigern des Übergebers trotz der Vermögensübergabe das Vermögen des Übergebers zur Befriedigung für ihre Forderungen zu erhalten, kann der Zeitpunkt der "dinglichen Übertragung des Vermögens" nur der sein, von dem ab eine Vollstreckung für die Gläubiger des Übergebers wegen Übergang des Eigentums nicht mehr möglich ist. Danach ist dingliche Übertragung nicht die Erklärung der Auflassung, sondern der dingliche Eigentumsübergang an dem Vermögen, bei Grundstücken mithin die Eintragung im Grundbuch. Dieser Zeitpunkt wird lediglich bei einem Antrag auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung vorverlegt.

Zu Unrecht bezieht sich der Steuerpflichtige auf den Passus in dem RG-Urteil II 520/29, daß es die Vertragspartner in der Hand hätten, "die dinglichen Vollzugsgeschäfte alsbald dem Verpflichtungsgeschäft folgen zu lassen". Es mag zutreffen, daß dabei zunächst die dingliche Verfügung, in den Fällen also, in denen zunächst nur das obligatorische Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen war, die Auflassung gemeint war. Entscheidend ist aber, daß darauf abzustellen ist, wie lange die Gläubiger des Übergebers noch die Möglichkeit hätten, sich aus dem Vermögen des Übergebers Befriedigung ihrer Forderungen zu verschaffen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß selbst nach Abschluß des notariellen Vertrages über den Verkauf eines Grundstückes mit Erklärung der Auflassung die Gläubiger des Veräußerers nach wie vor in das Grundstück des Veräußerers vollstrecken könnten so wie sie auch nach Einsichtnahme in das Grundbuch - vor Eintragung einer Auflassungsvormerkung - zu weiteren Krediten veranlaßt werden könnten. Das FA weist mit Recht darauf hin, daß das RG in dem von dem Steuerpflichtigen angeführten Urteil II 520/29 selbst den für den Umfang der Haftung maßgebenden Zeitpunkt erläutert:

"Maßgebend ist der Zeitpunkt, von dem an das Vermögen im wesentlichen übergegangen ist. Dies war hier der 7. Juni 1926, der Tag, an dem die Umschreibung der Liegenschaften auf den Beklagten vollzogen wurde."

Der Hinweis des Steuerpflichtigen auf die Besonderheiten steuerrechtlicher Betrachtungsweise führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar sind nach § 11 Nr. 4 StAnpG bei der Besteuerung Wirtschaftsgüter dem Eigenbesitzer zuzurechnen und der Steuerpflichtige ist ab dem 1. Juli 1961 wirtschaftlicher Eigentümer in diesem Sinne geworden, so daß sich aus steuerlicher Sicht der Eigentumswechsel mit diesem Tage vollzogen hat. Der Steuerpflichtige übersieht aber, daß es bei der Bestimmung des § 419 BGB nicht um die steuerliche Zurechnung geht, sondern um die Voraussetzungen einer Haftung des Vermögensübernehmers nach bürgerlichem Recht. Nach § 419 BGB können die Gläubiger "von dem Abschluß des Vertrages an ihre zu dieser Zeit bestehenden Ansprüche" auch gegen den Übernehmer geltend machen. Wenn Einigkeit darüber besteht, daß mit "Vertrag" nicht der schuldrechtliche Vertrag gemeint ist - insoweit erhebt auch der Steuerpflichtige keine Einwendungen -, sondern "die Vollendung des zur Übertragung der einzelnen Gegenstände erforderlichen Rechtstatbestandes", das "dingliche Vollzugsgeschäft" (so schon das RG in der Entscheidung II 520/29), mit der Folge, daß nur der Zeitpunkt maßgebend sein kann, "von dem an das Vermögen im wesentlichen übergegangen ist" (RG, a. a. O.), so sind damit nur Vorgänge aus dem bürgerlich-rechtlichen Bereich angesprochen, nicht aber der für die steuerrechtliche Zurechnung maßgebende Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums. Insbesondere kann "die Vollendung des zur Übertragung erforderlichen Rechtstatbestandes" nicht gleichgesetzt werden mit dem von den Vertragspartnern vereinbarten Übergang des wirtschaftlichen Eigentums.

Dem Grundgedanken des § 419 BGB entspricht es, den Übernehmer des Vermögens nicht nur für die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden, sondern auch für die nachträglich bis zur dinglichen Übertragung des Vermögens entstandenen Schulden des Übergebers haften zu lassen. Diese vom RG in seinem Urteil II 520/29 begründete und vom BGH in dem Urteil IV ZR 164/53 vom 4. Februar 1954 (Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 3 AnfG Nr. 1 Bl. 611 = NJW 1954, 673) aufgenommene Rechtsprechung, die u. a. durch die BGH-Urteile V ZR 19/59 (a. a. O.) und VI ZR 253/64 (a. a. O.) bestätigt wird, wird auch im Schrifttum gebilligt (vgl. u. a. BGB-RGRK, 11. Aufl., § 419 Anm. 19; Soergel-Siebert-Schmidt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Aufl., § 419 Anm. 12; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 29. Aufl., § 419 Anm. 4 a; Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 4. Aufl., § 419 Anm. 4 und 8; Esser, "Schuldrecht", 4. Aufl., § 56 III 5 S. 422, und Fikentscher, "Schuldrecht", 2. Aufl., § 59 IV S. 351; anderer Ansicht noch Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., 1930, § 419 Anm. II 2 a). Danach ist der Zeitpunkt, bis zu dem die Verbindlichkeiten des Übergebers, für die der Übernehmer wegen der Vermögensübergabe haftet, entstanden sein müssen, nicht der schuldrechtliche Vertrag - sofern nicht eine Auflassungsvormerkung gewährt und beantragt wird -, nicht die Erklärung der Auflassung oder der vereinbarte Übergang des wirtschaftlichen Eigentums - weil auch nach diesen Ereignissen eine Vollstreckung in das Vermögen des Übergebers auch ohne die Haftungserweiterung des § 419 BGB möglich ist -, sondern der endgültige Vollzug der Vermögensübertragung, nämlich die Eintragung im Grundbuch.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69491

BStBl II 1971, 553

BFHE 1971, 197

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