Entscheidungsstichwort (Thema)

Handelsrecht Gesellschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Bei hinterzogenen Steuerbeträgen beginnt nach der Unterbrechung ihrer Verjährung durch Festsetzung der Steuer oder durch eine sonstige Unterbrechungshandlung eine neue zehnjährige Verjährung.

 

Normenkette

AO §§ 144, 147

 

Tatbestand

Streitig ist, ob gegen den Bf. gerichtete Ansprüche auf Einkommensteuer II/1948 und 1949 in Höhe von zusammen 5.922 DM durch Verjährung erloschen sind.

Auf Grund einer Betriebsprüfung beim Bf., der bis 1951 einen Großhandel mit Fahrradersatzteilen und den Export von Farben und Maschinen betrieb, setzte das Finanzamt mit berichtigten Steuerbescheiden vom 9. Juli 1951 für die Steuerabschnitte II/1948 bis 1951 Mehrsteuern in Höhe von rund 17.000 DM fest. Die Einsprüche hiergegen wurden durch die am 6. Dezember 1951 zugestellte Einspruchsentscheidung zurückgewiesen. Die unanfechtbar festgesetzten Steuern wurden, nachdem der Bf. den Offenbarungseid vor dem Finanzamt geleistet hatte, im November 1952 niedergeschlagen. Der Bf., der 1956 nach B. (Ausland) gegangen war, sprach nach einer Aufforderung des Finanzamts zur Zahlung der Umsatzsteuer 1953 am 20. Oktober 1958 beim Finanzamt vor. Dabei vertrat der Bf. die Auffassung, daß die Rückstände aus den Jahren 1949 bis 1950 verjährt seien.

Mit Schreiben vom 17. August 1959 forderte das Finanzamt den Bf. auf, seine Rückstände aus den Jahren 1948 bis 1951 zu bezahlen und erließ schließlich am 21. Juni 1961 einen Abrechnungsbescheid. Auf den Einspruch des Bf., der Verjährung geltend machte, änderte das Finanzamt den Abrechnungsbescheid dahin, daß nur noch nach dem Betriebsprüfungsbericht und den Erklärungen des Bf. in der Unterwerfungsverhandlung vom 21. November 1952 als hinterzogen anzusehende Beträge von insgesamt 6.228,40 DM geschuldet würden. Von ihnen sind noch streitig Einkommensteuer II/1948 1.320 DM, Einkommensteuer 1949 4.602 DM, insgesamt also 5.922 DM.

Die Berufung des Bf., der weder bestritt, daß es sich um hinterzogene Beträge handelt, noch sich gegen die Höhe wandte, sondern nur Verjährung einwandte, wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner Rb. macht der Bf. folgendes geltend. Die Vorinstanz habe die §§ 144, 145 Abs. 2 und 147 AO unrichtig angewendet. Unstreitig sei die zunächst letzte Zahlungsaufforderung hinsichtlich der streitigen Steuern am 4. Januar 1952 erfolgt. Nach § 147 Abs. 3 AO beginne nach der Unterbrechung durch den Erlaß eines Steuerbescheids eine neue Verjährungsfrist. Diese könne nicht mehr die zehnjährige Verjährungsfrist für hinterzogene Steuern sein, sondern nur die gewöhnliche fünfjährige Verjährungsfrist. Der gesetzgeberische Grund für die lange Verjährung bei hinterzogenen Beträgen sei nach Aufdeckung der Hinterziehung und Erlaß ordnungsgemäßer Steuerbescheide weggefallen. Das ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck. Es bedürfe dazu nicht der Unterscheidung von Steueranspruch und Steuerzahlungsanspruch. Auch Kommentare, die diese Unterscheidung ablehnten, nähmen eine fünfjährige Verjährungsfrist an. Das Urteil des Reichsfinanzhofs vom 6. April 1938 (RStBl 1938 S. 513) behandle nur insofern einen abweichenden Tatbestand, als dort das Finanzamt nach Aufdeckung der Hinterziehung entschieden habe, daß eine Besteuerung nicht stattfinde. Wenn dort der Reichsfinanzhof entschieden habe, daß nach der Aufdeckung nur eine fünfjährige Verjährungsfrist gelaufen sei, so könne für den Fall der Steuerfestsetzung nichts anderes gelten. Auch der Hinweis der Vorinstanz auf § 145 Abs. 2 Satz 2 AO gehe fehl. Der gesetzgeberische Grund dieser Vorschrift liege darin, daß es unsinnig wäre, auf eine Steuer schon zu verzichten, wenn sogar noch gestraft werden könne. Im Streitfall werde eine Steuerstrafe nicht mehr geschuldet, weil sie längst bezahlt sei. Es laufe daher weder eine Strafverfolgungs- noch eine Strafvollstreckungsverjährung. Der Hinweis des Finanzgerichts, daß bei einer fünfjährigen Verjährungsfrist unehrliche Steuerzahler sogar günstiger gestellt würden als ehrliche, bei denen durch eine Betriebsprüfung kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist Mehrsteuern festgestellt würden, sei unverständlich.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann keinen Erfolg haben.

Nach § 144 AO beträgt die Verjährungsfrist bei hinterzogenen Steuerbeträgen zehn Jahre. Im Streitfall ist die Frist durch die Festsetzung der hinterzogenen Beträge unterbrochen worden, so daß nach der Beendigung der Unterbrechung nach § 147 Abs. 3 AO eine neue Verjährung zu laufen begann. Das bedeutet gemäß dem Wesen der Unterbrechung der Verjährung, daß die Verjährung, die bereits zu laufen begonnen hatte, nicht weiterlief, sondern nochmals von neuem zu laufen begann.

Die Unterbrechung der Verjährung durch die Festsetzung der hinterzogenen Steuerbeträge ändert an der Natur der Beträge als hinterzogener nichts. Daher kann nicht schon deshalb, weil nach Aufdeckung des Sachverhalts und Festsetzung der Steuer der Länge der Verjährungsfrist nicht mehr die gleiche Bedeutung zukommt wie vorher, eine Verkürzung der Verjährungsfrist auf die gewöhnliche Dauer angenommen werden.

Eine solche Verkürzung käme bei Handlungen, die das zuständige Finanzamt vor einer Aufdeckung der Hinterziehung zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten vornimmt, keinesfalls in Betracht; es müßte hier also bei einer neuen zehnjährigen Verjährungsfrist bleiben. Daher würden, wenn man im Fall der Festsetzung der hinterzogenen Beträge annehmen wollte, daß nach dieser Unterbrechung nur eine neue gewöhnliche Verjährungsfrist begänne, nach den einzelnen sich aus § 147 AO ergebenden Unterbrechungshandlungen unter sich verschiedene neue Verjährungsfristen zu laufen beginnen. Darüber hinaus würden sich sogar auf Grund ein und derselben Unterbrechungshandlung verschiedene Verjährungsfristen ergeben; denn da ein Steuerbescheid die Verjährung des Steueranspruchs in vollem Umfange unterbricht (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 184/60 S vom 4. August 1960, BStBl 1960 III S. 430, Slg. Bd. 71 S. 485), würde, soweit die Steuer in ihm festgesetzt, die gewöhnliche, soweit aber der verkürzte Steueranspruch noch nicht erfaßt ist, die zehnjährige Verjährungsfrist neu zu laufen beginnen. Ferner würde - wie die Vorinstanz hervorhebt - die Annahme, daß bei Festsetzung der hinterzogenen Beträge nur eine gewöhnliche Verjährungsfrist begänne, bei frühzeitiger Aufdeckung der Hinterziehung dazu führen, daß eine Verkürzung der ursprünglichen Verjährungsfrist einträte, eine Folge, die dem Wesen einer Verjährungsunterbrechung zuwiderläuft. Die genannten Ergebnisse erscheinen abwegig und dürften auch mit dem Gesetz, das dem Hinterzieher schlechthin den Vorteil der kürzeren gewöhnlichen Verjährungsfrist versagt, nicht vereinbar sein.

Auch aus dem vom Bf. angeführten Urteil des Reichsfinanzhofs VI 193/38 vom 6. April 1938 (a. a. O.) ist etwas anderes nicht zu entnehmen. Es handelt sich dort um den Fall, daß das Finanzamt von dem vorliegenden Sachverhalt Kenntnis genommen und nach eingehenden Ermittlungen erklärt hatte, steuerpflichtige Einnahmen lägen nicht vor, die Beträge nicht herangezogen und dementsprechend die endgültige Veranlagung durchgeführt hatte. Angesichts dieser Umstände kam der Reichsfinanzhof zu dem Ergebnis, daß dort hinterzogene Beträge nicht mehr vorliegen können und keine zehnjährige Verjährungsfrist gilt. Nur dieser Entscheidung schließen sich die vom Bf. angeführten Autoren (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 3 zu § 144; Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., Anm. 3 a zu § 144; Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, Abt. 00 S. 167 zu § 144, sowie Tipke-Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 2 zu § 144, und Höllig, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1961 S. 232 - S. 233 unten -) an. Dagegen sagen sie nicht, daß auch im Fall einer Festsetzung der Steuer, also bei Bejahung einer Hinterziehung, oder im Fall sonstiger Unterbrechungshandlungen auch die neu beginnende Verjährungsfrist nur die gewöhnliche sei. Auf der anderen Seite geben Becker-Riewald-Koch, ohne von der Lehre, daß zwischen Steueranspruch und Steuerzahlungsanspruch zu unterscheiden sei, abzugeben, ihre frühere Meinung, daß nach der Festsetzung der Steuer eine gewöhnliche Verjährungsfrist beginne, es sei denn, daß der Steuerzahlungsanspruch selbst Gegenstand der Hinterziehung sei, in der 9. Aufl. ihres Kommentars zur Reichsabgabenordnung (Anm. 2 zu § 144) zugunsten der in einem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 27. Februar 1956 (Der Betriebs-Berater 1956 S. 263) und von Rümelin (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1956 S. 139) vertretenen Auffassung, daß auch die neue Verjährungsfrist zehn Jahre betrage, ausdrücklich auf.

Auch der erkennende Senat ist aus den genannten Gründen der Auffassung, daß nach dem Gesetz bei hinterzogenen Steuerbeträgen nach der Unterbrechung ihrer Verjährung durch Festsetzung der Steuer oder durch eine sonstige Unterbrechungshandlung eine neue zehnjährige Verjährung beginnt.

Im Streitfall begann demnach, als die ursprüngliche Verjährung durch die Steuerfestsetzung im Jahre 1951 unterbrochen war und diese Unterbrechung mit dem Unanfechtbarwerden der Einspruchsentscheidung im Jahre 1952 ihr Ende gefunden hatte, am 1. Januar 1953 eine neue zehnjährige Verjährungsfrist zu laufen. Daher waren die dem Grund und der Höhe nach unstreitigen Beträge im Zeitpunkt der schriftlichen Zahlungsaufforderung im Jahre 1959 und - selbst wenn man die dadurch eingetretene erneute Unterbrechung außer acht läßt - auch im Jahre 1961 noch nicht verjährt. Sie sind daher in dem dem Bf. erteilten Abrechnungsbescheid vom 21. Juni 1961 zu Recht als nicht erloschen bezeichnet.

Da demnach die Vorinstanz zu einem zutreffenden Ergebnis gelangt ist, war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411306

BStBl III 1964, 493

BFHE 1965, 55

BFHE 80, 55

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