Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Im Sinne des § 1 Ziff. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 4. März 1952 (GVBl NW 1952 S. 33, BStBl 1952 II S. 46) ist ein Grundstück auch dann als unbebaut anzusehen, wenn die auf dem Grundstück errichteten Gebäude demnächst abgebrochen werden sollen, um sie durch andere Wohngebäude zu ersetzen; daß die Gebäude baufällig sind oder der Abbruch behördlich verlangt wird, ist nicht erforderlich. Vorausgesetzt ist aber, daß im Ergebnis mehr Wohnraum geschaffen als vernichtet wird. Dem Urteil des Reichsfinanzhofs II 58/42 vom 6. August 1942 (RStBl 1942 S. 1076, Slg. Bd. 52 S. 124), die Auslegung des § 4 Abs. 1 Ziff. 3b GrEStG betreffend, wird beigetreten.

GrEStG § 4 Abs. 1 Ziff. 3b; nordrhein-westf. Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den

 

Normenkette

GrEStG § 4/1/3/b; GrEStWGNW 1/1

 

Tatbestand

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 4. Januar 1957 erwarben der Bg. und seine Ehefrau ein im Lande Nordrhein-Westfalen belegenes Grundstück als Miteigentümer je zur Hälfte.

Das auf dem Grundstück vorhanden gewesene viergeschossige Wohn- und Geschäftshaus war 1944 zu 82,6 v. H. zerstört worden. Im Jahre 1949 wurde auf dem Grundstück aus den Trümmerresten ein kleineres Gebäude wiederhergestellt. Im Erdgeschoß dieses Gebäudes befand sich ein Verkaufsraum mit massiver Geschoßdecke. Im Dachgeschoß wurden ein kleines Büro und ein kleinerer Werkstattraum errichtet. Das Dach wurde nur provisorisch ausgeführt und war auf der Unterseite zum Teil nur mit Pappe verkleidet. Das Gebäude war an den Bg. vermietet, der darin einen Geschäftsbetrieb unterhielt.

Nach den Ausführungen des Bg. sollte auf dem Grundstück ein Gebäude mit fünf grundsteuerbegünstigten Wohnungen neu errichtet werden. Dazu mußte das auf dem Grundstück vorhandene Gebäude vollständig abgebrochen werden.

Die Erwerber des Grundstücks beantragten zunächst, auf den Erwerb die Befreiungsvorschrift des § 1 Ziff. 3 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 4. März 1952 (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - 1952 S. 33, BStBl 1952 II S. 46) anzuwenden, indem sie geltend machten, daß im Verhältnis zu dem früheren Bestand des Grundstücks auch unter Berücksichtigung des teilweisen Wiederaufbaus noch ein Schadensgrad von mehr als 50 v. H. vorhanden sei. Das Finanzamt lehnte die Anwendung dieser Befreiungsvorschrift ab und zog die Erwerber vorläufig zur Grunderwerbsteuer heran. Es war unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 226/54 U vom 24. August 1955 (BStBl 1955 III S. 282, Slg. Bd. 61 S. 218) der Ansicht, daß ein teilweise wiederaufgebautes Gebäude nicht mehr als "beschädigt" im Sinne des § 1 Ziff. 3 a. a. O. angesehen werden könne. Der Einspruch des Bg. wurde als unbegründet zurückgewiesen; über den gleichzeitig von der Ehefrau eingelegten Einspruch wurde nicht entschieden.

Im Berufungsverfahren machte der Bg. geltend, der anteilige Grundstückserwerb sei nach § 1 Ziff. 1 des Gesetzes vom 4. März 1952 von der Besteuerung freizustellen. Er stützte sich dabei auf das Urteil des Senats II 60/55 U vom 24. August 1955 (BStBl 1955 III S. 282, Slg. Bd. 61 S. 219), die ungefähr gleichlautende Befreiungsvorschrift des § 1 Ziff. 1 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer vom 2. Juli 1952 (BStBl 1952 II S. 74) betreffend. Nach diesem Urteil könne die Anwendung der bezeichneten Befreiungsvorschrift auch dann in Betracht kommen, wenn das Behelfsheim vor der Errichtung des Gebäudes mit den grundsteuerbegünstigten Wohnungen abgerissen werden solle. Ein solcher Fall sei auch hier gegeben.

Auf die Berufung wurden die Einspruchsentscheidung sowie der Steuerbescheid aufgehoben und der Bg. von der Steuer freigestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie der Einspruchsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt.

Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß die Steuerbefreiung des § 1 Ziff. 3 des in Betracht kommenden Gesetzes nicht anwendbar ist. Wie bereits der Senat in dem Urteil II 226/54 U a. a. O. entschieden hat, kann ein teilweise wiederaufgebautes Gebäude nicht als "beschädigt" im Sinne des § 1 Ziff. 3 a. a. O. angesehen werden. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.

Streitig ist in dieser Instanz, ob die Befreiungsvorschrift des § 1 Ziff. 1 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 4. März 1952 a. a. O. anzuwenden ist oder nicht. Diese Vorschrift lautet:

Von der Besteuerung nach dem GrEStG sind ausgenommen:

der Erwerb eines unbebauten Grundstücks oder eines Grundstücks mit zerstörten Gebäuden zur Errichtung eines Gebäudes, dessen anrechenbare Grundfläche aller Räume (Wohn- und Nutzfläche) mehr als 80 v. H. auf die Wohnungen und Wohnräume entfällt, die nach § 7 des Ersten Wohnungsbaugesetzes vom 24. 4. 1950 (BGBl 1950 S. 83) grundsteuerbegünstigt sind. Ein Gebäude gilt als zerstört, wenn oberhalb des Kellergeschosses auf die Dauer benutzbarer Raum nicht vorhanden ist;

... Richtig ist allerdings, daß im Streitfall auf dem Grundstück ein kleines Gebäude wiedererrichtet wurde. Das Finanzgericht ist jedoch zutreffend der Auffassung, daß die bezeichnete Befreiungsvorschrift dennoch dann anwendbar ist, wenn ein derartiges Gebäude vor der Errichtung des neu geplanten Wohngebäudes abgerissen werden soll.

Bereits der Reichsfinanzhof war in seinem Urteil II 58/42 vom 6. August 1942 (RStBl 1942 S. 1076, Slg. Bd. 52 S. 124) mit einem ähnlich gelagerten Fall befaßt. Es handelte sich damals um die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 Ziff. 3b GrEStG. In jenem Falle stellte das Grundstück, das erworben wurde, bei wörtlicher Anwendung der bezeichneten Vorschrift kein Bauland dar, weil es mit einem Siedlungshaus bebaut war. Dennoch wurde das in Tausch gegebene Grundstück als Bauland im Sinne der Befreiungsvorschrift angesehen, weil das Siedlungshaus - das Gebäude lag inmitten eines dem Erwerber gehörenden, für einen umfangreichen Neubau bestimmten Baugeländes - nach der Absicht des Erwerbers alsbald abgerissen werden sollte. Dem Erwerber war es nicht um den Erwerb des Wohnhauses auf dem Grundstück zu tun, sondern nur um den Erwerb des Grundstücks selbst, um es nach dem Abbruch des Wohnhauses anderweit zu bebauen. Maßgebend für den Begriff Bauland im Sinne dieser Vorschrift, so entschied der Reichsfinanzhof, sei nicht der tatsächliche Zustand des Grundstücks im Zeitpunkt des Erwerbs, sondern der Zustand, in den das Grundstück nach der Absicht des Erwerbers alsbald versetzt werden solle, um als Bauland dienen zu können. Solche Fälle seien insbesondere bei dem Austausch von Grundstücken zur Sanierung von Stadtteilen gegeben. Das, was von abbruchreifen Gebäuden gelte, gelte aber auch in gleicher Weise von Gebäuden, die an sich nicht abbruchreif seien, aber trotzdem abgebrochen werden müßten, damit das Grundstück - zusammen mit anderen dem Erwerber bereits gehörigen Grundstücken - für einen beabsichtigten Neubau zur besseren Gestaltung von Bauland verwendet werden könne.

Ebenso hat der Senat in dem Urteil II 60/55 U a. a. O. entschieden, daß die Befreiungsvorschrift des § 1 Ziff. 1 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer vom 2. Juli 1952 auch auf den Erwerb eines mit einem Behelfsheim bebauten Grundstücks anwendbar sein könne, wenn das Behelfsheim vor der Errichtung des neu geplanten Wohngebäudes abgerissen werden solle. Im Falle dieses Urteils war das auf dem Grundstück vorhanden gewesene Gebäude total kriegszerstört. Einer der Miterben hatte auf den Kellerresten des einen Gebäudeteils ein Behelfsheim aus Material errichtet, das aus den Trümmern des zerstörten Hauses gewonnen worden war. Das Bauordnungsamt hatte die Errichtung dieses Behelfsheims unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerspruchs längstens bis zum endgültigen Wiederaufbau des Grundstücks genehmigt. Mit der Erteilung der Baugenehmigung für das neu zu errichtende Wohnhaus widerrief das Ordnungsamt die Genehmigung für das Behelfsheim und forderte seine Beseitigung.

In gleicher Weise ist vom Senat in einem Urteil II 254/58 vom 15. Juni 1960 (BStBl 1960 III S. 315, Slg. Bd. 71 S. 179) ausgesprochen, daß die Befreiungsvorschrift des § 1 Ziff. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 4. März 1952 auch auf den Erwerb eines mit einem alten baufälligen Fachwerkhaus bebauten Grundstücks angewendet werden könne, wenn das Gebäude zwecks Bebauung des Grundstücks alsbald abgerissen werden solle. Es handelte sich um ein Haus, das nach den polizeilichen Bestimmungen nicht mehr zum Wohnen und Schlafen von Menschen geeignet war. Im Zuge der Bauarbeiten ergab sich, daß auch die letzten Bauteile aus Sicherheitsgründen entfernt werden mußten.

Im Streitfall handelt es sich zwar nicht um ein widerruflich genehmigtes Behelfsheim oder um ein Wohngebäude, das sehr stark baufällig ist und abgerissen werden muß. Nach einer Bescheinigung der Stadt B. vom 16. Oktober 1957 muß jedoch das Gebäude bei Errichtung des an gleicher Stelle geplanten Neubaus total abgebrochen werden; ein Wiederaufbau in der jetzigen Form komme wegen des Bauzustandes nicht in Betracht. Nach einer äußerung eines beim Finanzamt B. beschäftigten Bausachverständigen ist das gesamte Bauwerk in Anbetracht seiner Bauweise und des zur Verwendung gekommenen Baumaterials als ein Provisorium anzusprechen. Bei dieser Sachlage ist das Finanzgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß der Besteuerung der Zustand zugrunde zu legen sei, in den das Gebäude alsbald versetzt werden solle.

Entsprechend dem Urteil des Reichsfinanzhofs II 58/42 a. a. O. und in Fortsetzung seiner vorerwähnten Rechtsprechung sieht der Senat keine Bedenken, die im Streitfall in Betracht kommende Steuerbefreiung auch auf Fälle auszudehnen, in denen die auf dem Grundstück errichteten Gebäude weder baufällig sind noch ihr Abbruch behördlich gefordert wird, aber dennoch abgebrochen werden sollen, um sie, neuzeitlichen Auffassungen entsprechend, durch moderne Wohngebäude zu ersetzen, vorausgesetzt, daß im Ergebnis mehr Wohnraum neu geschaffen als vernichtet wird.

Ein solcher Fall ist zweifelsfrei gegeben. Allerdings ist die Steuerbefreiung nur dann anwendbar, wenn der Bg. von vornherein (d. h. bereits im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld) die Absicht hatte, das vorhandene Gebäude abzubrechen und auf dem dadurch geschaffenen Baugrundstück ein Wohngebäude zu errichten. Siehe insoweit das Urteil des Senats II 166/57 U vom 5. November 1958 (BStBl 1959 III S. 98, Slg. Bd. 65 S. 251). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. In dem Kaufvertrag hat sich der Grundstücksveräußerer damit einverstanden erklärt, daß im Falle des Um- und Wiederaufbaus der auf dem verkauften Grundbesitz stehenden Gebäude, jedoch nur für Bauzwecke, vorrangig Hypotheken oder Grundschulden bis zur Gesamthöhe von 80.000 DM eingetragen werden. In einem Schreiben vom 11. Februar 1957 an das Finanzamt wurde mitgeteilt, daß beabsichtigt sei, auf dem erworbenen Grundstück Wohnungen zu errichten, die den Erfordernissen des mehrfach erwähnten Gesetzes vom 4. März 1952 entsprechen würden. In einem am 8. März 1957 beim Finanzamt eingereichten Grunderwerbsteuer-Fragebogen wurde erklärt, daß grundsteuerbegünstigte Wohnungen errichtet werden sollten. Die Anzahl der zu errichtenden Wohnungen sei von den polizeilichen Vorschriften abhängig. Darin liegt, daß gegebenenfalls auch das vorhandene behelfsmäßig errichtete Gebäude abgerissen werden soll.

Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigt es sich, dazu Stellung zu nehmen, ob es sich im Streitfall um ein vorübergehend errichtetes, baufälliges Bauwerk handelt.

Die Befreiungsvorschrift des § 1 Ziff. 1 des nordrhein- westfälischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 4. März 1952 ist somit grundsätzlich anzuwenden. Dennoch war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur erneuten Entscheidung an das Finanzamt zurückzuverweisen. Wie das Finanzamt geltend macht, wurde etwa 1/5 der erworbenen Grundfläche nicht für Zwecke des Wohnungsbaus verwendet, sondern der Stadt B. im Umlegungsverfahren übertragen. Anscheinend kommt insoweit eine Steuerbefreiung nicht in Betracht. Außerdem ist die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 des vorbezeichneten Gesetzes nur anwendbar, wenn auch im übrigen die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiungsvorschrift erfüllt sind, insbesondere wenn das geplante Wohngebäude tatsächlich errichtet wird. Nach der Sachlage wird es als zweckmäßig angesehen, diese Prüfungen dem Finanzamt im Einspruchsverfahren zu übertragen. Außerdem wäre noch über den Einspruch der Ehefrau zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410123

BStBl III 1961, 506

BFHE 1962, 658

BFHE 73, 658

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