Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Großhandelsbetriebe können die Bewertungsfreiheit nach § 7 e EStG 1950/1951 für Lagergebäude in Anspruch nehmen, wenn die Herstellungskosten der brancheüblichen und unmittelbar dem Großhandel dienenden Büroräume 20 v. H. der Herstellungskosten des Gebäudes nicht übersteigen.

 

Normenkette

EStG § 7e; EStDV § 12/1/b

 

Tatbestand

Streitig ist die Anwendung des § 7 e Abs. 1 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1950/1951. Die Beschwerdeführerin (Bfin.) betreibt einen Großhandel mit Textilien und Kurzwaren. In den Jahren 1950 und 1951 errichtete sie einen Neubau. In dem Gebäude befindet sich der ganze Betrieb (außer einer Filiale in F.) einschließlich Lager und Büroräume; im Obergeschoß und im Dachgeschoß ist je eine Wohnung für Betriebsangehörige ausgebaut. Für den Neubau wandte die Bfin. 1950 = 76.525,75 DM und 1951 115.039,20 DM auf. Die Bfin. nahm neben der Absetzung für Abnutzung nach § 7 EStG für 1950 und 1951 noch die Sonderabschreibung nach § 7 e EStG mit je 10 v. H. der Herstellungskosten des Gebäudes in Anspruch. Das Finanzamt versagte die Sonderabschreibung, weil das Gebäude nicht nur Lagerzwecken diene. Der Einspruch hatte in diesem Punkte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Nach § 7 e Abs. 1 Buchstabe d EStG werde an sich vorausgesetzt, daß das Gebäude ausschließlich der Lagerung von Waren diene. Daß die beiden Wohnungen vorhanden seien, schließe nach § 12 Abs. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1950 die Bewertungsfreiheit unstreitig nicht aus. Unschädlich sei nach § 12 Abs. 1 Buchstabe b EStDV 1950 auch, wenn sich in dem Gebäude die mit der Lagerung zusammenhängenden Büroräume befänden. Im Streitfall seien aber in dem Gebäude alle Büros untergebracht, nicht nur die unmittelbar der Lagerung dienenden, wie zum Beispiel die Lagerbuchhaltung, sondern auch die, die nur mittelbar mit der Lagerhaltung zu tun hätten, zum Beispiel die Büroräume für den Einkauf und den Verkauf sowie die Registratur. Der Einwand der Bfin., nach Art ihres Unternehmens sei die Verbindung von Lager und Büro notwendig und üblich, greife nicht durch. Selbst wenn aber § 7 e EStG anwendbar sein würde, könne die Bfin. die Sonderabschreibung nicht bereits für 1950, sondern erst für das Jahr der Fertigstellung, das heißt für 1951, in Anspruch nehmen.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt die Bfin. Mängel des Verfahrens und unrichtige Rechtsanwendung.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 7 e Abs. 1 Buchstabe d EStG 1950/1951 können die näher bezeichneten Gewerbetreibenden bei Gebäuden, die im eigenen gewerblichen Betrieb unmittelbar ausschließlich der Lagerung von Waren dienen, die zum Absatz an Wiederverkäufer bestimmt sind oder für fremde Rechnung gelagert werden, besondere Absetzungen für Abnutzung in Anspruch nehmen. In § 12 EStDV sind ergänzende Bestimmungen getroffen. Nach § 12 Abs. 1 Buchstabe b EStDV wird die Bewertungsfreiheit des § 7 e EStG nicht dadurch ausgeschlossen, daß sich in dem Lagerhaus (ß 7 e Abs. 1 Buchstabe d) die mit der Lagerung zusammenhängenden üblichen Kontorräume befinden, wenn auf diese Räume nicht mehr als 20 v. H. der Herstellungskosten entfallen. § 12 Abs. 3 EStDV 1950 regelt das Verhältnis zwischen § 7 e und § 7 b EStG, wenn sich in dem Gebäude gleichzeitig Lagerräume und Wohnräume befinden.

Das Finanzgericht sieht als übliche Kontorräume im Sinne des § 12 EStDV nur solche an, die unmittelbar und ausschließlich mit der Lagerhaltung zusammenhängen, wie zum Beispiel die Lagerbuchhaltung. Der Senat tritt dieser Rechtsauffassung nicht bei. Das Wort "ausschließlich" in § 7 e EStG bezieht sich nicht auf die Kontorräume, sondern nur auf die im Gesetz erwähnten Warengruppen. Davon geht auch die Finanzverwaltung in Abschn. 77 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1950 aus. § 7 e Abs. 1 Buchstabe d EStG 1950 wurde durch das Gesetz zur änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes (ESt- und KStändG) vom 29. April 1950 (Bundesgesetzblatt 1950 S. 95) in das EStG eingeführt, um dem lagerhaltenden Großhandel die gleichen steuerlichen Vergünstigungen zu verschaffen wie der Fabrikation, für deren Betriebsgebäude schon vorher die Bewertungsfreiheit gewährt worden war. Wenn man den Wortlaut des § 7 e Abs. 1 Buchstabe d EStG für sich allein betrachtet, so ist eine Vergünstigung für gemischte Gebäude, das heißt solche, die gleichzeitig zur Lagerung von Waren und anderen Zwecken dienen, nicht vorgesehen. Es kann aber nicht im Willen des Gesetzgebers gelegen haben, die Vergünstigung des § 7 e EStG auszuschließen, wenn irgendwelche notwendigen oder üblichen Nebenräume mit dem Lagergebäude verbunden werden. Denn dann wäre der Kreis der begünstigten Gebäude so stark eingeengt, daß das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel nicht erreicht worden wäre. § 12 Abs. 1 Buchstabe b EStDV 1950 enthält deshalb wohl eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Auslegung des § 7 e EStG, wenn er diese Vorschrift dahin ausweitet, daß die Schaffung von üblichen Kontorräumen, die mit der Lagerung zusammenhängen, unschädlich ist, sofern auf diese Räume nicht mehr als 20 v. H. der Herstellungskosten entfallen. Der Senat geht demnach davon aus, daß § 12 Abs. 1 Buchstabe b EStDV rechtsgültig ist.

Die enge Auslegung, die das Finanzgericht dieser Vorschrift gibt, widerspricht an sich nicht dem Wortlaut. Bei sinngemäßer Auslegung scheint aber eine etwas weitere Auslegung mehr dem Willen des Gesetzes zu entsprechen. Bei der Bestimmung, welche "üblichen Kontorräume mit der Lagerung zusammenhängen", ist auch die Branche, zu der der betreffende Betrieb gehört, in Betracht zu ziehen. Beim lagerhaltenden Großhandel ist im allgemeinen der Bedarf an Büroraum im Verhältnis zum Lagerraum nicht groß. Nach § 12 Abs. 1 Buchstabe b EStDV dürfen die Herstellungskosten für die Kontorräume 20 v. H. der Herstellungskosten des Gebäudes nicht übersteigen. Es würde wohl dem Sinn der Bestimmung nicht entsprechen, innerhalb der Grenze von 20 v. H. wiederum mit dem Finanzgericht zu unterscheiden, ob die Kontorräume unmittelbar oder nur mittelbar mit der Lagerung zusammenhängen. Diese Unterscheidung wird durch den Wortlaut des § 12 EStDV nicht gefordert. Sie wäre auch praktisch kaum durchzuführen und würde zu einer Quelle von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Steuerpflichtigen und den Finanzbehörden werden. Die volkswirtschaftliche Funktion des Großhandels besteht wesentlich auch in der Lagerhaltung. Die üblichen Kontorräume des Großhandels sind mehr oder weniger alle auf diesen Zweck bezogen. Die Auslegung des Finanzgerichts würde die Vergünstigung des § 7 e EStG für den Großhandel weitgehend gegenstandslos machen. Denn im allgemeinen verbindet der Großhandel seine Büroräume mit dem Lager, weil das zweckmäßig ist. In allen diesen Fällen entfiele nach der Auslegung des Finanzgerichts der § 7 e EStG.

Demnach entspricht es wohl besser dem Willen des Gesetzgebers, anzunehmen, daß die Schaffung der beim Großhandel brancheüblichen und unmittelbar dem Großhandel dienenden Büroräume die Vergünstigung nicht ausschließt, wenn auf diese Büroräume nicht mehr als 20 v. H. der Herstellungskosten des Gebäudes entfallen.

Da das Finanzgericht § 7 e Abs. 1 Buchstabe d EStG und § 12 Abs. 1 Buchstabe b EStDV 1950 anders ausgelegt hat, sind die Vorentscheidungen aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das den Streitfall unter den vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkten nochmals zu würdigen hat. Ergibt sich, daß die von der Bfin. geschaffenen und dem Betrieb dienenden Büroräume sich im brancheüblichen Rahmen halten und von den Herstellungskosten nicht mehr als 20 v. H. auf die Büroräume entfallen, so besteht gegen die Anerkennung der Sonderabschreibung nach § 7 e EStG 1950 kein rechtliches Bedenken.

Für die Sonderabschreibung auf die bis zum 10. Dezember 1950 entstandenen aktivierungsfähigen Teilherstellungskosten fehlt eine gesetzliche Grundlage. Nach der Verwaltungsanweisung in Abschn. 77 b in Verbindung mit Abschn. 63 g EStR 1950 soll zwar § 9 Abs. 1 EStDV 1950, der zu § 7 a EStG 1950 ergangen ist, auf Teilherstellungskosten für nach § 7 e EStG 1950 begünstigte Gebäude sinngemäß angewendet werden. Da die Verwaltungsanweisung keine Rechtsnorm ist, kann der Senat sie nicht anwenden und auslegen. Das Finanzamt will die Verwaltungsanweisung nicht anwenden, weil es einen Antrag der Bfin. vermißt. Demgegenüber sei darauf hingewiesen, daß ein Antrag der Bfin., § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EStDV 1950 anzuwenden, darin liegen kann, daß die Bfin. in ihrer dem Finanzamt eingereichten Bilanz eine entsprechende Abschreibung gemacht hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409151

BStBl III 1958, 417

BFHE 1959, 372

BFHE 67, 372

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