Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatzrevision; Erheblichkeit der Rechtsfrage
Leitsatz (NV)
Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nicht in Betracht, wenn die vom Beschwerdeführer angeführte Rechtsfrage für die Entscheidung über die Revision nicht erheblich ist, weil insoweit bereits das FG von der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ausgegangen ist.
Normenkette
BGB §§ 387, 406; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), ein Kreditinstitut, ließ sich im Zusammenhang mit der Gewährung eines Darlehens von den Eheleuten R (Steuerpflichtige) deren Steuererstattungsansprüche aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1978 abtreten. Sie zeigte die Abtretung dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) am 9. März 1979 an. Das FA zahlte von dem Erstattungsbetrag von insgesamt 1 275,67 DM, der sich aufgrund des Bescheids vom 27. Juli 1979 ergeben hatte, nur 614,74 DM an die Klägerin aus. Den auf den Steuerpflichtigen (Ehemann) entfallenden Erstattungsanspruch von 660,93 DM überwies es aufgrund einer Aufrechnungserklärung vom Mai 1979 an das Sozialamt. Die auf Erstattung dieses Restbetrags gerichtete Klage der Klägerin wurde vom Finanzgericht (FG) im ersten Rechtszug mit der Begründung abgewiesen, die abgetretene Forderung sei insoweit durch Aufrechnung erloschen.
Auf die Revision der Klägerin hob der Senat das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Er hielt ergänzende Feststellungen für notwendig hinsichtlich der Fragen, ob eine Sicherungsabtretung i. S. von § 46 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) vorliege, ob aufgrund der Höhe der Effektivverzinsung der Darlehensvertrag nach § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig sei und ob der - grundsätzlich zulässigen - Aufrechnung eine Gegenforderung zugrunde liege. Das FG wies die Klage im zweiten Rechtszug wiederum mit der Begründung ab, daß die Aufrechnung durch das Sozialamt bzw. durch das FA (§§ 387, 406 BGB) durchgreife. Zur Begründung führte es aus:
Die zur Aufrechnung gestellte Kostenersatzforderung nach § 92a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wegen grob fahrlässiger Verursachung von Sozialhilfeleistungen sei in Höhe von 3 017,10 DM mit Bescheid des Sozialamts vom 26. Juli 1978 geltend gemacht worden. Hierauf habe der Steuerpflichtige keine Zahlungen geleistet; Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Die für vollstreckbar erklärte Forderung sei allerdings erst ab 1. September 1978 mit monatlich 50 DM fällig geworden, so daß bei der ersten Aufrechnungserklärung vom 16. Mai 1979 die Fälligkeit nur für einen Betrag von 450 DM bestanden habe. Es habe daher zu diesem Zeitpunkt nach § 387 BGB nur mit dem Betrag von 450 DM wirksam aufgerechnet werden können. Inzwischen sei ein weiterer, über den restlichen Erstattungsanspruch hinausgehender Betrag fällig geworden. Das FA habe daher mit der zweiten Aufrechnungserklärung in der mündlichen Verhandlung (17. Oktober 1985) auch gegen die restliche Erstattungsforderung wirksam aufgerechnet.
Das FG hat die Revision gegen sein im zweiten Rechtszug ergangenes Urteil mit der Begründung nicht zugelassen, daß die Frage der wirksamen Aufrechnung keine grundsätzliche Bedeutung habe, weil ihre Beantwortung von den im Einzelfall festgestellten Tatsachen abhängig sei.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt die Klägerin, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die maßgebliche Rechtsfrage sieht sie darin, ob und in welchem Umfang bei gewährter Ratenzahlung für eine Aufrechnungsgegenforderung mit dem Gesamtbetrag der Gegenforderung gegenüber dem Abtretungsneugläubiger aufgerechnet werden könne. Im Streitfall habe im Zeitpunkt des Zugangs der Abtretungsanzeige beim FA hinsichtlich der Gegenforderung ein Ratenrückstand von 300 DM (6 x 50 DM) bestanden. Nur in dieser Höhe sei die Aufrechnung gegenüber der ihr abgetretenen restlichen Steuererstattungsforderung von 660,93 DM zulässig gewesen. Der von der Aufrechnung nicht erfaßte restliche Steuererstattungsbetrag von 360,93 DM müsse an sie ausgezahlt werden. Eine nachträgliche Aufrechnungserklärung, wie sie in der mündlichen Verhandlung durch das FA erfolgt sei, könne nicht wirksam sein. Die Entscheidung der angeführten Rechtsfrage sei für eine Vielzahl rechtshängiger Verfahren zum Nachweis der Gegenforderung in Aufrechnungsfällen von Bedeutung.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft. Denn die Revision wäre, da ein Fall des § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht vorliegt, nur zulässig, wenn sie auf die Beschwerde der Klägerin hin zugelassen würde (§ 115 Abs. 2, 3 und 5 FGO). Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit der Behauptung, die von ihr angeführte Rechtsfrage sei für eine Vielzahl rechtshängiger Verfahren zum Nachweis der Gegenforderung in Aufrechnungsfällen von Bedeutung, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. des § 115 Abs. 2 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls nicht begründet.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestande zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, d. h. wenn die Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit als Gemeinschaft der Rechtsgenossen an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 13, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -). Das ist u. a. dann nicht der Fall, wenn die Frage nur selten auftreten wird (BFH-Beschluß vom 24. Juni 1969 II B 2/68, BFHE 96, 155, BStBl II 1969, 663), die anzufechtende Entscheidung der eindeutigen Rechtslage entspricht (BFH-Beschluß vom 11. Juli 1972 IV B 61/71, BFHE 106, 276, BStBl II 1972, 792), wenn es lediglich um die Anwendung fester Rechtsgrundsätze auf einen bestimmten Sachverhalt geht (Beschluß des Senats vom 17. September 1974 VII B 112/73, BFHE 113, 409, BStBl II 1975, 196) und wenn die Rechtsfrage für die Entscheidung über die Revision nicht erheblich ist (BFH-Beschluß vom 28. April 1972 III B 40/71, BFHE 105, 335, BStBl II 1972, 575). Die Klägerin sieht die maßgebliche Rechtsfrage, der sie grundsätzliche Bedeutung beimißt, darin, ob und inwieweit mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden kann, wenn dem Schuldner und Aufrechnungsgegner hinsichtlich dieser Gegenforderung Ratenzahlung gewährt worden ist, mit anderen Worten, ob dem Gläubiger trotz der dem Schuldner eingeräumten Ratenzahlung ein sofortiges Befriedigungsrecht im Wege der Aufrechnung zusteht. Diese Rechtsfrage kann die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht begründen, weil es auf sie für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht ankommt.
Das FG hat nicht verkannt, daß dem Schuldner der Kostenersatzforderung gemäß § 92a BSHG (Steuerpflichtiger), mit der das Sozialamt und das FA gegenüber dem an die Klägerin abgetretenen Steuererstattungsanspruch aufgerechnet haben, Ratenzahlung von monatlich 50 DM beginnend am 1. September 1978 eingeräumt worden war. Es hat demgemäß die Aufrechnung nur insoweit als wirksam angesehen, als im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärungen die monatlichen Raten der zur Aufrechnung gestellten Forderung fällig gewesen sind. Das waren nach der Begründung der Vorinstanz bei der ersten Aufrechnungserklärung am 16. Mai 1979 ein Betrag von 450 DM (9 x 50 DM) und bei der zweiten Aufrechnungserklärung am 17. Oktober 1985 weitere Raten, die jedenfalls die Höhe der restlichen Steuererstattungsforderung überstiegen. Diese rechtliche Beurteilung entspricht der eindeutigen Rechtslage des § 387 BGB, wonach nur mit fälligen Ansprüchen aufgerechnet werden kann. Das FG hat somit die dem Steuerpflichtigen eingeräumte Ratenzahlung berücksichtigt und dem Sozialamt bzw. dem FA kein sofortiges Befriedigungsrecht im Wege der Aufrechnung zugebilligt, das die Fälligkeit der einzelnen Raten außer Betracht ließe. Die von der Klägerin angeführte Rechtsfrage - Umfang der Aufrechnungsbefugnis bei Ratenzahlung für die Aufrechnungsgegenforderung - ist demnach, soweit sie für den Streitfall von Bedeutung ist, bereits vom FG in Einklang mit dem Gesetz (§ 387 BGB) beantwortet worden. Eine darüber hinausgehende Klärung wäre auch im Falle der Zulassung der Revision nicht zu erwarten. Eine abstrakte Klärung von Rechtsfragen kann mit der Grundsatzrevision nicht begehrt werden (BFHE 105, 335, BStBl II 1972, 575).
Soweit sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der nachträglich vom FA in der mündlichen Verhandlung erklärten Aufrechnung wendet, kann das die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtfertigen. Denn insoweit fehlt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage, der Bedeutung über den hier vorliegenden Einzelfall hinaus beigemessen werden könnte. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Frage der Wirksamkeit einer Aufrechnung in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung hat, weil ihre Beantwortung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängig ist.
Das gilt insbesondere für die im Streitfall vorliegende Aufrechnung gegenüber einem Neugläubiger nach § 406 BGB. Hier kommt es für die Zulässigkeit der Aufrechnung auch auf die Zeitpunkte an, zu denen der Aufrechnende die ihm zustehende Forderung erworben, er von der Abtretung der Gegenforderung Kenntnis erlangt und zu denen seine Forderung und die abgetretene Forderung fällig geworden sind (§ 406 Halbsatz 2 BGB). Wie sich aus der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt, hält die Klägerin die ihr gegenüber erklärte Aufrechnung nur in Höhe eines Teilbetrags (300 DM) für zulässig. Dabei stützt sie sich offensichtlich auf die Regelung des § 406 Halbsatz 2 BGB, denn sie stellt auf die Rückstände (Fälligkeit) der Raten der Aufrechnungsforderung im Zeitpunkt des Zugangs der Abtretungsanzeige beim FA ab. Der Senat hat im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, ob das FG bei der angefochtenen Entscheidung die Einschränkungen einer Aufrechnung gegenüber dem Neugläubiger, die sich aus dieser Vorschrift ergeben, zutreffend berücksichtigt hat. Auch eine Verletzung des § 406 Halbsatz 2 BGB durch die Vorinstanz könnte die Zulassung der Revision nicht begründen. Denn die Klägerin hat in diesem Zusammenhang keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend gemacht, sondern lediglich die Richtigkeit des vom FG gefundenen Ergebnisses in Zweifel gezogen.
Fundstellen
Haufe-Index 414545 |
BFH/NV 1986, 745 |