Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung; Entstehung eines Haftungsanspruchs

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Frage der Auslegung einer Aufrechnungserklärung des FA.

2. Die Aufrechnung des Schuldners mit einer Gegenforderung kann dem Abtretungsempfänger der Hauptforderung keine Rechte (Einwendungsbefugnisse) in Bezug auf die Gegenforderung verleihen, da er durch die Abtretung in dieses (Steuer-)Schuldverhältnis nicht einbezogen worden ist.

3. Der Haftungsanspruch des FA entsteht, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen des Haftungstatbestandes erfüllt sind; es bedarf hierzu nicht des Erlasses eines Haftungsbescheids.

4. Zur Aufrechnung des FA gegenüber dem Neugläubiger eines Steuererstattungsanspruchs nach § 406 BGB.

 

Normenkette

AO 1977 § 191 Abs. 3 S. 3, § 220 Abs. 2, §§ 226, 254, 34, 37 Abs. 1, §§ 38, 46, 69; BGB §§ 387-388, 406, 387 ff.

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 31.10.1995; Aktenzeichen 4 K 2438/91)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Steuerberatungsgesellschaft, ließ sich von den Eheleuten S deren Einkommensteuererstattungsansprüche für 1988 abtreten. Die Abtretungsanzeige der Klägerin ging am 5. Januar 1990 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein.

Wegen nicht abgeführter Lohn- und Kirchensteuer für die Monate Oktober und November 1989 nahm das FA den Ehemann NS als Geschäftsführer einer GmbH nach § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Haftungsbescheid vom 28. März 1990 --Zahlungsaufforderung bis zum 30. April 1990-- in Anspruch. Der gegen den Haftungsbescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Mit Verfügung vom 21. Mai 1990 teilte das FA der Klägerin mit, es könne der Abtretungsanzeige nicht entsprechen, da mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis habe aufgerechnet werden müssen, die bereits vor dem Eingang der Abtretungsanzeige fällig geworden seien. ++/ Es buchte den im Einkommensteuerbescheid 1988 der Eheleute S festgesetzten Erstattungsbetrag und einen Anspruch auf Auszahlung einer Arbeitnehmersparzulage auf die Haftungsschuld des NS um. /++ In dem auf Antrag der Klägerin erteilten Abrechnungsbescheid stellte das FA fest, daß der abgetretene Erstattungsanspruch, soweit er auf den Ehemann NS entfiel, durch Aufrechnung mit dem gegenüber NS bestehenden Haftungsanspruch erloschen sei.

Die nach erfolglosem Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid erhobene Klage der Klägerin wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das FG führte im wesentlichen aus, die Verfügung des FA vom 21. Mai 1990 stelle eine Aufrechnungserklärung gegenüber der Klägerin als Neugläubigerin i.S. des § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dar, da in ihr der Wille des FA zur Tilgung und Verrechnung klar und unzweideutig zum Ausdruck komme. Auch seien die Ausnahmetatbestände, die nach § 406 BGB die Aufrechnung hindern könnten, im Streitfall nicht erfüllt. Das FA habe seine Gegenforderungen bereits vor dem Zugang der Abtretungsanzeige erworben, da der Haftungsanspruch hinsichtlich der Lohn- und Kirchensteuer für Oktober und November 1989 spätestens am 10. Dezember 1989 entstanden sei. Die Entstehung des Haftungsanspruchs setze keine Festsetzung durch einen Haftungsbescheid und keine Fälligkeit voraus. Im übrigen sei der Haftungsanspruch nach dem im Bescheid enthaltenen Leistungsgebot bereits am 30. April 1990 und damit früher als der abgetretene Erstattungsanspruch fällig geworden, so daß auch das zweite Aufrechnungshindernis gemäß § 406 BGB nicht gegeben sei. Wegen der Begründung des FG im einzelnen wird auf die Urteilsveröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 252 Bezug genommen.

Mit der Revision rügt die Klägerin ++/ die Verletzung formellen (hier: mangelnde Sachverhaltsaufklärung) und materiellen Rechts.

Sie macht geltend, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß in dem Schreiben des FA vom 21. Mai 1990, nach dem "aufgerechnet werden mußte", eine wirksame Aufrechnungserklärung gegenüber der Neugläubigerin zu sehen sei. Die Verfügung stehe unter der Bedingung, daß noch nicht aufgerechnet worden sei, die Forderung also noch bestehe; die Aufrechnungserklärung sei aber bedingungsfeindlich (§ 388 Satz 2 BGB). Der Wirksamkeit der Aufrechnung stehe im Hinblick auf die gebotene Rechtssicherheit auch entgegen, daß nicht mit hinreichender Deutlichkeit ersichtlich sei, ob es sich hier um eine gewollte Aufrechnungserklärung handele und nicht nur um einen rechtlichen Hinweis, und daß das Schreiben des FA nicht erkennen lasse, ob mit Ansprüchen gegen den Altgläubiger oder gegen die Neugläubigerin aufgerechnet werden solle. Eine Aufrechnung seitens des FA gegenüber dem Neugläubiger, die eindeutig erfolgen müsse, sei im übrigen dann nicht mehr möglich, wenn das FA die Abtretung im Zeitpunkt der Aufrechnung --wie im Streitfall-- gekannt habe (Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 1995 VII R 30/95, BFH/NV 1996, 387, 389).

Soweit das FG ihre (der Klägerin) Einwendungen gegen die Haftungsschuld des NS unter Hinweis auf die Bestandskraft des Haftungsbescheids zurückgewiesen habe, habe es verkannt, daß der Zessionar an die Stelle des Zedenten trete. Der Zessionar sei daher berechtigt, zur Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs alle erforderlichen Anträge zu stellen und alle erforderlichen Einwendungen --hier gegen die Haftungsschuld und den Haftungsbescheid-- vorzubringen; anderenfalls sei er dem weiteren Verhalten des Zedenten und der Finanzbehörde schutzlos ausgeliefert. /++

Zu Unrecht habe das FG die Aufrechnungsbefugnis des FA gegenüber der Neugläubigerin nach § 406 BGB bejaht und das Vorliegen der dort normierten Ausnahmetatbestände verneint. Bei richtiger tatsächlicher und rechtlicher Würdigung hätte das FG zu dem Ergebnis kommen müssen, daß das FA bereits beim Erwerb der Forderung aus dem Haftungsbescheid Kenntnis von der Abtretung gehabt habe. Der Anspruch des FA gegen den Haftungsschuldner werde, selbst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Haftung vorlägen, erst mit der Zustellung des Haftungsbescheids fällig; vorher existiere keine Haftungsschuld. Der Haftungsbescheid habe --entgegen der Ansicht des FG-- nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive Bedeutung. Denn im Rahmen einer zweistufigen Prüfung müsse nach Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftungsnorm entschieden werden, ob und wer als Haftungsschuldner in Betracht komme und auch in Anspruch genommen werden solle.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Aufhebung der Vorentscheidung den

Abrechnungsbescheid des FA in der Gestalt der

Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß der an sie

abgetretene Erstattungsanspruch als noch nicht erloschen

festgestellt wird,

++/ 2. das FA zu verurteilen, 4 % Zinsen auf ... DM seit dem

20. Juli 1990 an sie zu zahlen,

3. hilfsweise festzustellen, daß das FA die beantragten

Zinsen schuldet. /++

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

++/ Soweit --in unterschiedlichem Zusammenhang-- Verfahrensfehler des FG (hier jeweils mangelnde Sachaufklärung, § 76 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gerügt worden sind, greifen diese Rügen nicht durch. Insoweit wird gemäß Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung der Revisionsentscheidung abgesehen. /++

Das FG hat zu Recht entschieden, daß der an die Klägerin abgetretene Erstattungsanspruch des NS durch wirksame Aufrechnungserklärung seitens des FA gegenüber der Neugläubigerin (Zessionarin) mit dem gegenüber dem Zedenten (NS) bestehenden Haftungsanspruch, gegen den wegen der Bestandskraft des Haftungsbescheids Einwendungen nicht mehr erhoben werden können, erloschen ist (§ 226 Abs.1 AO 1977 i.V.m. §§ 387, 388, 389 und 406 BGB), ++/ weil die Ausnahmetatbestände, die nach § 406 Halbsatz 2 BGB die Aufrechnung hindern könnten, im Streitfall nicht gegeben sind. Wegen der Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die umfangreichen und sorgfältigen Rechtsausführungen in der Vorentscheidung Bezug. Die dagegen von der Revision erhobenen Einwendungen greifen aus den nachfolgenden Gründen nicht durch:

1. Die Auffassung der Vorinstanz, daß das Schreiben (Verfügung) des FA vom 21. Mai 1990 an die Klägerin eine wirksame Aufrechnungserklärung enthalte, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 133, 157 BGB, § 118 Abs.2 FGO). Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist für die Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) eine besondere Form nicht vorgeschrieben. Sie kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssige --dem Erklärungsempfänger erkennbare-- Handlung erfolgen (Urteil des Senats vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 525). Um wirksam sein zu können, muß sie den Willen des Erklärenden zur Tilgung und Verrechnung klar und unzweideutig erkennen lassen. Eine Nichtbezeichnung der Forderung, mit der aufgerechnet werden soll, steht, wie sich aus § 396 Abs.1 Satz 2 BGB ergibt, der Wirksamkeit einer Aufrechnungserklärung nicht entgegen. Die Konkretisierung der Gegenforderung muß allerdings bei einem gerichtlichen Streit über die Wirksamkeit der Aufrechnung bis spätestens zum Schluß der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. November 1983 VII R 153/82, BFHE 140, 10, BStBl II 1984, 184, und in BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 525, m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht die Verfügung vom 21. Mai 1990 als Aufrechnungserklärung des FA gegenüber der Klägerin angesehen. Sie ist an die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Abtretungsempfängerin und damit Neugläubigerin i.S. des § 406 BGB adressiert worden und --wie sich aus dem nachfolgenden Schriftverkehr ergibt und von der Revision nicht bestritten wird-- dieser auch zugegangen. Soweit das FA mit der Formulierung in der Verfügung, daß "aufgerechnet werden mußte" (Vergangenheitsform), davon ausgegangen sein sollte, es habe bereits durch die verwaltungsinternen Umbuchungsanweisungen an die Finanzkasse oder die bloßen Kassenumbuchungen wirksam aufgerechnet, steht dies der Beurteilung der Verfügung vom 21. Mai 1990 als der maßgeblichen empfangsbedürftigen und wirksamen Aufrechnungserklärung i.S. des § 388 BGB nicht entgegen. Auf etwaige vorausgegangene Aktenvermerke oder verwaltungsinterne Mitteilungen über die Aufrechnung, auf die sich das Revisionsvorbringen bezieht, kommt es nicht an. Jedenfalls kommt in der Verfügung an die Klägerin der (fortdauernde) Wille des FA zur Tilgung und Verrechnung der abgetretenen Forderung klar und unzweideutig zum Ausdruck. Soweit die Revision in der für die Aufrechnungserklärung gewählten Formulierung eine nach § 388 Satz 2 BGB unzulässige Bedingung sieht, kann der Senat dies nicht nachvollziehen.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, hat das FA die Konkretisierung der zur Aufrechnung gestellten Forderung der Klägerin gegenüber jedenfalls durch die auf deren Informationsbegehren hin ergangene Verfügung vom 6. Juni 1990 nachgeholt, indem es den Haftungsanspruch gegenüber NS benannt und die Aufrechnung gegenüber der Klägerin als Neugläubigerin nach § 406 BGB näher erläutert hat. Damit ist --entgegen der Auffassung der Revision-- mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden, daß es sich bei den Verfügungen vom 21. Mai und 6. Juni 1990 um eine tatsächlich gewollte Aufrechnungserklärung und zwar mit Ansprüchen des FA gegen den Altgläubiger handelt, und nicht nur --wie in dem von der Revision zitierten Urteilsfall in BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 525-- um einen rechtlichen Hinweis auf eine Aufrechnung, die dort als zukünftige mit nicht näher bestimmten Gegenforderungen lediglich angekündigt worden war.

Das Urteil des erkennenden Senats in BFH/NV 1996, 387, auf das sich die Klägerin beruft, steht ebenfalls der Entscheidung des FG und den vorstehenden Ausführungen über die Wirksamkeit der vom FA gegenüber der Klägerin erklärten Aufrechnung nicht entgegen. Auch im dortigen Urteilsfall war --wie in der Entscheidung ausgeführt-- seitens des FA in dem Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Zedenten eine bestimmte --wirksame-- Aufrechnungserklärung nicht abgegeben, sondern lediglich die zukünftige Aufrechnung in Aussicht gestellt worden. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat der Senat dort nicht entschieden, eine Aufrechnung des FA gegenüber dem Neugläubiger sei dann nicht mehr möglich, wenn das FA die Abtretung im Zeitpunkt der Aufrechnung gekannt habe. Vielmehr ist an der von der Klägerin zitierten Urteilsstelle (BFH/NV 1996, 387, 389 m.Sp. 1. Abs.) ausgeführt worden, daß der Neugläubiger eine Aufrechnung durch das FA gegenüber dem bisherigen Gläubiger nach § 407 Abs.1 Halbsatz 2 BGB nicht gegen sich gelten zu lassen braucht, weil (wenn) das FA die Abtretung des Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt seiner Aufrechnung gekannt hat. Im Streitfall ist aber nicht --wie in dem zitierten Urteilsfall-- die Wirksamkeit einer Aufrechnung gegenüber dem bisherigen Gläubiger nach § 407 BGB, sondern die Wirksamkeit einer Aufrechnung des FA gegenüber der Klägerin als Neugläubigerin nach § 406 BGB zu beurteilen.

2. Mit Recht ist das FG davon ausgegangen, daß dem FA die zur Aufrechnung verwendete Gegenforderung, nämlich der Haftungsanspruch gegen NS, den bisherigen Gläubiger des abgetretenen Steuererstattungsanspruchs, zugestanden hat und die Klägerin als Zessionarin des Erstattungsanspruchs wegen der eingetretenen Bestandskraft des Haftungsbescheids Einwendungen gegen das Bestehen des Haftungsanspruchs --ebenso wie der Zedent-- nicht mehr geltend machen kann.

Zwischen den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits ist --wie in Rechtsprechung und Schrifttum-- streitig, ob der Abtretungsempfänger eines Steuererstattungsanspruchs materiell und verfahrensrechtlich in vollem Umfang an die Stelle des Abtretenden tritt, mit der Folge, daß er alle Rechte und Pflichten im Steuerfestsetzungs- und Erhebungsverfahren erhält (so Hoffmann in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 46 Rz.4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 46 AO 1977 Tz.10 bis 11 a, m.w.N), oder ob er nur den reinen Zahlungsanspruch, d.h. die Rechtsstellung des bisherigen Erstattungsgläubigers im Erhebungsverfahren, erlangt (so der BFH, vgl. Beschluß vom 27. Januar 1993 II S 10/92, BFH/NV 1993, 350, m.w.N.; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 46 Anm.5). Der Streitfall bietet keinen Anlaß zur Auseinandersetzung mit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Auch die weitergehende --vom BFH bisher abgelehnte-- Auffassung von den Rechtswirkungen der Abtretung, die dem Abtretungsempfänger ein Recht zur verfahrensrechtlichen Geltendmachung, Einspruchseinlegung und Klageerhebung sowie einen Anspruch auf Beiladung zum Verfahren zubilligt, bezieht diese Rechte auf den abgetretenen Anspruch als solchen (vgl. § 398 Satz 2 BGB) und nicht auf sämtliche anderen Rechtsbeziehungen und Ansprüche, die sich aus dem Steuerschuldverhältnis des Zedenten zum FA ergeben. Die hier streitigen Einwendungen der Klägerin betreffen aber nicht den Bestand und die verfahrensrechtliche Durchsetzung des an sie abgetretenen Steuererstattungsanspruchs des NS, sondern die Haftungsschuld des Zedenten, die das FA zur Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch verwendet hat. Die Aufrechnung des Schuldners mit einer Gegenforderung kann aber dem Abtretungsempfänger der Hauptforderung keine Rechte in Bezug auf die Gegenforderung verleihen, da er durch die Abtretung in dieses (Steuer-)Schuldverhältnis nicht einbezogen worden ist.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin als Zessionarin der Hauptforderung jedenfalls keine weitergehenden Einwendungen gegen die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung (Haftungsanspruch des FA) erheben, als deren Schuldner, der bisherige Gläubiger des Erstattungsanspruchs. Seit der Bestandskraft des Haftungsbescheids sind somit auch Einwendungen der Klägerin gegen das Bestehen des Haftungsanspruchs ausgeschlossen. /++

3. Nach § 406 BGB kann der Schuldner (hier: das FA) eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger (hier: der Klägerin) gegenüber aufrechnen, es sei denn, daß er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte (Ausnahme 1) oder daß die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist (Ausnahme 2). Mit Recht hat das FG entschieden, daß im Streitfall einer der gesetzlichen Ausnahmetatbestände nicht vorgelegen hat, so daß das FA gegenüber der Klägerin als der neuen Gläubigerin aufrechnen konnte.

a) Das FA (Schuldner) hatte bei dem Erwerb des Haftungsanspruchs gegenüber dem bisherigen Gläubiger NS (Gegenforderung) von der Abtretung des Steuererstattungsanspruchs (Hauptforderung) keine Kenntnis. Denn der Haftungsanspruch des FA hinsichtlich der nicht abgeführten Lohnsteuer und Kirchensteuer für die Monate Oktober und November 1989 ist spätestens am 10. Dezember 1989 entstanden, d.h. vom FA i.S. des § 406 BGB erworben worden, während die Abtretung des Steuererstattungsanspruchs an die Klägerin dem FA erst am 5. Januar 1990 angezeigt worden ist.

Nach § 406 BGB genügt es zur Erhaltung der Aufrechnungsmöglichkeit auch gegenüber dem Neugläubiger, daß der Rechtsgrund der zur Aufrechnung verwendeten Gegenforderung zur Zeit (der Kenntnis von) der Abtretung bereits bestanden hat. Die Gegenforderung muß --entgegen der Auffassung der Revision-- zu diesem Zeitpunkt nicht fällig sein; zum Ausschluß auch des zweiten gesetzlichen Ausnahmetatbestandes genügt es vielmehr, daß die Gegenforderung spätestens zugleich mit der abgetretenen Forderung fällig wird (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 27. April 1972 II ZR 122/70, BGHZ 58, 327, m.w.N.). Da somit die Gegenforderung zur Zeit der Abtretung lediglich "dem Rechtsgrund nach" gegeben sein muß, reicht hierfür bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 Abs.1 AO 1977) der materiell-rechtliche Entstehungstatbestand i.S. von § 38 AO 1977 aus. Danach entsteht ein Haftungsanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Das bedeutet, daß die Voraussetzungen des Haftungstatbestands erfüllt sein müssen; wegen der Akzessorietät des Haftungsanspruchs ist hierfür im Regelfall (Ausnahme z.B. § 76 AO 1977) weiter erforderlich, daß auch die Steuerschuld, für die gehaftet werden soll, entstanden ist und noch besteht (vgl. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10.Aufl., § 38 AO 1977 Anm.84; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 191 AO 1977 Anm.16; Halaczinsky in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 191 Rz.10; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 38 AO 1977 Tz.2; ähnlich: Mösbauer, Inanspruchnahme durch Steuerhaftungsbescheid, Deutsches Steuerrecht 1984, 94, 96: Tatbestandsverwirklichung in dem Zeitpunkt, in dem die Steuerschuld bei pflichtgemäßem Verhalten des Steuerschuldners bzw. dessen Vertreters fällig geworden wäre).

Für die Entstehung des Haftungsanspruchs als abstrakten, materiell-rechtlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§§ 37 Abs.1, 38 AO 1977) bedarf es deshalb --entgegen der Auffassung der Klägerin-- nicht des Erlasses eines Haftungsbescheids (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 524, zu der entsprechenden Rechtslage und Unterscheidung zwischen Entstehung und Festsetzung des Steueranspruchs). Der Haftungsbescheid konkretisiert lediglich den bereits entstandenen Haftungsanspruch und bildet die Grundlage für die Verwirklichung dieses Anspruchs (§ 218 Abs.1 AO 1977; Boeker, a.a.O., § 191 AO 1977 Anm.98; Tipke/Kruse, a.a.O., § 191 AO 1977 Tz.3; Dumke in Schwarz, Abgabenordnung, § 191 Anm.8; Ehlers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Vor § 69 bis 71 AO 1977 Rz.11). Der Haftungsbescheid hat demnach --wie das FG ausgeführt hat-- ebenso wie der Steuerbescheid keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Bedeutung.

Dem steht --entgegen der Auffassung der Revision-- nicht entgegen, daß die Entscheidung der Finanzbehörde über die Geltendmachung der Haftung auf zwei Stufen zu treffen ist (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 AO 1977 Tz.14). Bereits die Prüfung auf der ersten Stufe, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung erfüllt sind, beantwortet die Frage nach der Entstehung des Haftungsanspruchs; auf der zweiten Stufe der Ermessensausübung (§ 191 Abs.1 Satz 1 AO 1977: ... "kann" ...) hat die Finanzbehörde sodann zu entscheiden, ob und ggf. welchen der Haftungsschuldner, gegen den der Haftungsanspruch materiell-rechtlich gegeben ist, sie durch Haftungsbescheid in Anspruch nehmen will.

Die vorstehende Auffassung von der Entstehung des Haftungsanspruchs bereits mit der Erfüllung der Voraussetzungen der Haftungsnorm unabhängig von dem Erlaß des Haftungsbescheids entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (vgl. BFH-Urteil vom 2. Mai 1984 VIII R 239/82, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695, und Senatsurteil vom 14. März 1989 VII R 152/85, BFHE 156, 73, 76, BStBl II 1990, 363 --Entstehung des Haftungsanspruchs nach § 128 des Handelsgesetzbuches vor Bekanntgabe des Haftungsbescheids und Fälligkeit--). Wenn auch eine eigenständige Begründung dieser Rechtsauffassung nur dem zu § 116 der Reichsabgabenordnung (AO) ergangenen Urteil in BFHE 141, 312, 314, BStBl II 1984, 695 entnommen werden kann, so kann --wie das FG ausgeführt hat-- für Haftungsansprüche nach der AO 1977 nichts anderes gelten. Zwar sind nunmehr die Regelungen für Steuerpflichtige und Steuerbescheide nicht mehr ohne weiteres auf Haftungsschuldner und Haftungsbescheide anwendbar (vgl. hierzu für die alte Rechtslage § 97 Abs.2 AO). Die Entstehung sowohl der Steueransprüche als auch der Haftungsansprüche ist aber --wie ausgeführt-- nach § 38 AO 1977 wie früher gemäß § 3 Abs.1 und Abs.2 des Steueranpassungsgesetzes allein von der Verwirklichung des jeweiligen materiell-rechtlichen Tatbestandes und nicht von der Festsetzung der Ansprüche durch Steuer- oder Haftungsbescheid abhängig. Im übrigen folgt auch aus der Regelung in § 191 Abs.3 Satz 3 AO 1977 über den Beginn der Festsetzungsfrist für den Haftungsanspruch mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft, daß die Entstehung des Anspruchs von dessen Festsetzung durch einen Haftungsbescheid unabhängig ist; denn der Beginn der Festsetzungsfrist setzt die Entstehung des Anspruchs voraus.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Altgläubiger NS als Geschäftsführer der von ihm vertretenen GmbH den Haftungstatbestand gemäß §§ 34, 69 AO 1977 spätestens am 10. Dezember 1989 erfüllt hat, weil er die bis zu diesem Fälligkeitszeitpunkt abzuführende Lohnsteuer und Kirchensteuer für November 1989 nicht an das FA entrichtet hat. Der Haftungsanspruch, gegen den Einwendungen --wie oben ausgeführt-- wegen der Bestandskraft des Haftungsbescheids ausgeschlossen sind, ist damit spätestens am 10. Dezember 1989, und damit vor der Kenntniserlangung des FA von der Abtretung des Steuererstattungsanspruchs (5. Januar 1990) entstanden. Da es auf den späteren Erlaß des Haftungsbescheids vom 28. März 1990 für die Entstehung des Anspruchs nicht ankommt, war das FA nach § 406 BGB befugt, mit seiner vor Kenntnis der Abtretung des Erstattungsanspruchs erworbenen Gegenforderung auch der Klägerin als Neugläubigerin gegenüber aufzurechnen. ++/ Auf den vom FG angesprochenen Zeitpunkt der Entstehung bzw. des Erwerbs des Haftungsanspruchs hinsichtlich der Säumniszuschläge kommt es nicht an, weil bereits die Aufrechnung mit dem Haftungsanspruch hinsichtlich der nicht an das FA abgeführten Steuerabzugsbeträge den an die Klägerin abgetretenen Steuererstattungsanspruch des NS zum Erlöschen gebracht hat. /++

b) Zu Recht hat das FG entschieden, daß auch der die Aufrechnung gegenüber dem Neugläubiger nach § 406 BGB hindernde zweite Ausnahmetatbestand --Fälligkeit der Gegenforderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung-- nicht vorliegt. Der Haftungsanspruch des FA als zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ist nach dem in den Haftungsbescheid enthaltenen Leistungsgebot mit dem Ablauf der eingeräumten Zahlungsfrist zum 30. April 1990 fällig geworden (§ 220 Abs.2 Satz 1 2.Alternative AO 1977; vgl. Urteil des Senats in BFHE 156, 73, 75, BStBl II 1990, 363). Damit ist die Gegenforderung zwar nach der Erlangung der Kenntnis von der Abtretung (5. Januar 1990), aber nicht --wie der Ausschlußtatbestand weiter voraussetzt-- später als die abgetretene Forderung fällig geworden; denn die Fälligkeit des abgetretenen Steuererstattungsanspruchs ist --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- jedenfalls nicht vor der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 1988 an die Zedenten (Eheleute S), die nach den Feststellungen des FG am 21. Mai 1990 erfolgt ist, eingetreten (§ 220 Abs.2 Satz 2 AO 1977).

Die Klage gegen den angefochtenen Abrechnungsbescheid ist damit vom FG zu Recht abgewiesen worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66111

BFH/NV 1997, 209

BFH/NV 1997, 209-212 (Leitsatz und Gründe)

BStBl II 1997, 171

BFHE 181, 392

BFHE 1997, 392

BB 1997, 354 (Leitsatz)

DB 1997, 1064 (Leitsatz)

DStR 1997, 241-243 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 219 (Leitsatz)

DStZ 1997, 575 (Leitsatz)

HFR 1997, 205-206 (Leitsatz)

StE 1997, 113 (Kurzwiedergabe)

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