Entscheidungsstichwort (Thema)
Einwendungen gegen den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts; Anforderungen an die Schlüssigkeit des Tatsachenvortrags im Rahmen einer Revision nach § 116 FGO
Leitsatz (NV)
1. Die Verweigerung der Akteneinsicht, die Ablehnung einer beantragten Terminverlegung sowie die Verletzung rechtlichen Gehörs, der Sachaufklärungspflicht und der Pflicht zur umfassenden Würdigung des Sachverhalts betreffen nicht die in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten Verfahrensfehler.
2. Die Rüge, das FG sei aufgrund einer rechtswidrigen Änderung des Geschäftsverteilungsplans nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) hat nur Erfolg, wenn diese Änderung willkürlich war.
3. Nach Ablauf der (verlängerten) Revisionsbegründungsfrist kann eine weitere Fristverlängerung nicht beantragt werden.
4. Für einen Wiedereinsetzungsantrag i. S. d. § 56 Abs. 1 FGO ist die rechtzeitige Absendung eines Antrags nur glaubhaft gemacht, wenn konkrete Angaben vorliegen, wann, von wem und in welcher Form die Sendung zur Post gegeben wurde.
Normenkette
FGO §§ 4, 56 Abs. 1, § 116 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2; GVG § 21e Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wenden sich gegen die aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Einkommensteueränderungsbescheide des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) für die Streitjahre 1981 und 1983 bis 1985.
Ihre nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründeten sie auch nach zweimaliger Aufforderung des Finanzgerichts (FG) nicht.
Nachdem der . . . Senat des FG durch Beschluß des Präsidiums vom 17. Mai 1989 mit Wirkung ab dem 1. Juni 1989 für die Klage zuständig geworden war und den Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hatte, beantragten die Kläger, den festgesetzten Termin wegen anderer terminlicher Verpflichtungen ihres Prozeßbevollmächtigten zu verlegen. Diesen Antrag lehnte der Vorsitzende des FG-Senats ab. Dagegen haben die Kläger die unter dem Aktenzeichen . . . geführte Beschwerde erhoben, die der Senat mit Beschluß als unzulässig abgewiesen hat.
Gleichzeitig mit der Beschwerde lehnten die Kläger - im Hinblick auf die Ablehnung der Terminverlegung - den Vorsitzenden Richter am FG A und den Richter am FG B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das FG wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Dagegen haben die Kläger innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist keine Beschwerde erhoben.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab.
Der Revisions- und Beschwerdeschriftsatz enthält den Antrag, den Revisionsantrag und die Revisionsbegründung nach Entscheidung des Senats über die Nichtzulassungsbeschwerde vorlegen zu dürfen.
Auf die am 8. November 1989 zugegangene Mitteilung des Senats, eine Fristverlängerung bis zur Entscheidung über die Beschwerden komme nicht in Betracht, sowie auf die damit verbundene Anregung, wegen der am 16. November 1989 ablaufenden Begründungsfrist eine kurzfristige Fristverlängerung zu beantragen, begehrten die Kläger Fristverlängerung bis zum 10. März 1990 und rügten - unter Bezugnahme auf das schon (für die Beschwerdeverfahren) Vorgebrachte - die Verletzung formellen Rechts.
Am 19. März 1989 ging bei dem Bundesfinanzhof (BFH) ein auf den 8. März 1990 datiertes Schreiben mit Poststempel vom 16. März 1990 ein, mit dem die Kläger weitere Fristverlängerung für die Vorlage der Revisionsbegründung bis zum 30. April 1990 beantragten.
Auf den Hinweis des Vorsitzenden des Senats, eine weitere Fristverlängerung komme wegen Ablaufs der - verlängerten - Begründungsfrist nicht in Betracht, beantragten die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führten sie aus, der verspätete Zugang des Schreibens sei unerklärlich, da es ausweislich des Postausgangsbuchs mit der übrigen Post abgeschickt worden sei. Im Hinblick darauf hätten sie davon ausgehen können, daß das Schreiben dem BFH bis zum 10. März 1990 (2 Tage Postlaufzeit) zugehen würde.
Mit Beschluß vom heutigen Tage hat der Senat die unter dem Aktenzeichen . . . geführte Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Sie ist allerdings - nach Ablehnung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluß des Senats vom heutigen Tage - als zulassungsfreie Verfahrensrevision gemäß § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaft.
2. Die innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist vorgelegte Begründung entspricht jedoch nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO.
a) Danach muß die Revision oder die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit - wie hier - Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.
Dabei genügen Verfahrensrügen nur dann den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO, wenn der Revisionskläger schlüssig Tatsachen bezeichnet, aus denen sich das Vorliegen eines Verfahrensmangels ergibt, und darlegt, daß das angefochtene Urteil auf diesem Mangel beruhen kann (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1973 V R 130/69, BFHE 110, 493, BStBl II 1974, 219, und vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, BStBl II 1981, 443, sowie Beschlüsse vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384, und vom 23. Oktober 1985 I R 242/82, BFH/NV 1986, 613).
b) Diesen Anforderungen entsprechen die Ausführungen im Schriftsatz der Kläger vom 15. November 1989 nicht.
aa) Soweit die Kläger die Revision mit der Verweigerung der Akteneinsicht, der fehlenden Gewähr rechtlichen Gehörs sowie der Verletzung der Sachaufklärungspflicht und der Pflicht zur umfassenden Würdigung des Sachverhalts begründen, betreffen die Rügen keine Verfahrensfehler i. S. des § 116 Abs. 1 FGO, sondern nur solche, die ausschließlich mit der - hier erfolglos gebliebenen - Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht werden können.
Insbesondere ist die Ablehnung der beantragten Terminverlegung durch das FG kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO (BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401). Diese Vorschrift setzt voraus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und den Beteiligten dadurch die Teilnahme unmöglich gemacht hat (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447, und Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948). Ein solcher Fall fehlender Vertretung liegt insbesondere vor, wenn der Kläger nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401). Derartige Verfahrensverstöße haben die Kläger indessen nicht gerügt.
Die Ablehnung der Terminverlegung stellt demnach allenfalls eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar, die nicht zu den in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten Verfahrensmängeln gehört und deshalb nur mit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO geltend gemacht werden kann (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401).
bb) Für die Rüge der Kläger, daß das FG nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), haben die Kläger ebenfalls keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein derartiger Verfahrensmangel schlüssig ergibt.
Wird mit der Revisionsrüge ein Verstoß gegen einen gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan oder dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht, obliegt es dem Kläger, konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung des Gerichts zu ermitteln und auf der Grundlage der ihm erteilten Auskunft oder der ihm möglichen Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan Tatsachen darzulegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmängel ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 1987 X R 15/81, BFH/NV 1988, 446 m. w. N.).
Derartige Tatsachen haben die Kläger nicht dargelegt. Ihre Behauptung, die für die Änderung der Geschäftsverteilung des FG ursächliche Überbelastung des früher für die Sache zuständig gewesenen . . . Senats beruhe auf dem Verschulden seiner Mitglieder, ist objektiv nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans in Frage zu stellen.
Nach § 4 FGO i. V. m. § 21 e Abs. 3 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) dürfen Geschäftsverteilungspläne im Laufe des Geschäftsjahres geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Die Gründe für eine ggfs. vorliegende Überbelastung sind nach der in § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG getroffenen Regelung ohne Bedeutung; im übrigen obliegt die Feststellung der Überbelastung der pflichtgemäßen Beurteilung durch das Präsidium, die vom Revisionsgericht nur auf Willkür überprüft werden darf (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 26. Januar 1977 2 StR 613/76, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1977, 965; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 48. Aufl., Anm. 3 B zu § 21 e GVG m. w. N.).
Anhaltspunkte für eine derartige willkürliche Änderung der Geschäftsverteilung durch das Präsidium des FG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
cc) Ob die in dem Schriftsatz der Kläger vom 15. November 1989 enthaltene pauschale Bezugnahme auf früheres Vorbringen (im Beschwerdeverfahren) auch die Rüge der Mitwirkung befangener Richter an der FG-Entscheidung umfaßt, kann schon deshalb dahinstehen, weil eine darauf bezogene Rüge keinen der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel, insbesondere nicht den Mangel gesetzwidriger Besetzung des Gerichts (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), betrifft und diese Rüge im übrigen unzulässig ist, nachdem die Kläger gegen die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs durch das FG innerhalb der Beschwerdefrist keine Beschwerde eingelegt haben (vgl. BFH-Beschluß v. 30. Nov. 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, m.w.N.).
3. Die Sache ist entscheidungsreif.
a) Eine weitere Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision aufgrund des am 19. März 1990 eingegangenen Antrags der Kläger auf Fristverlängerung kommt schon nach § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO wegen Ablaufs der (verlängerten) Revisionsbegründungsfrist nicht in Betracht (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., Tz. 25 zu § 120).
b) Den Klägern ist insoweit auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) zu gewähren.
Die Kläger haben nicht i. S. d. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO glaubhaft gemacht, daß ihr Prozeßbevollmächtigter ohne - ihnen ggf. zuzurechnendes - Verschulden gehindert war, den Fristverlängerungsantrag innerhalb der - verlängerten - Revisionsbegründungsfrist zu stellen.
Diese Voraussetzung wäre nur gegeben, wenn die Kläger Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht hätten, die ihren Prozeßbevollmächtigten zu Recht hätten veranlassen können, von der rechtzeitigen Zustellung des Fristverlängerungsantrags auszugehen (vgl. BFH-Uteil vom 10. Dezember 1974 VIII R 128/70, BFHE 114, 330, BStBl II 1975, 338, m. w. N.). Insoweit hätte es zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung des Antrags konkreter Angaben darüber bedurft, wann, von wem und in welcher Form die Sendung zur Post gegeben wurde (vgl. BFH-Beschluß vom 28. Februar 1985 VIII R 261/84, BFH/NV 1986, 30).
Derartige Angaben sind dem Wiedereinsetzungsgesuch der Kläger nicht zu entnehmen.
Sie beschränken sich unter Hinweis auf eine beigefügte Kopie aus dem Postausgangsbuch ihres Porzeßbevollmächtigten auf die nicht näher erläuterte Behauptung, das Schreiben sei am 8. März 1990 zusammen mit anderer Post ,,ausgelaufen". Wer die Sendung zur Post gegeben hat, an welchem Tag und zu welcher Tageszeit dies geschehen ist, und ob die Sendung in einen Briefkasten eingeworfen oder bei einem Postamt eingeliefert worden ist, wird nicht mitgeteilt.
Infolgedessen ist nicht glaubhaft gemacht, daß der Antrag auf Fristverlängerung tatsächlich an dem im Postausgangsbuch bezeichneten Datum - 8. März 1990 - zur Post gegeben worden ist.
Im Hinblick darauf kann dahinstehen, ob schon aufgrund des auf der Postsendung befindlichen Poststempels vom 16. März 1990 davon auszugehen ist, daß die Sendung erst zu jenem Zeitpunkt und damit erst nach Ablauf der verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 10. März 1990 abgesandt wurde.
Denn nach ständiger Rechtsprechung ist im Regelfall dem Poststempel auf dem Briefumschlag zu entnehmen, wann eine Sendung in den Postbetrieb gelangt ist (vgl. BFH-Urteile vom 9. Oktober 1962 I 313/61 U, BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25, und vom 18. Juli 1986 III R 216/81, BFH/NV 1987, 12 sowie Beschluß vom 8. Oktober 1985 VIII R 224/84, BFH/NV 1986, 226, m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 417363 |
BFH/NV 1991, 826 |