Leitsatz (amtlich)

Stellt der Revisionskläger einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist kurz vor Ablauf der Frist, so trifft ihn kein Verschulden an der Versäumung der Begründungsfrist, wenn er es unterläßt, sich vor Ablauf der Frist nach dem Schicksal seines Verlängerungsantrags zu erkundigen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Das FG hat die Klage, mit der die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Investitionszulage nach § 19 des Berlinhilfegesetzes 1964 für eine aus lose aufgelegten Großflächenplatten im Jahre 1967 hergestellte Hofbefestigung beantragt hatte, abgewiesen. Das FG-Urteil wurde der Klägerin am 7. August 1970 zugestellt. Die Revisionsfrist begann danach mit dem Ablauf des 7. August 1970 und endete mit dem Ablauf des 7. September 1970; die Revisionsbegründungsfrist begann mit dem Ablauf des 7. September 1970 und endete, weil sie vom Vorsitzenden des erkennenden Senats verlängert worden war, mit dem Ablauf des 30. November 1970. Die Revision ging rechtzeitig innerhalb der Revisionsfrist ein. Dagegen ging die Revisionsbegründung nicht innerhalb der verlängerten Frist beim BFH ein. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin wurde vom Vorsitzenden des erkennenden Senats durch Schreiben vom 4. Dezember 1970 auf den verspäteten Eingang eines weiteren Verlängerungsantrags hingewiesen und ihm anheimgestellt, innerhalb der nach § 56 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Frist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin stellte rechtzeitig den Antrag nach § 56 FGO, den er damit begründete, daß er einen Antrag auf weitere Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist am 27. November 1970 in Berlin zur Post gegeben habe, so daß er rechtzeitig vor Ablauf des 30. November 1970 hätte beim BFH eingehen müssen. Er reichte auch rechtzeitig die Revisionsbegründung nach.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Entgegen der Ansicht des FA hat der Vertreter der Klägerin - und damit sie selbst - die Versäumung der Begründungsfrist nicht verschuldet, weil er mit einer Zustellung des Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist vor Ablauf der Frist rechnen konnte. Da nämlich die Post die ihr am Freitag durch die abendlichen Briefkastenleerungen zugehenden Sendungen auch am folgenden Sonnabend üblicherweise weiterbefördert, hätte der Antrag der Klägerin normalerweise mit der allgemeinen Postzustellung beim BFH am Montagvormittag eingehen müssen. Daß der Brief entgegen der allgemeinen Übung erst einen Tag später zugestellt wurde, hat die Klägerin nicht zu vertreten. Der Senat ist allerdings in der Entscheidung vom 2. Mai 1973 VIII R 72/71 (BFHE 109 297, BStBl II 1973, 663) zu der Auffassung gelangt, daß mit einer Beförderung der Post an einem zwischen dem Karfreitag und dem Ostersonntag liegenden Sonnabend nicht gerechnet werden könne. Hierbei handelte es sich aber um einen Ausnahmefall, der nicht auf jeden Sonnabend zutrifft. Die Ansicht des FA, daß vor Ablauf der Begründungsfrist nicht nur der Antrag auf Fristenverlängerung eingehen, sondern dazu auch die Entscheidung des Vorsitzenden vorliegen müsse, vermag der Senat nicht zu teilen. Die Bestimmung des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO, wonach der Antrag vor Ablauf der Frist gestellt werden muß, wäre überflüssig, wenn es nicht auf die Zeit der Antragstellung, sondern auf die Zeit der Entscheidung des Vorsitzenden ankäme (vgl. hierzu Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 1959 VI C 70/58, BVerwGE 10, 75).

Ein Verschulden des Vertreters der Klägerin ist auch nicht darin zu erblicken, daß er es unterließ, sich vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nach dem Schicksal seines Verlängerungsantrags beim BFH zu erkundigen. Der I. Senat des BFH hat zwar in dem Beschluß vom 13. Oktober 1972 I R 99/72 (BFHE 107, 107) und in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom 9. Dezember 1971 I R 179/71 ein Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bei Stellung eines Fristverlängerungsantrags nur dann ausgeschlossen, wenn sich der Antragsteller vor Ablauf der Begründungsfrist nach dem Schicksal seines Antrags erkundigt. Es handelte sich in beiden Entscheidungen jedoch um Fälle, in denen der Antrag mehrere Tage vor Ablauf der Begründungsfrist gestellt worden war. Im vorliegenden Falle hat der Vertreter der Klägerin den Antrag so kurz vor Ablauf der Frist gestellt, daß eine Nachfrage von ihm nicht gefordert werden kann. Im übrigen hat der I. Senat in seinem Urteil vom 10. Juli 1974 I R 223/70 (BFHE 113, 209, BStBl II 1974, 736) die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch das FA, dessen Fristverlängerungsantrag erst nach Ablauf der Frist eingegangen war, als unverschuldet behandelt, ohne zu prüfen, ob das FA Erkundigungen nach dem Schicksal seines Antrags eingezogen hatte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71296

BStBl II 1975, 338

BFHE 1975, 330

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