Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Erteilung der Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Rechtsqualität der Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde nach §2 InvZulG a.F. sowie zu den Bescheinigungsmöglichkeiten, wenn diese Bescheinigung erst nach Stellung des Antrags auf Gewährung der sog. Regionalzulage nach §1 InvZulG a.F. erteilt wird.

2. Im Rahmen der Ermessensausübung nach §138 Abs. 1 FGO hat das Gericht neben dem bisherigen Sach- und Streitstand auch andere Gründe zu berücksichtigen, wenn dies nach dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden sachgerecht ist. So darf auch der Grund, der zur Erledigung der Hauptsache geführt hat, gewürdigt werden.

 

Normenkette

InvZulG a.F. §§ 1-2; FGO § 138 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte für Investitionen im Jahre 1988 (Streitjahr) in Höhe von insgesamt 964 146 DM am 27. September 1989 eine Zulage nach §1 des Investitionszulagengesetzes 1986 (InvZulG 1986). Die nach §2 InvZulG 1986 erforderliche Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde wollte sie nachreichen. In gleicher Weise stellte sie am 28. September 1990 einen Antrag für im Jahre 1989 vorgenommene Investitionen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) lehnte -- zwischen den Beteiligten unstreitig -- die Zulagengewährung für das Jahr 1989 mit Bescheid vom 2. Dezember 1991 ab, weil die Bescheinigung nach §2 InvZulG 1986 noch (immer) nicht vorgelegt worden sei. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Im Verlaufe des Einspruchsverfahrens wurde (am 30. September 1993) die Förderungswürdigkeit des Vorhabens der Klägerin, soweit hier von Bedeutung, bescheinigt. Das FA half dementsprechend dem Einspruch ab und erließ am 2. Dezember 1993 einen Änderungsbescheid.

Ob der Klägerin für das Streitjahr (1988) im Dezember 1991 -- zunächst -- ein entsprechender Ablehnungsbescheid zugegangen war, ist streitig und führte zu dem vorliegenden Rechtsstreit. Die Klägerin bestritt -- als sie im Zusammenhang mit der Gewährung der Zulage für das Jahr 1989 vom FA darauf aufmerksam gemacht wurde -- den Zugang eines solchen Bescheides. Sie begehrte vielmehr, daß das FA über ihren ursprünglichen Antrag vom 27. September 1989 sachlich entscheide.

Das FA lehnte dies mit Bescheid vom 1. März 1994 ab und begründete die Ablehnung damit, daß über den Zulagenantrag bereits mit Bescheid vom 2. Dezember 1991 entschieden worden sei. Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg.

Gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) erhob die Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision. Sie machte geltend, das angefochtene Urteil sei verfahrensfehlerhaft i.S. von §115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zustande gekommen.

Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erließ das FA am 11. Dezember 1997 für das Streitjahr einen überwiegend stattgebenden Bescheid; es gewährte für ein Investitionsvolumen von 863 035 DM eine 8,75 %ige Zulage in Höhe von insgesamt 75 515 DM. Abweichend vom Antrag der Klägerin berücksichtigte es dabei allerdings einige Wirtschaftsgüter nicht, weil diese nicht in der Anlage zur Bescheinigung nach §2 InvZulG 1986 aufgeführt seien.

Die Klägerin und das FA haben daraufhin gleichwohl übereinstimmend erklärt, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei; sie haben allerdings einander widersprechende Anträge zur Kostentragung gestellt. Das FA ist insoweit der Auffassung, die Gewährung der Investitionszulage sei nicht unmittelbar Gegenstand des Klageverfahrens gewesen; dort sei nur streitig gewesen, ob der (ursprüngliche) Ablehnungsbescheid vom 2. Dezember 1991 der Klägerin auch zugegangen sei. Jetzt hingegen sei die Zulage gemäß §175 der Abgabenordnung (AO 1977) gewährt worden, weil die erforderliche Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde eingegangen sei. Die Beschwerde der Klägerin wie auch eine eventuelle Revision hätten keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Urteil des FG.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Der Rechtsstreit ist infolge der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt. Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache kann auch im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde erklärt werden (Beschluß des erkennenden Senats vom 10. April 1997 III B 5/96, BFH/NV 1997, 692). Durch die Erledigungserklärungen ist das angefochtene Urteil einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gegenstandslos geworden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH --vom 25. Juli 1985 VIII R 47/84, BFH/NV 1987, 184, m.w.N.). Der Senat hat nunmehr nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden (s. den o.g. Senatsbeschluß in BFH/NV 1997, 692).

2. Von diesen Kosten hat das FA 89,5 v.H. und die Klägerin 10,5 v.H. zu tragen.

a) Das folgt zwar nicht aus §138 Abs. 2 FGO; doch führt hier Abs. 1 dieser Vorschrift zum gleichen Ergebnis. Dem Einwand des FA, der Bescheid vom 11. Dezember 1997 habe den angefochtenen Ablehnungsbescheid vom 1. März 1994 nicht unmittelbar geändert, kommt dabei nur insoweit Bedeutung zu, als dies der Anwendung von §138 Abs. 2 FGO entgegensteht. Im übrigen ist durch den Erlaß des Bescheides vom 11. Dezember 1997 jedoch das ursprüngliche Klagebegehren -- ebenso wie beim Erlaß eines Änderungsbescheides i.S. von §138 Abs. 2 FGO -- weitestgehend gegenstandslos geworden. Wegen der übereinstimmenden Erledigterklärungen ist mithin die Kostenentscheidung (insgesamt) nach §138 Abs. 1 FGO zu treffen (vgl. hierzu z.B. auch den BFH-Beschluß vom 18. Februar 1994 VIII B 46/92, BFH/NV 1994, 728).

Im Rahmen des danach maßgebenden billigen Ermessens hat das Gericht neben dem bisherigen Sach- und Streitstand auch andere Gründe zu berücksichtigen, wenn dies nach dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden sachgerecht ist. So darf auch der Grund, der zur Erledigung der Hauptsache geführt hat, gewürdigt werden (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1986 V R 181/83, BFH/NV 1986, 761, unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FA entsprechend dem Betrag, mit dem es letztlich die Investitionszulage für das Streitjahr gewährt hat, auch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das FA ging bei Erlaß des die Erledigungserklärung auslösenden Bescheides vom 11. Dezember 1997 offensichtlich davon aus, daß dieser -- im Hinblick auf die inzwischen erteilte Bescheinigung nach §2 InvZulG 1986 -- seine Rechtsgrundlage in §175 AO 1977 habe. Ganz im Sinne dieser Annahme wird die Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde auch verschiedentlich als Grundlagenbescheid i.S. des §171 Abs. 10 AO 1977 (so z.B. im rechtskräftigen Urteil des FG Münster vom 28. März 1995 6 K 6041/93 I, Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 1038) oder als solcher i.S. des §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (so insbesondere Schreiben des Bundesministers der Finanzen -- BMF -- vom 24. September 1987, BStBl I 1987, 664, 701, zu §175 AO 1977) angesehen. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist diese Bescheinigung jedenfalls eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Festsetzung der Investitionszulage nach §1 InvZulG 1986; anhängige Rechtsbehelfe sind u.U. auszusetzen, bis über ihre endgültige Erteilung oder Ablehnung entschieden ist (s. hierzu z.B. das Senatsurteil vom 8. Mai 1987 III R 87/85, BFHE 150, 257, BStBl II 1987, 681).

Bei dieser Rechtslage ist es schon unverständlich, weshalb das FA am 2. Dezember 1991 einen die Zulagengewährung endgültig und vorbehaltlos ablehnenden Bescheid erlassen wollte (und möglicherweise auch wirksam erlassen hat). Noch weniger verständlich ist es jedoch, daß das FA dann am 1. März 1994, als ihm die Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde bereits vorlag, es -- entgegen dem BMF-Schreiben in BStBl I 1987, 664, 701 -- förmlich ablehnte, noch einmal in eine sachliche Prüfung des Begehrens der Klägerin vom 27. September 1989 einzutreten. Hätte das FA den nunmehrigen Bescheid (vom 11. Dezember 1997) bereits damals erlassen, wäre es -- jedenfalls in Höhe der jetzt gewährten Zulage (von 75 515 DM) -- nicht zu dem nun für erledigt erklärten Rechtsstreit gekommen. Im Hinblick darauf erscheint es dem Senat sachgerecht, dem FA in Höhe des Vomhundertsatzes, der der nun gewährten Zulage entspricht, die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Bei einer ursprünglich von der Klägerin begehrten Zulage in Höhe von 84 363 DM (= 8,75 v.H. von 964 146 DM) ist dies ein Vomhundertsatz von 89,5.

Soweit das FA dem Antrag der Klägerin vom 27. September 1989 auch jetzt nicht entsprochen hat, trägt -- nach billigem Ermessen -- die Klägerin die Verfahrenskosten. Es sind dies 10,5 v.H.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67408

BFH/NV 1998, 1259

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