Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgfaltspflicht des Prozeßbevollmächtigten bei der Fristensicherung
Leitsatz (NV)
Hat ein Prozeßbevollmächtigter im Rahmen seiner Büroorganisation die Berechnung einfacher Fristen und die Fristüberwachung seiner zuverlässigen Bürokraft übertragen, so obliegt ihm die Fristensicherung. Wird dem Prozeßbevollmächtigten ein Vorgang zur Bearbeitung vorgelegt, so muß er die Fristeinhaltung und -berechnung überprüfen.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat gegen das klagabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 2. September 1987, das ihrem damaligen und jetzigen Prozeßbevollmächtigten am 9. Oktober 1987 zugestellt wurde, mit dem am 3. November 1987 beim FG eingegangenen Schriftsatz vom 2. November 1987 die vom FG zugelassene Revision eingelegt. Die Einreichung der Revisionsbegründung innerhalb eines Monats wurde angekündigt. Der Revisionsbegründungsschriftsatz vom 17. Dezember 1987 ging am 21. Dezember 1987 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Aufgrund des Hinweises des Senatsvorsitzenden, daß damit die am 9. Dezember 1987 abgelaufene Begründungsfrist des § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstrichen sei, trug namens der Klägerin der Prozeßbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1987, der beim BFH am 7. Januar 1988 einging, folgendes vor: Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist sei auf ein Büroversehen zurückzuführen. Er habe anläßlich der Abfassung des Revisionsschriftsatzes vom 2. November 1987 seiner Sekretärin eine Frist vom 6. Dezember 1987 aufgegeben, was durch eine handschriftliche Fristnotiz der Sekretärin auf der in Ablichtung vorgelegten Durchschrift des Schriftsatzes belegt werde. Die Sekretärin, die aufgrund ihrer 8jährigen fehlerlosen Tätigkeit als zuverlässig gelte, habe aber fälschlicherweise im Fristenkalender nicht als Termin den 6. Dezember, sondern den 16. Dezember 1987 vermerkt, was sich aus der beigefügten Ablichtung des Fristenkalenders ergebe. Die in der Frist versäumte Rechtshandlung sei durch den Schriftsatz vom 17. Dezember 1987 nachgeholt, so daß dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben sei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzulehnen und die Revision als unzulässig zu verwerfen. Nach seiner Auffassung ist die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO versäumt worden. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte bei Anfertigung der Revisionsbegründung, also spätestens am 17. Dezember 1987, die Versäumung der Frist erkennen können und müssen. Die Zweiwochenfrist sei damit spätestens am 31. Dezember 1987 abgelaufen; der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei jedoch erst mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1987 gestellt worden, der bei Gericht erst am 7. Januar 1988 eingegangen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Gemäß § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des FG-Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Aufgrund der Zustellung des FG-Urteils am 9. Oktober 1987 war die Revision bis zum 9. November 1987 einzulegen und (mangels Fristverlängerung) bis zum 9. Dezember 1987 zu begründen. Die Revisionsbegründung ist jedoch verspätet, nämlich erst am 21. Dezember 1987 beim BFH eingegangen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 56 FGO ist abzulehnen. Dieser Antrag ist nach § 56 Abs. 2 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe der Tatsachen zur Begründung zu stellen. Diese Frist ist im Streitfall nicht eingehalten worden. Ist - wie im Streitfall - dem Beteiligten oder seinem Bevollmächtigten nicht bekannt, daß die Frist (des § 120 Abs. 1 FGO) überschritten worden ist, fällt das Hindernis in dem Zeitpunkt weg, in dem der Beteiligte bzw. sein Bevollmächtigter von der Fristversäumnis Kenntnis bekommt oder bei ordnungsmäßiger Erledigung seiner Angelegenheit hätte Kenntnis haben können, d. h., wenn ihm Zweifel zur Fristwahrung hätten kommen müssen (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Juni 1967 VI R 248/66, BFHE 89, 330, BStBl III 1967, 613; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Rdnr. 41 m. w. N.). Diese Sachlage ist gegeben, wenn dem Beteiligten oder seinem Bevollmächtigten die Umstände bekannt sind bzw. bekannt sein müßten, aus denen sie bei Anwendung der ihnen möglichen und zumutbaren Sorgfalt erkennen mußten, daß eine gesetzliche Frist versäumt sein könnte (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 19. März 1974 VI ZB 1/74, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 277; Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 110 AO 1977, Rdnr. 126 m. w. N.). So liegt es im Streitfall.
Zwar konnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im Rahmen seiner Büroorganisation die Berechnung einfacher Fristen und die Fristüberwachung einer zuverlässigen Bürokraft übertragen, jedoch oblag ihm die Fristensicherung. Wird dem Bevollmächtigten der Vorgang später zur weiteren Bearbeitung vorgelegt (wie hier zur Fertigung der Revisionsbegründung), muß er die Fristenberechnung und -einhaltung überprüfen (vgl. Gräber, a.a.O., § 56, Rdnr. 36 a. E.; Zöller, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 233, Rdnr. 23, Abschn. II, 3). Dieser Obliegenheit der Fristensicherung ist der Prozeßbevollmächtigte nicht nachgekommen, da er nach eigenem Vorbringen den Revisionsbegründungsschriftsatz ,,unterwegs abdiktiert" hat, wobei ihm nur Teile der Prozeßakte (Klagebegründung und erstinstanzliches Urteil) vorlagen. Eine Überprüfung der Prozeßakte hat der Prozeßbevollmächtigte nicht vorgenommen, da er dies nach eigenem Vorbringen nicht für notwendig erachtete. Infolgedessen blieb ihm der aus der Prozeßakte zugängliche Umstand der Fristversäumnis verborgen. Dies hat er im Rahmen seiner Obliegenheiten zu vertreten.
Fundstellen
Haufe-Index 415796 |
BFH/NV 1989, 786 |