Entscheidungsstichwort (Thema)

Zerlegung bei mehrgemeindlicher Betriebsstätte

 

Leitsatz (NV)

1. Die Zerlegung gemäß § 30 GewStG bei mehrgemeindlicher Betriebsstätte ist keine Ermessens-, sondern eine gebundene Verwaltungsentscheidung.

2. Beruht eine frühere Entscheidung des BFH auf einer in ihrem entscheidungserheblichen Wortlaut geänderten Gesetzesfassung, so schließt die Gesetzesänderung die Annahme einer Divergenz aus.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; GewStG § 30

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Gemeinde A (Beschwerdeführerin) und die Gemeinde B klagten vor dem FG gegen das FA wegen Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrages 1973-1980 der Firma X. Das FG lud dem Rechtsstreit nur die Gemeinde C bei. Im übrigen änderte es durch Urteil die Zerlegungsbescheide und wies das weitergehende Klagebegehren ab. Nach dem Urteil sollte die Gemeinde A die Kosten des Rechtsstreits zu 10/20, die Gemeinde B dieselben zu 3/20 und das FA dieselben zu 7/20 tragen. Im Falle der Gemeinde C wurde die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erklärt.

Gegen das Urteil legte nur die Gemeinde A Nichtzulassungsbeschwerde ein. Diese wurde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, auf Divergenz und auf Verfahrensmängel gestützt. Der BFH hielt die Beschwerde für zulässig, aber für unbegründet. Er wies sie deshalb durch Beschluß zurück und führte aus:

 

Entscheidungsgründe

A. Grundsätzliche Bedeutung

1. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt, indem sie die abstrakte Rechtsfrage als Grundsatzfrage formulierte, ob das FA und/oder das FG befugt sind, von den einmal gewählten Zerlegungsfaktoren und deren Gewichtung - außer bei Feststellung eines erheblich veränderten Sachverhaltes - abzuweichen, wenn nicht in der getroffenen Wahl ein offensichtlicher Ermessensfehlgebrauch vorliegt.

2. Der genannten Rechtsfrage kommt jedoch keine grundsätzliche Bedeutung zu:

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und der Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juli 1986 I B 25/86, BFHE 147, 416).

b) An diesen Voraussetzungen fehlt es im Streitfall, weil die Rechtsfrage, deren grundsätzliche Bedeutung geltend gemacht wird, mit Hilfe des Gesetzestextes eindeutig zu beantworten ist. In § 30 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) heißt es wörtlich: ,,Erstreckt sich die Betriebsstätte auf mehrere Gemeinden, so ist . . . zu zerlegen." Die Formulierung ,,so ist zu" ist typisch für das Bestehen einer absoluten Gesetzesgebundenheit der Verwaltung und schließt die Annahme eines Verwaltungsermessens aus. Der Verwaltung ist nur dann ein Ermessen eingeräumt, wenn der Gesetzgeber sie nicht in dem Sinne gebunden hat, daß sie unter (mehr oder weniger) genau umschriebenen Voraussetzungen zu einem bestimmten Verwaltungshandeln verpflichtet ist. Eine solche Lockerung der Gesetzesgebundenheit der Verwaltung ist die Ausnahme von der Regel. Sie wird durch Gesetzesformulierungen wie ,,kann" oder ,,ist befugt" oder ,,ist berechtigt" oder durch die unmittelbare Verwendung des Ermessensbegriffes ausgedrückt. Der Gesetzeswortlaut des § 30 GewStG enthält jedoch keine derartige Formulierung. Auch im übrigen enthält er keinen Ansatzpunkt für die Annahme einer Lockerung der Gesetzesgebundenheit. Deshalb ist von einer absoluten Gesetzesgebundenheit auszugehen.

c) Besteht jedoch absolute Gesetzesgebundenheit, so kann sich die Frage, ob das FA oder das FG befugt waren, von einer ,,ursprünglichen Ermessensentscheidung" abzugehen, ernsthaft nicht stellen. Es fehlt - wie oben dargelegt - an einer ursprünglichen Ermessensentscheidung. Die angebliche Ermessensentscheidung war eine gebundene Verwaltungsentscheidung. Für gesetzesgebundene Verwaltungsentscheidungen (im übrigen auch für Ermessensentscheidungen) ergibt sich aus § 367 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. aus § 76 Abs. 1 FGO (allerdings insoweit nicht für Ermessensentscheidungen), daß die Sache im Rechtsbehelfsverfahren in vollem Umfang nachzuprüfen ist. Insoweit handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit und nicht um eine Frage, an deren Klärung ein allgemeines Interesse besteht.

B. Divergenz

1. Die Klägerin hat die Divergenz dargelegt, indem sie BFH-Entscheidungen zitiert und zusätzlich ausführt, der BFH sei in den genannten Entscheidungen von einem der Verwaltungsbehörde eingeräumten Ermessen ausgegangen, während das FG ein solches Ermessen verneint habe. Außerdem legt die Klägerin eine Divergenz insoweit dar, als sie unter Angabe von BFH-Entscheidungen ausführt, der BFH habe die Arbeitnehmer stets als vorrangigen Zerlegungsfaktor angesehen, während das FG den personen- und sachbezogenen Faktoren gleiches Gewicht beigemessen habe (vgl. 3.).

2. Das FG ist jedoch von den zitierten BFH-Entscheidungen nicht abgewichen, weshalb es auch an einer Divergenz fehlt.

a) Zwar ist es richtig, daß der BFH in dem Beschluß vom 28. November 1951 I B 86/51 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Gewerbesteuergesetz, § 30, Rechtsspruch 6) von ,,Ermessensfragen" gesprochen hat, ,,für deren Entscheidung allein die OFD zuständig ist". Dort wird weiter ausgeführt, Aufgabe des BFH sei es, darüber zu wachen, daß die richtigen Faktoren der Zerlegung richtig, d. h. ohne Verletzung von Recht und Billigkeit angewandt werden. Jedoch ist diese Äußerung auf dem Hintergrund des damals geltenden Verfahrensrechtes zu verstehen. Nach § 388 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des § 28 Nr. 77 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen (EinfGRealStG) vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 961) war als ,,Rechtsmittel" gegen einen Zerlegungsbescheid nur die Beschwerde zur Oberfinanzdirektion (OFD) gegeben. Gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD konnte ,,weitere Beschwerde" zum Reichsfinanzhof - RFH - (BFH) eingelegt werden. Der BFH war also in diesem Verfahren die einzige Gerichtsinstanz, weshalb in den zitierten Entscheidungen von seiner Bindung an die tatsächlichen Würdigungen in der Beschwerdeinstanz analog dem § 118 Abs. 2 FGO unter dem Gesichtspunkt der ,,Ermessensausübung" gesprochen wurde. Der BFH hat jedoch auch damals die Zerlegungsentscheidung des FA gemäß § 30 GewStG als von der OFD voll nachprüfbar angesehen.

Seit dem 1. Januar 1966 ist § 388 AO außer Kraft. Anstelle einer Beschwerde kann gegen Zerlegungsbescheide Einspruch eingelegt werden (vgl. heute: § 348 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). In das Einspruchsverfahren ist die OFD nicht mehr eingeschaltet (§ 367 AO 1977). Damit ist weder eine ,,Beschwerde-" noch eine Ermessensentscheidung der OFD denkbar. Das FG hat seine Entscheidung richtigerweise auf der Grundlage des neuen Rechts getroffen. Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen sind zum alten Recht ergangen. Die Gesetzesänderung schließt die Annahme einer Divergenz aus.

b) Soweit die Klägerin eine Abweichung von den Beschlüssen vom 26. Oktober 1954 I B 186/53 U (BFHE 59, 421, BStBl III 1954, 372) und vom 26. November 1957 I B 218/56 U (BFHE 66, 679, BStBl III 1958, 261) geltend macht, gilt das zu 2. a Gesagte sinnentsprechend.

3. Das FG ist auch von den Beschlüssen in BFHE 59, 421, und vom 28. Februar 1956 I B 170/54 (StRK, Gewerbesteuergesetz, § 30, Rechtsspruch 4) und BFHE 66, 679 (BStBl III 1958, 261) in der Frage der Bewertung der Zerlegungsfaktoren nicht abgewichen. Insoweit bedarf die Entscheidung keiner Begründung (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in der Fassung vom 4. Juli 1985 BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414926

BFH/NV 1987, 394

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