Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anordnung des Gerichts, einen Bevollmächtigten zu bestellen

 

Leitsatz (NV)

Die Anordnung, einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen (§ 62 Abs. 1 Satz 2 FGO), steht im Ermessen des Gerichts. Sie ist gerechtfertigt, wenn ein im Ausland ansässiger Verfahrensbeteiligter ersichtlich nicht bereit ist, Gerichtstermine in der Bundesrepublik wahrzunehmen; die Anordnung kann auch ergehen, wenn die Schriftsätze eines Verfahrensbeteiligten unsachliche und beleidigende Ausführungen enthalten, die daran zweifeln lassen, ob der Beteiligte zu einer sachgerechten Prozeßführung in der Lage ist.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in der Vergangenheit als Fachanwalt für Steuerrecht tätig. Er hielt sich später in der Schweiz auf. Hier ist er im Jahre 1982 zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Der Kläger lebt heute in Canada.

Im Jahre 1972 wurden gegen den Kläger Steuerfahndungsmaßnahmen eingeleitet. Aufgrund der hierbei getroffenen Feststellungen ergingen gegen den Kläger geänderte Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide für 1966 bis 1970. Das Finanzgericht (FG) gab dem Kläger am 18. Dezember 1979 auf, für sein Verfahren einen Prozeßbevollmächtigten im Geltungsbereich der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu bestellen. Zur Begründung führte es an, der Kläger werde im Steuerprozeß zwar tätig, halte sich aber an einem unbekannten Ort im Ausland auf und habe trotz der Auflage des Gerichts keinen Empfangsbevollmächtigten bestellt. Er verlange wiederholt eine Vielzahl von Ablichtungen aus den umfangreichen Gerichtsakten. Dadurch könne er das Verfahren beliebig verzögern. Ein sachgerechter Ablauf des Prozeßverfahrens sei nur gewährleistet, wenn ein von ihm bestellter Prozeßbevollmächtigter die Akten einsehe und weiterhin am Verfahren mitwirke. Dem Kläger unterliefen in seinen Schriftsätzen immer wieder unsachliche und beleidigende Ausfälle, die mit der Erledigung des Rechtsstreits nichts zu tun hätten. Der Kläger habe keinen Blick für die sachgerechte Erledigung seines Verfahrens. Das Verhalten des Klägers belaste das Gericht mit einem unverhältnismäßig großen Zeit- und Arbeitsaufwand. Auch im Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten Rechtspflege sei deshalb die Bestellung eines Bevollmächtigten erforderlich. Der Kläger hat diesen Beschluß nicht mit der Beschwerde angegriffen.

Im Jahre 1988 beantragte der Kläger, den Beschluß des FG aufzuheben, da sich die Verhältnisse grundlegend geändert hätten. Der gegen ihn erlassene Steuerhaftbefehl sei aufgehoben und das Steuerstrafverfahren eingestellt worden. Die Eintragung über seine Verurteilung in der Schweiz sei aus dem deutschen Strafregister getilgt worden. Er sei inzwischen canadischer Staatsbürger. Das Verbot der Selbstvertretung bedeute einen unzulässigen Diskriminierungsakt. Das FG wies diesen Antrag zurück, da die im Beschluß vom 18. Dezember 1979 angeführten Gründe weiter fortbeständen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, in der er sich wiederum auf die Einstellung des Steuerstrafverfahrens beruft und den erneuten Beschluß des FG wiederum als rechtswidrige Diskriminierung bezeichnet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig. Gegen den ursprünglichen Beschluß des FG vom 18. Dezember 1979 war gemäß § 128 Abs. 1, § 129 Abs. 1 FGO die fristgebundene Beschwerde gegeben. Der Kläger hat von der Beschwerdemöglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Dies hat zur Folge, daß er mit den im Beschwerdeverfahren geltend zu machenden Einwendungen ausgeschlossen ist, die frühere Entscheidung des FG also insoweit Rechtskraft wirkt. Dies hindert das FG aber nicht, seine Entscheidung wegen veränderter Umstände aufzuheben, wie auch der Kläger nicht gehindert war, ihre Änderung aufgrund derartiger Umstände zu verlangen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 62 FGO Anm. 4). Dies ergibt sich aus dem Zweck der in § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO vorgesehenen Anordnung, die einen sachgerechten und beschleunigten Fortgang des Verfahrens sichern soll; durch diesen Zweck wird die Wirkung der Rechtskraft begrenzt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Januar 1988 IV R 68/86, BFHE 152, 314, BStBl II 1988, 449). Es ist jedoch nicht zu beanstanden, daß das FG das Vorliegen veränderter Umstände verneint hat.

Die Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO steht im Ermessen des Gerichts (BFH-Beschluß vom 9. August 1974 V B 23/74, BFHE 113, 267, BStBl II 1975, 17); sie kann vom Beschwerdegericht deshalb nur darauf kontrolliert werden, ob das Gericht von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist oder von seinem Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht hat. Dies ist im Streitfall zu verneinen. Das FG konnte wegen der fortdauernden Ansässigkeit des Klägers im Ausland annehmen, daß er weiterhin nicht in der für ein zügiges Prozeßverfahren erforderlichen Weise am Prozeß mitwirken könne. Dies hat sich erneut darin gezeigt, daß der Kläger umfangreiche Ablichtungen aus den Gerichtsakten verlangte und seiner Mitwirkungspflicht nur durch Vermittlung des deutschen Generalkonsulats genügen will. Seine Schriftsätze enthalten weiterhin unsachliche und beleidigende Ausführungen, die daran zweifeln lassen konnten, ob der Kläger zu einer dem eigenen Interesse dienenden sachgerechten Prozeßführung in der Lage ist. Da er ersichtlich auch nicht bereit ist, Gerichtstermine in der Bundesrepublik wahrzunehmen, konnte es das FG als erforderlich ansehen, daß ein Prozeßbevollmächtigter bestellt wird, der sich in den Sachverhalt einarbeitet, sachdienliche Schriftsätze verfaßt und an Gerichtsterminen teilnimmt. Derartige Erwägungen können einer Anordnung i. S. von § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO zugrunde gelegt werden (vgl. BFHE 113, 267, BStBl II 1975, 17).

Zu Unrecht beruft sich der Kläger schließlich auf Art. 24 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Canada. Darin ist vorgesehen, daß Angehörige eines Vertragsstaates im anderen Vertragsstaat keiner Besteuerung oder damit zusammenhängenden Verpflichtungen unterworfen werden dürfen, die anders oder belastender sind als die Besteuerung und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen, denen Staatsangehörige des anderen Staates unter gleichen Verhältnissen unterworfen sind. Hieraus folgt lediglich, daß ein canadischer Staatsangehöriger in der Bundesrepublik Deutschland nicht wegen seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt werden darf (vgl. Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 24 Anm. 28). Der Kläger wird aber nicht anders behandelt, als deutsche Steuerpflichtige, die dem Verfahrensrecht der FGO unterliegen. Ob die genannte Bestimmung des DBA überhaupt auf das Steuerverfahrensrecht angewendet werden kann, braucht deshalb nicht entschieden zu werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416113

BFH/NV 1989, 515

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