Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme eines Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis

 

Orientierungssatz

Durch die Verletzung der in § 18 des Manteltarifvertrages für Auszubildende der Deutschen Bundesbahn in der zuletzt durch Tarifvertrag Nr 2/1981 geänderten Fassung vorgesehene Mitteilungspflicht des Ausbildenden (beabsichtigte bzw nicht beabsichtigte Übernahme des Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis) wird ein Arbeitsverhältnis nicht begründet (Anschluß an BAG Urteil vom 30.11.1984, 7 AZR 539/83 = AP Nr 1 zu § 22 MTV Ausbildung).

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.03.1985; Aktenzeichen 10 Sa 1156/84)

ArbG Essen (Entscheidung vom 22.05.1984; Aktenzeichen 2 Ca 399/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Anschluß an die beendete Berufsausbildung.

Die Beklagte bildete die Kläger in der Zeit vom 1. September 1980 bis 27. Januar/31. Januar 1984 zu Energieanlageelektronikern/Maschinenschlossern aus. Auf die Ausbildungsverhältnisse der Parteien fand der Manteltarifvertrag (zukünftig MTV) für Auszubildende der Deutschen Bundesbahn in der zuletzt durch Tarifvertrag Nr. 2/1981 geänderten Fassung Anwendung. Dessen § 18 lautet:

"Übernahme in ein Arbeitsverhältnis

1 Beabsichtigt der Ausbildende, den Auszubildenden

nach Abschluß der Berufsausbildung in ein Arbeitsverhältnis

zu übernehmen, hat er dies dem Auszubildenden

drei Monate vor dem voraussichtlichen Ende

der Ausbildungszeit schriftlich mitzuteilen. Innerhalb

von vier Wochen nach Zugang der Mitteilung hat

der Auszubildende schriftlich zu erklären, ob er in

ein Arbeitsverhältnis zu dem Ausbildenden zu treten

beabsichtigt.

2 Beabsichtigt der Ausbildende, den Auszubildenden nicht

in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen, hat er dies

dem Auszubildenden drei Monate vor dem voraussichtlichen

Ende der Ausbildungszeit schriftlich mitzuteilen.

3 Wird der Auszubildende im Anschluß an das

Berufsausbildungsverhältnis beschäftigt, ohne daß hierüber

ausdrücklich

etwas vereinbart worden ist, gilt ein Arbeitsverhältnis

auf unbestimmte Zeit als begründet.

§ 6 Abs. 3 bleibt unberührt."

Die Kläger erhielten am 15. August 1983 ein Schreiben, auf dem eine Verfügung der Bundesbahndirektion Essen vom 21. Juli 1983 (2A P 44 Plda ) abgedruckt war. Darin heißt es:

"Übernahme von Auszubildenden, die im Frühjahr 1984

die Ausbildung beenden.

Der weiter sinkende Personalbedarf, insbesondere durch

Bedarfskürzungen und durch Verkehrsrückgang, hat zu

einem erheblichen Personalmehrbestand geführt. Kurzfristig

ist nicht damit zu rechnen, daß wir zu einer

ausgeglichenen Personallage zurückfinden werden.

Den Auszubildenden, die im Frühjahr 1984 die Berufsausbildung

(planmäßig oder vorzeitig) beenden - bei

Jugendlichen unter 18 Jahren auch deren Eltern -, ist

unter Hinweis auf § 18 Abs. 2 des "Manteltarifvertrages

für die Auszubildenden der Deutschen Bundesbahn"

möglichst bald - spätestens drei Monate vor Ablauf

der Berufsausbildung - schriftlich mitzuteilen, daß im

GJ 1984 voraussichtlich nur ein Teil der auslernenden

Azubi als Dienstkräfte übernommen werden kann.

Die Auszubildenden sind nachweislich weiter darauf

hinzuweisen, daß sie bei einer evtl. Übernahme damit

rechnen müssen, berufsfremd nach dem Grundsatz des

§ 16 Abs. 1 LTV eingesetzt zu werden.

Soweit der BD Übernahmen von auslernenden Azubi genehmigt

werden, sollen diese nach dem Prinzip der

Bestauslese ausgewählt werden."

Eine weitere Nachricht der Deutschen Bundesbahn erhielten die Kläger in der Folgezeit nicht.

Mit ihren am 7. Februar 1984 beim Arbeitsgericht eingegangenen, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen haben die nach bestandener Prüfung nicht beschäftigten Kläger das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses und die Beschäftigung in ihren Berufen geltend gemacht. Sie haben gemeint, zwischen den Parteien sei nach erfolgreichem Abschluß der Berufsausbildung gemäß § 18 Abs. 2 MTV ein Arbeitsverhältnis begründet worden. Die Mitteilung vom 15. August 1983 habe den Schluß zugelassen, die Beklagte werde die nicht zum Kreis der Übernommenen gehörenden Auszubildenden rechtzeitig vorher schriftlich informieren.

Die Kläger haben jeweils beantragt

festzustellen, daß zwischen den Parteien

ein ordnungsgemäßes Arbeitsverhältnis zustandegekommen

und die Beklagte verpflichtet

ist, die Kläger in ihren Berufen zu beschäftigen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, aus dem Manteltarifvertrag folge kein Anspruch auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis. Mit der Weitergabe der Verfügung der Bundesbahndirektion Essen vom 21. Juli 1983 sei sie der Unterrichtungspflicht des Manteltarifvertrags nachgekommen. Unabhängig davon folge aus einem Schweigen der Beklagten kein Anspruch.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klagen abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, mangels ausdrücklicher individualrechtlicher Übernahmevereinbarung wie tatsächlicher Weiterbeschäftigung der Kläger über das Ende des Ausbildungsverhältnisses im Sinne des § 17 BBiG hinaus könne die Annahme eines Arbeitsverhältnisses allenfalls in kollektivrechtlicher Vereinbarung ihren Grund finden. Aus § 18 MTV könne jedoch das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses nach Ausbildungsende nicht hergeleitet werden. Weder gestatte der Wortlaut des § 18 Abs. 2 MTV noch der systematische Zusammenhang der drei Absätze noch der Sinn und Zweck dieser Vorschriften die Annahme einer Rechtsfolge, wie sie die Kläger annehmen. Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen der Tarifvertragsparteien seien nicht erkennbar. Eine andere rechtliche Beurteilung könne auch der Vermerk vom 15. August 1983 nicht begründen. Danach hätten die Kläger zwar zu Recht mit einer sorgfältigen Beachtung der tariflichen Informationspflicht rechnen können, nicht hingegen mit der Übernahme selbst. Eine stärkere als die tarifvertraglich vorgesehene Stellung werde ihnen durch die Mitteilung vom 15. August 1983 nicht eingeräumt.

II. Das Landesarbeitsgericht hat dem Anspruch der Kläger zu Recht mit zutreffender Begründung verneint. Die von der Revision gegen das Urteil erhobenen Rügen sind unbegründet.

1. Zwischen den Klägern und der Beklagten ist im Anschluß an das erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildungsverhältnis kein Arbeitsverhältnis zustandegekommen. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 MTV sind nicht gegeben. Ebenso ist kein Arbeitsvertrag durch übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien zustandegekommen.

2. Die in § 18 Abs. 3 MTV unter den dortigen Voraussetzungen genannte Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses über eine Fiktion enthält § 18 Abs. 2 MTV für den Fall der Verletzung der dort genannten Mitteilungspflicht nicht. Sie läßt sich auch nicht durch Auslegung der Vorschrift begründen.

a) Tarifvertragsnormen sind wie Gesetze auszulegen. So ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (BAGE 46, 308, 313; BAGE 42, 86 = AP Nr. 135 u. 128 zu § 1 TVG Auslegung). Ferner ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Dieser kann Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geben, so daß auf diese Weise der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Wenn so zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu erlangen sind, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG aaO; BAGE 42, 244, 254 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II).

b) Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht bei der Auslegung ausgegangen. Entgegen der Auffassung der Revision sind ihm dabei keine Rechtsfehler unterlaufen. Seine Auslegung deckt sich mit der Auffassung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 30. November 1984 - 7 AZR 539/83 - AP Nr. 1 zu § 22 MTV Ausbildung). Der Siebte Senat hat zum insoweit mit § 18 MTV inhaltsgleichen § 22 Abs. 1 des Manteltarifvertrags für Auszubildende im öffentlichen Dienst vom 6. Dezember 1974 in der Fassung vom 20. November 1980 ausgeführt, die Verletzung der tariflichen Mitteilungspflicht führe nicht zum Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien. Das ist auch die Auffassung des erkennenden Senats. Die Revision enthält demgegenüber keine Überlegungen, die eine abweichende Beurteilung erlauben. Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Vorschriften des § 18 Abs. 2 MTV bei der vorgenommenen Auslegung nicht sinnlos. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht dazu ausgeführt, die Regelungen sollten in erster Linie den Auszubildenden die Möglichkeit geben, sich rechtzeitig nach einem anderen Arbeitsplatz umzusehen, wenn sie entgegen vielfach geübter Praxis nicht in ein ständiges Arbeitsverhältnis übernommen werden sollten. Gleichzeitig erleichtert die Bestimmung dem Ausbilder die Ausbildung über den eigenen Bedarf (BAG Urteil vom 5. April 1984 - 2 AZR 513/82 - AP Nr. 2 zu § 17 BBiG). Soweit die Revision zur Ermittlung des Willens der Tarifvertragsparteien auf die Auskunft der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands vom 7. Februar 1985 abstellt, übersieht sie, daß der Tarifwille der Tarifvertragsparteien bei der Auslegung nur berücksichtigt werden kann, wenn er im Tarif selbst seinen Niederschlag gefunden hat. Das ist nicht der Fall. Deshalb ist es unerheblich, ob die Beklagte dahingehenden Vortrag der Kläger bestritten hat oder nicht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

Dr. Röhsler Dr. Jobs Dörner

Mergenthaler Scheerer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440701

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