Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Abzugsfähigkeit von Aufwendungen eines Sehbehinderten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. zu einem vermieteten Objekt

 

Leitsatz (amtlich)

Behinderte, die i. S. d. §§ 145 Abs. 1, 146 Abs. 1 SGB IX in ihrem Gehvermögen oder in ihrer Orientierungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, können anstelle der Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG die tatsächlichen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. zu einem vermieteten Objekt und damit auch die Kosten für Leerfahrten gem. § 9 Abs. 2 EStG geltend machen. Nach §§ 145 Abs. 1, 146 Abs. 1 SGB IX ist nur derjenige in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 2; SGB IX § 145 Abs. 1, § 146 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. zu einem vermieteten Objekt die tatsächlichen Aufwendungen nach § 9 Abs. 2, Abs. 3 EStG oder lediglich die Pauschbeträge nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG berücksichtigungsfähig sind.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger ist als Kaufmann – seit 1997 in der Stellung eines Einkaufs- und Verkaufsleiters -, die Klägerin war als Arzthelferin bzw. ist nunmehr als kaufmännische Angestellte nichtselbständig tätig. Darüber hinaus erzielte der Kläger (negative) Einkünfte aus der Vermietung eines in Elmstein belegenen Einfamilienhauses.

Unter dem 11. Februar 2003 war dem Kläger, der über eine lediglich eingeschränkte Sehfähigkeit verfügt, durch das Amt für soziale Angelegenheiten ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden, der einen Grad der Behinderung von 50 mit Gültigkeit ab 1996 feststellte (Bl. 30 ESt-Akten 1996). Außerdem war ihm am 09. Dezember 2003 auf seinen Antrag vom 03. Dezember 2003 hin bescheinigt worden, dass bei ihm – gültig bis zum 31. Dezember 1995 – ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt war, wobei diese Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hatte (Bl. 56 Prozessakten).

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2002 gaben die Kläger unter "Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" an, dass der Kläger an 225 Tagen 8 km einfache Wegstrecke (als Beifahrer der Klägerin) gefahren sei und 678,-- € Fahrtkostenersatz erhalten habe. Außerdem hatten sie in dem Feld "Behinderungsgrad mindestens 70 oder mindestens 50 und Merkzeichen G" "ja" angekreuzt. Darüber hinaus machten sie als Werbungskosten zu den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung "Fahrgeld für Reparatur- und Gartenarbeiten" in Höhe von 450,-- € (50 Tage x 25 km x 0,36 €) geltend und gaben hierzu an, die zusätzlichen Fahrtkosten nach M würden wegen der Sehbehinderung (Visus 0,2) gefordert, da die Klägerin den Kläger immer jeweils gebracht und geholt habe.

Im Einkommensteuerbescheid 2002 vom 11. März 2003 (Bl. 10 ff ESt-Akten 2002) kamen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärungsgemäß, die Werbungskosten des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit mit dem Arbeitnehmerpauschbetrag von 1.044,-- € zum Ansatz.

Mit hiergegen fristgerecht eingelegtem Einspruch wendeten die Kläger ein, nach der Rechtsprechung des BFH könnten Blinde und andere Schwerbehinderte, die ein Auto nachweislich nicht selbst lenken könnten und zur Arbeit stets mit dem eigenen Fahrtzeug durch den Ehegatten gebracht würden, pro Arbeitstag je zwei Hin- und Rückfahrten, mithin sämtliche arbeitstäglich durchgeführte Fahrten, insbesondere auch Leerfahrten, geltend machen. Bereits im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1997 hatten die Kläger hierzu angegeben, der Kläger sei montags und donnerstags morgens von der Klägerin zur Arbeit gefahren worden. Diese sei dann wieder nach Hause gefahren, da ihre Arbeitszeit an diesen Wochentagen erst um 14:00 Uhr beginne. Abends habe sie ihn dann auf ihrer Rückfahrt von der Arbeitsstätte wieder abgeholt. Dienstags, mittwochs und freitags habe die Klägerin ihn morgens an seiner Arbeitsstelle abgesetzt, sei dann zu ihrer Arbeitsstelle gefahren, von der sie mittags wieder nach Hause gefahren sei. Abends habe sie ihn wiederum von der Arbeit abgeholt (Bl. 28 ESt-Akten 1999).

Der Kläger habe eine Sehstärke von lediglich 25 %. Deshalb habe er keinen Führerschein und werde auch keinen solchen erhalten. Daher seien folgende zusätzliche Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. zu dem vermieteten Objekt abzuziehen:

225 Tage x 8 km x 4 Fahrten sowie 50 Tage x 25 km x 3 Fahrten.

Dabei sei berücksichtigt, dass verschiedene Fahrten bereits vom Finanzamt anerkannt worden seien. Außerdem seien die Kläger von einer Kilometerpauschale von 0,36 € und bei Vermietung und Verpachtung von 0,41 € pro gefahrenem Kilometer ausgegangen.

Dem Einspruch wurde mit Ein...

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