Entscheidungsstichwort (Thema)

Elektronischer Rechtsverkehr; Klageerhebung per E-Mail; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (amtlich)

Eine ohne qualifizierte elektronische Signatur als E-Mail übersandte Klageschrift erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 52 a FGO i.V.m. der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg vom 28.01.2008; auf das allgemeine Schriftformerfordernis des § 64 Abs. 1 FGO kann insoweit nicht zurückgegriffen werden. Zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Reichweite der Fürsorgepflicht des Gerichts im elektronischen Rechtsverkehr.

 

Normenkette

FGO §§ 52 a, 64

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 26.07.2011; Aktenzeichen VII R 30/10)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit einer Haftungsinanspruchnahme und über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Kläger ist Steuerfachgehilfe. Seine Mutter ist Steuerberaterin. Nachdem die Mutter im Jahr 1993 einen Schlaganfall erlitten hatte, erteilte sie ihrem Sohn, dem Kläger, am 08.07.1999 eine notariell beurkundete Generalvollmacht (Bl. 5 der Haftungsakte). Ob bzw. in welchem Umfang der Kläger von dieser Vollmacht Gebrauch gemacht hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Allerdings liegt dem Beklagten die Kopie einer auf den Kläger ausgestellt Bankvollmacht vom 23.11.2000 für ein Konto der Mutter bei der Bank 1 vor. Die Vollmacht hat der Kläger sowohl für seine Mutter - als Kontoinhaberin - als auch für sich selbst - als Bevollmächtigter - unterschrieben. Die erste Unterschrift (für die Mutter) trägt den Zusatz "gem. Generalvollmacht".

Mit Schreiben vom 25.08.2003 widerrief die Mutter des Klägers die diesem erteilte Generalvollmacht.

Mit Schreiben vom 11.11.2003 kündigte der Beklagte gegenüber dem Kläger an, dass er beabsichtige, ihn wegen rückständiger Abgaben seiner Mutter als Bevollmächtigten und Verfügungsberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. § 35 der Abgabenordnung (AO) in Haftung zu nehmen. Gegenstand der Haftung waren sowohl persönliche Steuerschulden der Mutter als auch solche, die durch den Betrieb ihres Steuerberatungsbüros verursacht worden waren. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht. Der Beklagte erließ daraufhin am 14.01.2004 einen Haftungsbescheid über einen Betrag von insgesamt 54.538,13 €. Der Kläger machte dagegen mit Schreiben vom 22.01.2004 geltend, dass er das Anhörungsschreiben des Beklagten nicht erhalten habe. Der Beklagte hob daraufhin den Haftungsbescheid mit Bescheid vom 03.02.2004 wieder auf.

Nach Anhörung des Klägers erließ der Beklagte am 19.05.2004 erneut einen Haftungsbescheid über 54.538,13 €.

Mit Schreiben vom 20.09.2006 teilte der Bevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mit, dass gegen seinen Mandanten Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt worden seien, die sich auf einen Haftungsbescheid vom 19.04.2006 stützten. Von diesem Bescheid wisse der Kläger jedoch nichts.

Nachdem der Beklagte dem Bevollmächtigten des Klägers den Bescheid vom 19.05.2004 per Fax am 22.09.2006 übersandt hatte, legte dieser dagegen Einspruch ein.

Mit Einspruchsentscheidung vom 15.04.2008 reduzierte der Beklagte die Haftungssumme auf 45.509,68 € und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass der Kläger für Säumniszuschläge nur bis zum Widerruf der Generalvollmacht hafte und für betriebliche Steuern der Mutter nur bis zum Zeitpunkt der Rückgabe ihrer Bestellung zur Steuerberaterin bzw. bis zur Auflösung des Büros im August 2002. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen (Bl. 192 ff. der Rechtsbehelfsakten). Die Entscheidung wurde dem Kläger gemäß Postzustellungsurkunde (Bl. 226 der Rechtsbehelfsakte) am 17.04.2008 durch Einlegung in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten zugestellt.

Am 17.05.2008 ist um 23.10 Uhr bei der elektronischen Poststelle des Gerichts eine nicht signierte Klage eingegangen. Diese Klage ist mit dem Datum "17. April 2008" überschrieben. Sie bezeichnet als Klagegegenstand den Haftungsbescheid vom 15.04.2008 und weist als Absender den Kläger aus.

Der Eingang dieser Klage ist bei Gericht erst am 05.06.2008 festgestellt worden.

Die Möglichkeit, Klagen auf elektronischem Wege einzureichen, besteht bei dem Finanzgericht Hamburg seit dem 01.05.2002. Auf der Homepage des Finanzgerichts werden und wurden zum Zeitpunkt der Klageerhebung (s. Bl. 17 der FG-Akte) unter dem Menüpunkt "Elektronischer Rechtsverkehr" in einer "Kurzinfo" die Voraussetzungen des elektronischen Rechtsverkehrs erläutert. Dort wird unter anderem auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass "das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur" zu versehen ist.

Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 06.06.2008 darauf hingewiesen, dass die von ihm erhobene Klage nicht mit einer Signatur versehen und wegen dieses Formmangels nicht wirksam erhoben worden ist.

Der Kläger hat dem Gericht am 24.06.2008 eine schriftliche und unterschriebene Klage übersandt und Wie...

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