Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliches Bekanntwerden einer Aktienveräußerung. Individualisierbarkeit nicht verbriefter und nicht nummerierter Stückaktien bei deren Übertragung im Hinblick auf ihre Anschaffungskosten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Dem zuständigen Veranlagungssachbearbeiter ist die Veräußerung einer qualifizierten Beteiligung im Sinne von § 17 EStG nicht bereits deshalb bekannt, weil ihm eine Kopie eines von keinem der Vertragsbeteiligten unterzeichneten Vertragsentwurfs vorliegt, aus der nicht ersichtlich ist, dass es sich um mehr als eine Absichtserklärung handelt.

2. Aus der Kurzmitteilung der Körperschaftsteuerstelle, mit der die Kopie des beabsichtigten Aktienkauf- und Übertragungsvertrags „zuständigkeitshalber” und mit der Bitte um „weitere Veranlassung” übersandt wurde, ergibt sich keine Ermittlungs- und Sachaufklärungspflicht des für die Einkommensteuer zuständigen Sachbearbeiters. Vielmehr durfte dieser abwarten, was die Steuerpflichtigen in ihrer damals noch ausstehenden Einkommensteuererklärung hierzu angeben würden.

3. Zwar kann ein Steuerpflichtiger, der Anteile an einer Kapitalgesellschaft zu verschiedenen Zeiten und zu verschiedenen Preisen erworben hat, bestimmen, welche Anteile oder Teile davon er veräußert, mit der Folge, dass dann für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns oder -verlustes im Sinne des § 17 EStG die tatsächlichen Anschaffungskosten dieser Anteile maßgebend sind. Dies setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass der Veräußerer bereits bei der Veräußerung (durch die Bezugnahme auf den notariellen Erwerbsakt) „bestimmt”, welche Anteile er veräußert, und damit diese Anteile identifiziert.

4. Sind die veräußerten Aktien – wie die im Streitfall übertragenen nicht verbrieften und nicht nummerierten Stückaktien – weder durch eine Nummerierung noch durch unterschiedliche Nennwerte identifizierbar, sind die durchschnittlichen Anschaffungskosten des Veräußerers der Berechnung des Veräußerungsgewinns zugrunde zu legen.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, §§ 85, 88; EStG § 17 Abs. 1-2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 04.02.2020; Aktenzeichen IX R 18/19)

BFH (Urteil vom 04.02.2020; Aktenzeichen IX R 18/19)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob und in welcher Höhe ein Gewinn aus der Veräußerung von Stückaktien durch den Kläger nach § 17 i.V.m. § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei der Besteuerung zu berücksichtigen ist.

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2013 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Kläger sind als Aktionäre an der A Holding AG beteiligt, deren Aufsichtsratsvorsitzender der Prozessbevollmächtigte von der Gründung bis zu der nach dem Streitjahr erfolgten Umwandlung in die A Holding GmbH war.

Am 22. November 2007 schlossen die Kläger und ihre beiden Kinder mit dem späteren Vorstandsvorsitzenden der sich damals noch in Gründung befindenden A Holding AG, V, eine Vereinbarung, wonach letzterer im Rahmen der Gründung der Aktiengesellschaft 650 von insgesamt 5.000 Stückaktien erhalten sollte (13%). Zusätzlich übertrug ihm der Kläger mit dem Vertrag schenkweise 600 Aktien (12%) vor dem Hintergrund, dass V bis zum Ende des Jahres 2013, in dem er das 65. Lebensjahr vollenden würde, als Vorstandsvorsitzender der A Holding AG und der ebenfalls noch zu gründenden […] AG tätig sein sollte. Zugleich machte V für sich und seine Erben dem Kläger – und für den Fall der Ausschlagung durch diesen abgestuft weiteren Personen – ein Angebot zum Abschluss eines Vertrages über den Verkauf und die Übertragung von 1.250 Stückaktien an der A Holding AG im Falle des Ausscheidens des V als Vorstandsvorsitzender. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 22. November 2007 (Notariat X UR […]) verwiesen.

Nach Ausscheiden des V aus dem Amt des Vorstandsvorsitzenden nahm der Kläger mit Urkunden des Notariats Y UR […] vom 26. November 2012 – eine Stückaktie betreffend – und UR […] vom 15. Januar 2013 – 1249 Stückaktien betreffend – (Vertragsakten Blatt 167, 192 und 195) das Kaufangebot des V an und erwarb die Aktien zu einem Preis von insgesamt 8.000.000 EUR (6.400 EUR/Stückaktie; Kaufpreisbestätigung des V vom 23. September 2013, Blatt 191 der ESt-Akte). Die Stückaktien waren weder verbrieft noch nummeriert; über ihre Verteilung wurde ein Aktienregister geführt (Blatt 239 ff. der ESt-Akte, Vertragsakten 211).

Mit Verträgen vom 10. Oktober 2013 übertrug der Kläger jeweils 50 Aktien an die Klägerin (seine Ehefrau) und an seine beiden Kinder.

Am 23. Oktober 2013 schlossen der Kläger und die A Holding AG einen Aktienkauf- und Übertragungsvertrag über den Verkauf von 1.000 Stückaktien zu einem Kaufpreis von insgesamt 6,4 Millionen EUR, zahlbar in zwei Raten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Aktienkauf- und Übertragungsvertrag verwiesen (Blatt 186 der ESt-Akten).

Mit Kurzmitteilung vom 26. März 2014 leitete die für die A Holding AG zuständige Körperschaftsteuerstelle des bekla...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Basic. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge